Im Lutherjahr setzt sich die Ausstellung VULGATA kritisch, ironisch und ernst mit der Bibel auseinander. Rund 100 Werke zeigen künstlerische Zugriffe auf das Buch und seine Geschichten. Ein Gespräch mit Kurator Dr. Johannes Rauchenberger.
Text: Natalie Resch
Wie kam Ihnen die Idee zur Ausstellung? Welche konkrete Verbindung hat diese zum Lutherjahr, das 500 Jahre Reformation reflektiert?
Zur Ausstellung inspirierte mich das Bild von Dorothee Golz, die Luther ins Heute versetzt und ihn als Museumswärter porträtiert. Was ist aus ihm nur geworden? Es war Teil einer Ausstellung mit dem Titel Luther reicht nicht! im Kunsthaus Kaufbeuren, der wir im Vorjahr viele Leihgaben zur Verfügung gestellt haben. In den letzten Jahren wurde ich in Deutschland oft zu Vorträgen eingeladen, dabei ist mir aufgefallen, dass die Evangelische Kirche anlässlich des bevorstehenden Reformationsjubiläums mit einem enormen Aufwand Kunst und Kirche thematisiert. Nur dieses für mich Nachhaltigste von Luthers Reformation, nämlich die Übersetzung der Bibel ins Deutsche, fand ich dabei nicht vor. Zudem bin ich in Deutschland Beiratsmitglied einer Stiftung, die sich „Bibel und Kultur“ nennt: Sie feiert heuer ihr 30-jähriges Bestehen: Vehement schlug ich eine Ausstellung vor – aber so richtig getraut hat sich das leider niemand … Also machte ich mich selber dran. Mit einem schon jetzt sich abzeichnenden Erfolg: Sie wird 2018 ins neu erbaute, wirklich riesige Museum of the Bible auch nach Washington weiterwandern!
Wie kann man heute die Bibel lesen?
In dem durchaus mit Witz versehenen Projekt von Julius Deutschbauer gehört sie zur „Bibliothek der ungelesenen Bücher“. Die, die mit der Bibel argumentieren, werden zu Recht als durchaus gefährlich wahrgenommen: Dass Biblizismus wieder großflächig salonfähig werden könnte, hätten wir jedenfalls nicht gedacht. Waren wir doch von Aufklärung, der modernen Wissenschaft und moderner Textkritik fast „verwöhnt“. Es gibt offenbar auch heute einen Konflikt zwischen modernem Denken und den heiligen Geschichten. Inwieweit nimmt man alles wörtlich? Das ist eine hochkomplexe und aktuelle Frage. Denn das, was wir am Koran kritisieren – er werde nicht historisch-kritisch gelesen und für bare Münze genommen –, passiert ja auch mit der Bibel. Das ist übrigens nicht nur negativ zu sehen: Wer von der Bibel Gottes Wort erwartet, nimmt es als unbedingten Anspruch. Das beinhaltet in seiner hellen Seite Lebensorientierung. In seiner Schattenseite kann es aber auch Fundamentalismus heißen. Den Konflikt zwischen Denken und Glauben kann ich nicht ganz ausschalten: Man kann ihn aber problematisieren, benennen. Dennoch glaube ich, dass man die Bibel und ihre mythischen Erzählungen mit einer Faszination lesen kann, die positiv überwältigt. Das ist die andere Seite.
Sie sprechen von dem Gefühl der Fremdheit gegenüber der Bibel. Welche Rolle spielt diese in der Ausstellung?
Wir kennen doch, ehrlich gesagt, die Bibel nicht mehr. Kunst thematisiert eben auch diese Fremdheit. Daraus entstehen neue Entdeckungszusammenhänge, in die man sich buchstäblich verlieren kann. Der Schweizer Künstler François Burland, ein berühmter Mann, wurde vor zwei Jahren eingeladen, in einer Kirche auszustellen und Weihnachten zu thematisieren. Doch so ganz genau kannte er die Geschichte nicht … So zeigte man ihm die schönsten Bilder, die dazu gemalt wurden und man präsentierte ihm Giottos Leben-Jesu-Zyklus aus der Arenakapelle in Padua. Seine Eindrücke arbeitete er in Holzschnitte ein, ergänzte sie um abstruse Bildelemente, moderne Eroberungen des Himmels wie der Raumfahrt. Er fand, dass das, was in den Bildern behauptet werde, so unerhört sei, dass es nur mit unerhörten Mitteln dargestellt werden könne. Die Fremdheit wurde zum Ausgangspunkt seines Schaffens.
Wie fand die Auswahl der Bilder satt?
Ausgangspunkt war zunächst unsere Sammlung. Aber mehr als drei Viertel der Exponate zeigen neue Positionen. Kuratorisch stellte ich mir die Fragen: Wie geht man mit dem Objekt „Bibel“ um, löst es auf, greift darauf zu – nicht nur freundlich, sondern durchaus auch kritisch. „Zugriff“ hat außerhalb des Netzdenkens ja auch etwas Gewalttätiges, bedeutet Überschreitung. Darf man das? Warum darf man das nicht? Daraus ergibt sich die ganze Flut biblischer Erzählungen, die auf das Leben niedergeht. Die Behauptung, in der Bibel verbergen sich Geschichten vom Anfang und Ende, von Vollendung und Zerstörung, vom Sterben und von Trostlosigkeit, muss sich nach und nach an den Objekten selbst festmachen.
Gibt es Künstler, die für Sie eine besondere Rolle in der Ausstellung spielen?
Wenn ich eine Ausstellung mache, dann brauche ich immer einen Zündfunken. Ich muss mich verlieren können. In diesem Fall waren es zwar viele verschiedene Positionen, aber vor allem die Auseinandersetzung mit einer. Jene eines zeitgenössischen Künstlers, der sich mit den Bildern zur Zeit Luthers beschäftigt hat. Guillaume Bruère war schon im Vorjahr bei uns zu Gast und hat Flüchtlinge gezeichnet. Er gestand mir, dass er über das Museum, über die Bilder wieder zurückgefunden hat zum – ja ich würde sogar sagen – Glauben. Das, was die Bibel für gläubige Menschen ist, nämlich ein Buch mit bindender Kraft, gibt es tatsächlich auch in einem Zugriff, der überaus ironisch sein kann. Das Fantastische an seinem Konzept ist, dass es sich mit den zur Zeit Luthers entstandenen Bildern beschäftigt. Dabei hatten sich die Reformatoren gegen die Bilder gewandt, ihr Impuls war das Wort und nicht das Bild. Die Menschlichkeit der Figuren altdeutscher Malerei, flämischer, ist es, die Bruère fasziniert. Der französische Künstler setzt ein Auge auf Brust oder Genitalien, verkehrt die Fußwaschung, positioniert den Kopf unten. Das ist eine Evokation von Bildelementen, die zu neuem Sehen anregt. Bruères Bilder sind zahlenmäßig die stärksten. Sein Werk ist die Reflexion auf das europäische Museum. Wenn man in ein Museum geht, findet man in den spätmittelalterlichen Abteilungen immer diese christlichen Themen, die dann später verloren gegangen sind. Die Reflexion darauf ausgerechnet mit der Bibel, das finde ich das Spannende am Konzept.
Ausstellung VULGATA.
77 Zugriffe auf die Bibel
1. März bis 8. Juli 2017*
Kulturzentrum bei den Minoriten,
Mariahilferplatz 3, 8020 Graz
www.kultum.at
*2018 wird die Ausstellung im neu errichteten Museum of the Bible in Washington zu sehen sein.