Start Kunst & Kultur GrazMuseum: „Das Leben von allen in dieser Stadt erzählen“

GrazMuseum: „Das Leben von allen in dieser Stadt erzählen“

Sibylle Dienesch und Otto Hochreiter vom GrazMuseum Foto: Lena Prehal

Egal ob Vergangenheit oder Gegenwart. Ob historische Stadtentwicklung oder heutige gesellschaftspolitische Themen. Im GrazMuseum wird Stadt diskutiert, vermittelt und gelebt. Die Ausstellungen „Mittendrin. Leben mit Beeinträchtigung“ und „360 GRAZ. Eine Geschichte der Stadt“ stellen das erneut unter Beweis.

Ein Museum öffnet sich der Stadt …

Mit nur einem Schritt in das barocke Palais Khuenburg steht man bereits mittendrin: im GrazMuseum. Und damit auch unmittelbar in der Ausstellung im Erdgeschoß. Im Zuge der Neugestaltung des Außenfoyers im Jahr 2012 hat sich das kulturhistorische Museum zum Stadtraum hin geöffnet. Sechs neu geschaffene Außentüren zur Sackstraße ermöglichen vielfache Eintrittsmöglichkeiten und bieten die Gelegenheit, bereits vom Gehsteig aus einen Blick auf aktuelle Ausstellungen zu erhaschen. Das GrazMuseum ist ein offenes Museum – das spiegelt sich nicht nur in seiner Architektur wider. Länger schon verfolgt das Museum das Ziel, Barrieren abzubauen und die Hemmschwelle, ins Museum zu gehen, zu verringern. Die Ausstellungen im Erdgeschoß sind deshalb bei freiem Eintritt zu besuchen. „Als Stadtmuseum wollen wir die Geschichte und das Leben von allen Menschen erzählen – egal ob von der Vergangenheit oder Gegenwart“, beschreibt Otto Hochreiter, Direktor des GrazMuseums, die Positionierung des Hauses als „ein offenes Museum – inhaltlich wie architektonisch“.

Arnold Schwarzenegger, 1964 Foto: Stefan Amsüss
Arnold Schwarzenegger, 1964
Foto: Stefan Amsüss

Vom Mitleid zum Mitleben

Nicht von außen, nicht vom Rand, sondern von mittendrin setzt sich das GrazMuseum mit dem Thema seiner derzeitigen Ausstellung im Erdgeschoß auseinander. In Mittendrin. Leben mit Beeinträchtigung geht es um Menschen mit Lernschwierigkeiten. Darum, wie sie sich selbst sehen und wie sie die Welt sehen. Wie sie früher gesehen wurden und heute gesehen werden wollen. Die Ausstellung skizziert den Weg vom Mitleid zum Mitleben. Sie dokumentiert diese Veränderungen, gibt Einblicke, sucht nach Möglichkeiten der Inklusion und stellt aktuelle, zukunftsrelevante und auch tabuisierte Fragen.

Die Lebenshilfe Graz und Umgebung – Voitsberg gab den Anstoß für die Ausstellung, eine Kooperation von Akademie Graz, Special Olympics Österreich und GrazMuseum. „Die Ausstellung ist bewusst zeitlich so konzipiert, dass sich die Grazerinnen und Grazer vor, während und nach den Special Olympics World Winter Games 2017 in Graz und Schladming im Museum mit einem breit vermittelten Wissen zu diesem Thema auseinandersetzen können“, so Sibylle Dienesch, Vizedirektorin und eine der Kuratorinnen der Ausstellung.

„Jede Begegnung kann ein Anfang sein“

Das Thema ist vielschichtig. Die Konzeption der Ausstellung Mittendrin nimmt sich dieser Vielschichtigkeit an und führt die Besucher sukzessive an das Thema heran. Je weiter man sich ins Innere des Museums begibt, desto mehr vertiefen sich die Inhalte.

Das erste Mal ist der Titel eines Kurzfilms von Aktion Mensch, der einem im Außenfoyer als Erstes ins Auge sticht. Der Film zeigt die erste Begegnung von Menschen ohne Beeinträchtigung mit Menschen mit Beeinträchtigung. Verhaltenes Kichern, Überraschung, nervöse Blicke: Er zeigt ein ehrliches Aufeinandertreffen und führt vor Augen, dass jedes erste Kennenlernen Unsicherheiten mit sich bringt – egal ob mit oder ohne Beeinträchtigung.

Oftmals wird über Menschen mit Beeinträchtigungen gesprochen. In Mittendrin kommen sie selbst zu Wort. Unter anderem in Anna Katharina Laggners acht Audiominiaturen. Menschen mit Lernschwierigkeiten erzählen, was ihnen im Leben wichtig ist, was sie glücklich macht und worauf sie stolz sind. „Arbeit ist mir sehr wichtig“, „Ich treffe gerne Freundinnen und Freunde“ oder „Ich mache gerne Sport“ kommen als Antwort.

Ausstellungsansicht-Mittendrin Foto: Lena Prehal
Ausstellungsansicht-Mittendrin
Foto: Lena Prehal

Verschiedenheit als Gemeinsamkeit

Einen großen thematischen Schwerpunkt der Ausstellung bildet die Frage nach Bedürfnissen. „Wenn man näher hinschaut, erkennt man, dass Menschen mit Beeinträchtigung keine Menschen mit besonderen Bedürfnissen sind. Wir haben alle dieselben Bedürfnisse“, sagt Sibylle Dienesch. Das Kunstprojekt „NEEDS“ der deutschen Foto- und Videokünstlerin Julia Krahn beschäftigt sich mit dem Bedürfnis nach Nähe und Zuwendung. Ruhig und unmittelbar zeigen ihre Bilder die Höhenflüge der großen Liebe, die Aufregung vor dem ersten Kuss, das Kribbeln und Strahlen bei körperlicher Berührung. Sie zeigen aber auch Unsicherheit und Trauer, wenn eine Liebesbeziehung im Leben unerreichbar scheint. „Was Menschen ausmacht, was sie bewegt, worin sie sich ähneln – kurz, was uns alle gleich macht, ist das Zentrale in meinen Arbeiten, beschreibt Krahn ihren ästhetischen und künstlerischen Anspruch. „Jeder Mensch hat Barrieremasken. Manche sind einfach sichtbarer als andere.“ Unter diesem Gesichtspunkt soll „NEEDS“ auch rezipiert werden.

Auf einer der Ausstellungswände im Museum steht geschrieben: „Das größte Manko der Gesellschaft ist, das Anderssein nicht verstehen zu können.“ Um verstehen zu können, braucht es allerdings Begegnung. Die Ausstellung Mittendrin. Leben mit Beeinträchtigung schafft diese auf vielfache Art und Weise und macht damit das Museum selbst zu einem Ort der Begegnung.

Stadtgeschichte bis zum 21. Jahrhundert

Eine ganz andere Art der Begegnung, nämlich die mit der Stadt Graz selbst, ist ab dem 20. Oktober im GrazMuseum möglich. Die bereits 2014 für den European Museum of the Year Award nominierte Dauerausstellung zur Stadtgeschichte von Graz feiert unter dem Titel 360 GRAZ. Eine Geschichte der Stadt (Wieder-)Eröffnung. Ab Mitte Oktober kann man von 1128, der erstmaligen Erwähnung von Graz, bis ins Kulturhauptstadtjahr 2003 auf den Spuren der Stadt wandeln. In der ersten Version endete die Darstellung der Stadtgeschichte mit dem Kriegsende 1945. „Mit dieser Ausweitung der Schau haben die Besucherinnen und Besucher nun die Möglichkeit, ihre eigene Erinnerung aus Graz über das zu legen, was man Geschichte nennt, und sich selbst darin als Zeitzeugin oder Zeitzeuge wiederzufinden“, erklärt Otto Hochreiter.

Der gesellschaftliche Sinn der Stadt

Der neue Abschnitt Graz 1945–2003 bringt vielfältige Erinnerungen in den Museumsraum. Entlang von 35 Objekten und Modellen können die Besucher in die Besatzungszeit und Wiederaufbauzeit der Stadt eintauchen, dem Welterfolg von Puch 500 hinterhertrauern, sich mit den Wutbürgern über die abgelehnte Pyhrnautobahn durch Graz ärgern, die Errichtung der Terrassenhaussiedlung bestaunen oder noch einmal den 20 %-Wahlerfolg der Kommunisten bei der Gemeinderatswahl 2003 miterleben. Ein besonderes Objekt-Highlight stellt das Modell des „Schattenobjekt Uhrturm“ von Markus Wilfling dar, dessen Dreidimensionalität in der Ausstellung noch einmal auf besondere Weise zur Geltung kommt.

„Jede Stadtgeschichte“, sagt Otto Hochreiter im „Achtzig“-Interview, „ist wesentlich auch Konfliktgeschichte. Die zivilisatorische Kraft der Stadt besteht wesentlich in der konstruktiven Bewältigung der Auseinandersetzungen um die jeweils neue Vorstellung von Zusammenleben. Das ist der gesellschaftliche Sinn von Stadt, den wir in 360 GRAZ. Eine Geschichte der Stadt nun bis zur Gegenwart beleuchten werden.“

Markus Wilfling, Modell Schattenobjekt Uhrturm Foto: Lena Prehal
Markus Wilfling, Modell Schattenobjekt Uhrturm
Foto: Lena Prehal

Die Ambivalenzen der Geschichte

Wie geht ein Museum mit Geschichte um? Wie soll sie erzählt werden? Fragen, die das GrazMuseum mit der Konzeption und der musealen Präsentation der Dauerausstellung 360 GRAZ zeitgenössisch und mit heutigen formalen Mitteln beantwortet. Das Museum gibt dem Druck des Hegemonialen seiner Sammlung nicht nach, sondern erzählt stattdessen lieber die Geschichte aller Menschen. Vier große Themenstränge durchziehen die Sammlung. Zwei davon verfolgen die hegemonialen Themen Stadtgestalt und bürgerliches Projekt. Ergänzt werden diese durch zwei nicht hegemoniale Themen: Diversität und Geschlechtergeschichte. In allen Epochen werden dieselben vier Fragen gestellt. Den Besuchern bleibt es selbst überlassen, ob sie sich mit einer Epoche intensiver auseinandersetzen wollen oder nur einem Themenstrang entlang der Geschichte folgen. Die Geschichte wird dabei auf den Kopf gestellt. Sie wird gedreht und gewendet – und das im wahrsten Sinne des Wortes. Denn die Objekte sind auf Stangen angebracht und somit beweglich. „Damit wollen wir auf die Ambivalenz hinweisen. Geschichte hat oft zwei Seiten und die Besucherinnen und Besucher sind eingeladen, sich selbst ihr Bild davon zu machen.“

Die Ausstellungen Mittendrin. Leben mit Beeinträchtigung und 360 GRAZ. Eine Geschichte der Stadt nähern sich der Stadt Graz und ihren Menschen aus unterschiedlichen Positionen heraus. Verknüpfen das Heute mit dem Gestern. Setzen sowohl thematisch als auch formal auf Inklusion. Betrachten ihre Themen aus allen Blickwinkeln – und sind damit zwei Ausstellungen, die den Gestus des GrazMuseums signifikant verkörpern.

Mittendrin. Leben mit Beeinträchtigung
Ausstellung bis 27. März 2017
Kuratorinnen: Sibylle Dienesch, Astrid Kury und Eva Reithofer-Haidacher

360 GRAZ. Eine Geschichte der Stadt
Eröffnung am 19. Oktober 2016, 18 Uhr
Dauerausstellung ab 20. Oktober 2016
Kurator/-innen: Otto Hochreiter, Annette Rainer, Martina Zerovnik

Informationen zum vielfältigen Vermittlungs- und Rahmenprogramm finden Sie unter www.grazmuseum.at

GrazMuseum
Öffnungszeiten: Mi–Mo, 10–17 Uhr
Sackstraße 18, 8010 Graz
www.grazmuseum.at
www.facebook.com/grazmuseum
#grazmuseum