Start Kunst & Kultur Schauspielhaus Graz: Sag, dass es gut ist. Verdammt.

Schauspielhaus Graz: Sag, dass es gut ist. Verdammt.

Foto: Lupi Spuma

Mit „Die Neigung des Peter Rosegger“ startete das Schauspielhaus Graz in die neue Spielsaison und Intendantin Iris Laufenberg beweist mit dieser Auftragsarbeit einmal mehr Mut zu zeitgenössischem, politischem Theater. Das pikante Stück widmet sich dem durchaus hinterfragungswürdigen Mythos rund um Heimatdichter Rosegger. Wir sprachen mit Autor Thomas Arzt über Heimat, ausufernden Patriotismus und die Furcht vor Zensur.

Eine Kleinstadt in der österreichischen Provinz ist in Aufruhr. Die Statue des Heimatdichters Peter Rosegger, das Prunkstück der Gemeinde, neigt sich neuerdings immer mehr seitwärts. Erst wird die Schieflage gar nicht erkannt. Vorzeigebürger Wiesinger, Leiter eines seit Generationen bestehenden erfolgreichen Familienbetriebes und großzügiger Förderer der Gemeinde, redet von landläufiger Paranoia und versucht auch die Bürgermeisterin zu beruhigen, die die Angelegenheit begutachten lassen will. Keinesfalls will er durch die vermeintliche Neigung der Statue die geplanten Feierlichkeiten gefährdet sehen: Eine Delegation der UNESCO wird erwartet, die den alten Stadtkern zum Weltkulturerbe erklären möchte. Doch ein entsandter Seismologe hat bereits mit seinen Nachforschungen begonnen. Vielleicht ist eine Verschiebung der Eurasischen Platte die Ursache mit der möglichen Konsequenz, dass hier – mitten in der Steiermark – einer der neuen Gräben entstehen könnte. Noch will man dem nicht so richtig Glauben schenken, schnell wird der eingeknickte Rosegger wieder gerade gerückt. Doch der nächste Morgen bringt einen neuerlichen Rechtsruck und nun lässt es sich nicht mehr verbergen: Irgendetwas liegt im Argen und der Wiesinger steckt mittendrin …

Florian Köhler als Paul Wiesinger und Henriette Blumenau als frustierte Archivarin. Foto: Lupi Spuma
Florian Köhler als Paul Wiesinger und Henriette Blumenau als frustrierte Archivarin.
Foto: Lupi Spuma

Soweit der Plot gemäß dem Programmheft des Grazer Schauspielhaus. Und der spitzt sich im Laufe des Stücks des jungen oberösterreichischen Autors Thomas Arzt immer mehr zu. Mit viel Wortwitz und umso amüsanteren, in steirischer Phantasiesprache vorgetragenen G´stanzln, persifliert er die Sehnsucht nach einem althergebrachten Heimatbegriff, nutzt Fremdenhass, Nationalismus und die Komplexe der Protagonisten als Werkzeuge, um die sich immer mehr zur Baustelle verwandelnde Szenerie auf der Bühne zu bearbeiten. Mit immer radikaleren Mitteln versucht Wiesinger – großartig verkörpert von Florian Köhler – sein Bild des Rosegger, welches ihm schon von seinem Großvater mit SS-Vergangenheit eingebläut wurde, zu verteidigen. Doch ganz so sicher ist er sich selbst nicht, und auch die frustrierte Archivarin der Stadtbibliothek – gespielt von Henriette Blumenau – kann ihm seine Zweifel weder nehmen noch bestätigen. Und so kommt es, wie es kommen muss und der lästige Seismologe Heim – verkörpert von Franz Xaver Zach – gräbt sich tiefer und tiefer in die braune Erde der grünen Mark.

Foto: Lupi Spuma
Foto: Lupi Spuma

Wie kaum ein anderer österreichischer Dichter hat Peter Rosegger in seinem Werk der bäuerlichen Lebenswelt – dem einfachen Leben auf dem Land – ein literarisches Denkmal gesetzt und damit ein Bild von Heimat geschaffen, das bis heute nachwirkt. Eine Heimat, die Vertrautheit und Aufgehobensein vermittelt, die es zu schützen galt gegen Bedrohungen von außen, was auch Roseggers spätere Vereinnahmung durch den Nationalsozialismus begünstigte. Doch wo genau liegt die Grenze zwischen legitimer Sehnsucht nach einem „Daheim“ und der Angst vor dessen Verlust einerseits und Nationalismus respektive rechter Gesinnung andererseits? Fast 100 Jahre nach Roseggers Tod spürt der Dramatiker Thomas Arzt auf der Folie des ehemaligen „Waldbauernbubs“ eben dieser Frage nach. Feinfühlig und auf sehr humorvolle Weise erzählt das von Nina Gühlstorff inszenierte Stück davon, wie verloren man sein kann in der eigenen Heimat.

„IST SAUGUT. SAG'S DOCH. SAG, DASS ES GUT IST. VERDAMMT. DAS IST MORDSMÄSSIG GUT. NOBELPREIS.“ Foto: Lupi Spuma
„IST SAUGUT. SAG’S DOCH. SAG, DASS ES GUT IST. VERDAMMT. DAS IST MORDSMÄSSIG GUT. NOBELPREIS.“
Foto: Lupi Spuma

Autor Thomas Arzt im Interview

Wieviel Steiermark steckt in dieser Posse rund um den „Waldbauernbub“ Rosegger?

Der Schauplatz des Stücks ist eine Kleinstadt in der Steiermark. Ich beziehe mich hierbei auf die steirische Landschaft, auf steirisches Liedgut und auch auf den steirischen Dialekt. Daneben interessiert mich aber vor allem der überregionale Rahmen. Und das ist Österreich. Und am Ende auch Europa. Ich erzähle in dem Stück nämlich von Menschen, denen die gewohnten Sicherheiten zerfallen – und das, was wir gerne als Heimat bezeichnen. Ich frage mich, ob es denn in einer globalisierten Welt gerechtfertigt ist, einen heimischen Mikrokosmos abgrenzen zu wollen, wenn doch alles verwoben ist, durch globale Bewegungen von Geld, Macht, Ausbeutung, Krieg und Flucht. Ich frage mich außerdem, ob es gerechtfertigt ist, zu einer Verteidigung alter, nationalstaatlicher und mitunter nationalistischer Territorien aufzurufen. Ich frage mich auch, ob wir es uns nicht zu bequem gemacht haben, in der Vorstellung, dass unser Wohlstand das gerechtfertigte Resultat unserer heimischen Politik sei. Peter Rosegger, mit seiner ambivalenten politischen Einordnung und seiner Sicht auf die steirische Landschaft und die ländliche Bevölkerung, dient mir dabei als ideale Folie. Er tritt im Stück als Statue auf, die eines Tages schief steht. Was heißt es nun, wenn der Boden aufbricht, das Land gespalten ist und die Heimat nach rechts rückt?

Thomas Arzt Foto: Nina Grünberger
Thomas Arzt
Foto: Nina Grünberger

Was bedeutet für Sie der Begriff Heimat?

Ich möchte die Frage zuerst persönlich beantworten. Ich denke bei Heimat zu aller erst an Schlierbach in Oberösterreich. Da bin ich geboren. Da bin ich aufgewachsen. Zugleich fühle ich mich auch an vielen anderen Orten beheimatet. So sage ich etwa, ich bin in Wien daheim, weil es meine liebste Stadt ist. Und zur Zeit bin ich auch in Norddeutschland an der Ostsee daheim, weil dort mein liebster Mensch ist. Das Gefühl von Heimat entsteht daher für mich immer mehr unabhängig von Orten und vermehrt zwischen Menschen. Heimat ist Zusammenleben, Vertrauen, Verantwortung, Solidarität und im besten Fall Gesellschaft. Als Schriftsteller würde ich allerdings sagen, Heimat ist ein schwieriger, verlogener, explosiver Begriff. Eine nostalgische Hülle, die ideologisch gefüllt wird, und das meist mit politischer Dummheit. Ich wünsche mir eine positive Politik der Heimat.

Welche Aufgabe hat die Kunst bzw. das Theater in Zeiten von ausuferndem Patriotismus?

Theater ist für mich ein öffentlicher Ort, an dem der Mensch, aber auch die Gesellschaft auf dem Spiel steht. Und das wortwörtlich. Ich verhandle persönliche, individuelle Konflikte, die über sich hinausweisen sollen und zur Reflexion auffordern, zur Selbstüberprüfung, zur Veränderung. Das gilt für mich zu jeder Zeit. Und heute sicherlich besonders. Wichtig ist mir dabei aber, dass ich meine Figuren als Einzelperson ernst nehme und für sich verstehen möchte. Manchmal haben wir ein zu vorgefertigtes Bild, wie jemand ist – auch z.B. wie ein „ausufernd patriotischer“ Wähler einer rechts-konservativen Partei sein könnte. Mich interessieren die Momente, in denen ich mich selbst in meinen Figuren ertappe und wo mein eigenes Weltbild ins Wanken kommt. Gesellschaftskritik ist für mich immer Selbstkritik.

In Österreich kann man noch frei schreiben. Fürchten Sie auch hier bald Zensur?

Zensur spielt sich auf verschiedenen Ebenen ab. Eine direkte, staatliche Zensur, wie sie etwa in Ungarn oder der Türkei bereits Praxis ist, fürchte ich für Österreich tatsächlich noch nicht. Es könnte aber sehr schnell, bei neuer politischer Konstellation, zu indirekten Schikanen kommen, die wir ja jetzt bereits spüren – etwa wenn es um die Finanzierung von Kunst und Kultur geht. Es würde zu weiteren Kürzungen von Fördergeldern kommen, bis zum völligen Streichen von Subventionen, besonders in der vermeintlich „freien“ Szene. Was das angeht, leben wir allerdings schon längst in einer Art Selbstzensur durch Erfolgsdruck und prekärer Arbeitssituation. Theater, Verlage, Literaturzeitschriften, Festivals, Kulturinstitutionen etc. ringen um Luft und Freiraum und setzen dabei oft auf erfolgsversprechende Projekte. Sperriges und Unangenehmes bedarf Mut, Trotz und einer Spur Selbstzerstörung. Das sehe ich als „freier“ Schriftsteller als Aufforderung, bestmöglich dagegen anzuschreiben. Völlig frei arbeitet man ja nie. Unbedingt notwendig ist aber die staatliche Meinungsfreiheit. Wer diese Situation politisch verändern möchte, hat mit literarischem Gegenwind zu rechen – oder mit ganzen poetischen Stürmen!