Start Interviews André Heller: „Glaubt nicht hündisch an die Kunst“

André Heller: „Glaubt nicht hündisch an die Kunst“

Andre Heller, der "Gesamtkünstler", in Marrakesch (Copyright www.peterrigaud.com)

André Heller ist einer der großen Köpfe Österreichs. Ein mit vielen Talenten gesegneter (Kultur-)Schaffender. Mit Afrika! Afrika! holt er Ausnahmekönner jenes Kontinents vor den Vorhang, der als „Wiege der Menschheit“ gilt. Wir sprachen mit dem „in der Wolle gefärbten Südling“ über die aktuelle Show, gebrochene Traditionen und weshalb er nicht an die Kunst glaubt.

Sie meinten einmal: „Wiederholung langweilt mich!“. Afrika! Afrika! ist Ihr erstes Projekt, welches Sie wiederholen. Weshalb?

Weil ich ganz einfach nicht das Recht habe, nur weil ich für gewöhnlich bestimmte Traditionen des Nicht-Wiederholens pflege, diesen herrlichen Meisterwesen die Arbeitsmöglichkeit zu verweigern. Nachdem ich einige der zahllosen E-Mails, die mir die jungen Künstler geschrieben haben las, wäre es einfach vollkommen zynisch gewesen, ihnen die geforderte Hilfe zu verweigern. Ebenso zynisch wäre es, diesen vergleichslosen Könnern, die sich selbst unter den schwierigsten Umständen, ohne irgendeine Subvention, ohne Akademien, ohne gute Lehrer und zumeist ohne positiven Zuspruch etwas Einzigartiges beigebracht haben, nicht zu garantieren: Das Beste ist gerade gut genug für euch. Ihr seid auch nicht weniger wert als eine Anna Netrebko oder Beyoncé, also geht da auf die Bühne und zeigt unter idealen Bedingungen euer Leuchten.

Dagegen ist Österreich ja ein künstlerfreundliches Land…

Ja, das glauben zwar manche Künstler hierzulande nicht, aber de facto sind sie und ihre Arbeitsbedingungen ein ernst genommenes Thema. Ich kenne sehr viele Länder, in denen Künstler überhaupt kein Thema sind. Wenn man so wie ich viel Zeit in schwierigen Zonen verbringt, dann sieht man, dass wir hier in einem Schlaraffenland leben und dass dieses Schlaraffenland umfassend ist – vom Wasser über die Müllabfuhr bis zur Sicherheit, dem sozialen Netz, Gesundheitsversorgung und den vielen Ausbildungsmöglichkeiten und Subventionen. Dass das alles noch besser sein könnte und sein sollte, in einem der zehn reichsten Ländern der Welt, ist klar, aber wenn man in anderen Regionen fast nichts von dem Aufgezählten vorfindet und die Menschen trotzdem eine unbändige Wollust haben, sich zu verwirklichen und beharrlich nicht aufzugeben, dann bekommt man schon Respekt für diese Frauen und Männer, die tagtäglich versuchen ihre Liebesgeschichte mit ihrem Talent effizient stattfinden zu lassen und eigentlich kaum jemals substanzielle Hilfestellung erhalten.

Die Förderung der Künstler Afrikas ist Heller eine Herzensangelegenheit
Die Förderung der Künstler Afrikas ist Heller eine Herzensangelegenheit

Sie zählen seit Jahrzehnten zu den renommiertesten deutschsprachigen Künstlern. Hin und wieder selbst überrascht über so viel Erfolg?

Ich gehe nicht hochmütig damit um und habe gelernt sehr, sehr dankbar zu sein. Mir ist klar, wie unselbstverständlich es ist, über Jahrzehnte hinweg seine Träume in der Realität auf ihre Statik untersuchen zu können. Da gibt es nicht viele, die das 40, 50 Jahre quasi ohne Einschränkung machen dürfen. Insofern bin ich in einer sehr privilegierten Situation, die ich mir aber auch nimmermüde selbst geschaffen habe. Zugegeben, mit einigen Verbündeten, die liebevoll an meiner Seite stehen und mit treuen Förderern, die wollten und wollen, dass das stattfindet, was ich bin und kann – aber die wesentliche, umfassende Arbeit des immer wieder, trotz peinigender Ängste, Aufsteigens in große, einschüchternde Höhen oder des Absteigens in finstere Tiefen, wo man Schlangengruben und Brennnesselwälder durchqueren muss, hat man immer tapfer, ganz allein zu meistern.

War kommerzieller Erfolg jemals eine Triebfeder für Ihre Projekte, oder ergibt sich dieser von selbst?

Ich glaube, man muss das tun, was dem eigenen Lernen und der eigenen Ausbildung am meisten dient. Der Tod ist hier ein wunderbarer Mitarbeiter, weil er dir sagt, du hast nicht unbegrenzt Zeit und daher empfinde ich das Leben als eine lange Reihe von intensiven Expeditionserfahrungen in der Polarität, die dazu da sind, weiße Flecken auf der Landkarte meines Nichtwissens zu tilgen – und hier interessiert mich nicht, ob das etwas mit Kunst oder nicht zu tun hat, sondern was immer der Förderung dieses für mich wichtigsten Projektes – nämlich aus dem Entwurf eines Menschen einen zumindest halbwegs gelungenen Menschen zu entwickeln – dient, nehme ich als Herausforderung an. Das Kommerzielle kommt bei manchen Projekten dann als Nebeneffekt. Viele meiner Unternehmungen bringen überhaupt keinen Gewinn und mit anderen wiederum erarbeite ich mir die Produktionsmittel, die ich dann für neue Wagnisse einsetzen kann. Es geht darum, was einen gescheiter macht, das Bewusstsein hebt und dadurch die Gedanken und Taten verfeinert. Das können auch kostbare Irrtümer sein, wo man erkennt, „danke, das brauch` ich nicht noch einmal, aber dieser Irrtum war eine ganz wesentliche Erfahrung“. Irgendwie sorgt das Universum für einen und gibt einem dann ab und zu einen Erfolg, der so ist, dass man zwei, drei Jahre wieder spannende Experimente machen kann. Zumindest in meinem Fall ist das den Göttern sei Dank so.

Was würden Sie jungen Künstlern raten?

Zunächst einmal: Glaubt nicht hündisch an die Kunst. Ich halte die Kunst für keine wesentliche Kategorie. Mich interessiert, was einen stärkt oder schwächt, welche hohe oder niedere Energie etwas hat – aber das ist ganz etwas anderes als der herrschende Kunstbegriff. Ich empfinde mich nicht als Künstler. Seit mindestens 20 Jahren nicht. Ich bin ein lernsüchtiger Expeditionsmensch. Die Kunst hat strenge, häufig wechselnde Regelwerke, fast wie eine Kirche, und ich darf mich von derlei nicht einschränken lassen. Was sich für mich gerade zu erfahren lohnt, kann sich nicht am Zeitgeist der Kunstrichter orientieren. Jeder kann doch aufwachen in der Früh und verkünden „Ich bin Künstler!“. Dafür gibt es keine Prüfung, kein Studium ist nötig, nichts. Das kann jeder für sich anmaßend behaupten und wenn ihm das wichtig ist, dann kann er in die Stephanskirche gehen, ein Kerzerl anzünden und die Engel darum bitten, dass das, was er macht, Kunst sein möge und vom Feuilletonkameradschaftsbund als solche abgesegnet wird. Aber mich interessiert, ob mich  Abenteuer lernend verwandeln.

Somit gibt es auch keine relevante Kritik?

Vieles in der sogenannten Kunst wurde Jahre lang nicht als solche bezeichnet. Vom Aktionismus über den Dadaismus, Surrealismus usw… Das war alles Outcast, und irgendwann wurde es schulterklopfend eingemeindet. Ob meine Ergebnisse irgendwann eingemeindet werden oder schon sind, hat mir vollkommen egal zu sein. Was ich in meinem Leben grundsätzlich zu lernen habe ist, wie bei jedem von uns, etwas anderes als was etwa André Gide oder John Lennon zu lernen hatten. Es gibt sicherlich hin und wieder Überschneidungen im Lernprozess, aber im großen und ganzen kann ich auch keinem Kritiker zum Vorwurf machen, wenn er sagt, etwas von mir Veröffentlichtes gefällt ihm nicht und hat mit seinen Maßstäben nichts zu tun. Das stimmt ja, denn es hat zentral etwas mit meinem Leben und meinen Maßstäben zu tun, die sich aufgrund meiner anderen Erfahrungen und Prozesse eventuell grundlegend von seinen unterscheiden. Der Kritiker kann auch nicht wissen, was ich bei dieser Unternehmung lernen musste. Es kann ja zum Beispiel eine äußere Niederlage der größte Triumph sein, den man je im Leben hatte, weil man dabei etwas erfahren durfte, das einen entscheidend fähiger werden ließ. De facto gibt es kein Scheitern, sondern nur Lernprozesse.

Sie begeistern Massen. Gab es jemals die Überlegung, diese Gabe zu nutzen und in die Politik zu gehen?

Anwerbungsversuche gab es genug, aber ich hätte das nie gekonnt. Ich muss mein eigener Chef sein, ich kann nicht unter jemandem dienen. Vollkommen ausgeschlossen. Das hätte mich krank werden lassen oder getötet. Ich glaube, dass unter den derzeitigen Generalumständen, Politiker zu sein zum körperlich und seelisch ungesündesten überhaupt zählt.

Kann man mit Kunst mehr verändern als mit Politik?

Ich habe nicht das Gefühl, dass Politik hierzulande noch etwas wesentlich verändert, und am wenigsten sich selber. Ich denke auch, dass es die Parteien, so wie es sie jetzt gibt, in wenigen Jahren nicht mehr geben wird. Da schafft sich gerade etwas ab. Diesen Vertrauensverlust, den die Politik zurecht erlitten hat, kann sie á la longue nicht überleben. Da werden neue Bewegungen kommen – aber das sind nicht mehr meine Themen. Meine Themen sind – was kann ich, wenn ich in der Früh aufwache, tun um diesem Tag in Kombination mit meinen Begabungen einen Sinn zu geben. Und danach handle ich dann. Das ist auch zutiefst politisch, zu versuchen, Nuancierungen in die Welt zu bringen. Es ist politisch, eine Eleganz der Gedanken und Taten zu verwirklichen. Es gibt überhaupt keine a-politische Handlung. Wenn man wählen geht, ist das politisch, aber wenn man dummerweise nicht wählen geht ebenso. Wenn man die Menschen verblödet mit sinnlosen Produkten und auch oft gigantisch erfolgreichen Zeittotschlagangeboten, dann ist das ebenso  auf erschreckende Weise politisch.

Können Sie mit dem Begriff „Heimat“ etwas anfangen?

Im Sinne von Österreich nicht. Meine Heimat ist viel mehr Schubert, Joseph Roth, Chaplin, Proust, Rastelli, Picasso, Giacometti oder die Callas. Ich habe überhaupt kein Heimatgefühl im patriotischen Sinn. Zu den Landschaften Marokkos habe ich eine intensive, innere Anbindung, aber Österreich war durchaus ein interessanter Lehrmeister. Ich durfte hier viel lernen, aber ich fühlte mich nie als Mitteleuropäer sondern immerzu als in der Wolle gefärbter Südling.

Text: Wolfgang Pauker