Wolfgang Bauer galt in den 1970er-Jahren als wichtigster österreichischer Dramatiker neben Thomas Bernhard und Peter Handke. Seine Stücke wurden weltweit aufgeführt und in unzählige Sprachen übersetzt. Vor wenigen Wochen wurde ein verschollen geglaubtes Stück wiederentdeckt. „Achtzig“ – Die Kulturzeitung sprach mit manuskripte-Herausgeber Alfred Kolleritsch über das sensationelle Fundstück, die Faszination an Wolfi Bauer und eine mögliche Renaissance des absurden Theaters.
„Der Rüssel“ wird in der kommenden Ausgabe der manuskripte erstveröffentlicht. Was kann sich der Leser vom Stück erwarten?
Wenn man so will handelt es sich um metaphysische Dichtung. Es ist eine großartige Vorwegnahme all jener Stücke, für die man Wolfgang Bauer so sehr schätzt. Man kann den „Rüssel“ mit jenen kleinen Mikrodramen vergleichen, die er in jungen Jahren geschrieben hat – zum Beispiel mit dem „Schweinetransport“. Es ist klassisches absurdes Theater. Jegliche dramatische Logik hebt sich darin auf, sonderfällige Zufälligkeiten und Fantastisches sind Bestandteil. Trotzdem hat man das Gefühl, man liest ein reales Stück, das im bäuerlichen Milieu spielt. Es ist sicherlich keine Literatur für den Lesesessel, sondern ein Stück, das unbedingt aufgeführt werden muss. Es gehört ins Theater.
Bereits mit 27 Jahren gelang ihm mit seinem Stück „Magic Afternoon“, damals aufgeführt am Landestheater Hannover, sein internationaler Durchbruch. Was war das Faszinierende an Bauers Literatur?
Zu einem großen Teil hat es mit der damaligen Zeit zu tun. Das Theater wurde von einer absurden Welle erfasst, setzte eine ungeheure Energie frei und belustigte seine Besucher. Es standen keine politischen oder psychologischen Themen im Vordergrund. Realistische Themen wurden nicht behandelt, es ging um den freien Flug der Fantasie und des Denkens. Logische, reale Zusammenhänge waren nicht wichtig. Bauer liebte besonders Eugène Ionesco, den er auch persönlich kennenlernte. Überhaupt beeinflussten ihn französische Dramatiker dieser Zeit. In einer Hektik des Schreibens löste sich die Realität auf, und es kam zu einer neuen Begegnung mit der Welt.
Dennoch ist das absurde Theater heutzutage eigentlich in Vergessenheit geraten. Warum?
Mit den Jahren wurde das Theater wieder vermehrt als Bühne für politische Zuständigkeiten genutzt– von dieser Tendenz wurde das absurde Theater dann quasi abgelöst. Die ganze Literaturszene hat sich verschoben, die politische Auseinandersetzung hat das Absurde verdrängt. Man kann eigentlich von einem politischen Druck sprechen.
Wolfgang Bauers Erstveröffentlichung fand in ihrer Literaturzeitschrift manuskripte statt. Wie haben Sie seine ersten Texte aufgenommen?
Ich war kein großer Kenner, was im Theater produziert wurde. Seine Art zu schreiben hatte für mich allerdings etwas Befreiendes und Lustiges an sich – die absurden Situationen, in denen sich die Charaktere seiner Stücke begegneten, wurden so bisher in der Literatur noch nicht geschrieben. Er erschuf eine eigene poetische Wirklichkeit, die voller Überraschungen war.
Wurde Bauer von Anfang an in der Szene akzeptiert?
Um ein Beispiel zu nennen: Peter Handke, der eine komplett andere Art des Schreibens hat, war ein begeisterter Bauer-Leser. Auch heute noch vertritt er die Meinung, dass Bauer ein begnadeter Dichter im Sinne des Erfindens war.
Wie haben Sie Wolfi Bauer als Menschen kennengelernt?
Er war der klassische Künstler. Vom Anfang bis zum Ende. Ein Mensch voller Fantasie und poetischer Lebendigkeit und Lust zu schreiben. Er konnte Situationen auf eine ganz ungewöhnliche Weise auswerten – vielleicht war er auf gewisse Weise auch ein Clown. Ein Clown, der in die harte Realität eingedrungen ist, um sie auseinanderzubrechen.
War er ein politischer Mensch?
Nein. Auf keinen Fall. Er hat sich mit einer Fantasiewelt beschäftigt, mit den Bruchstellen unserer Existenz. Seine Themen waren immer irgendwelche Ereignisse, die der gesellschaftlichen Logik widersprachen. Vielleicht ist er von der Wirklichkeit auch weggelaufen, um erst recht ihre Hintergründe aufzuzeigen.
Wolfi Bauer wurde auch auf Grund seines Privatlebens zum Mythos. Er gilt als Prototyp eines Bohemien-Künstlers. Legende oder Wahrheit?
Ich kann mich noch an eine unserer ersten gemeinsamen Lesungen erinnern. Wolfi Bauer, Barbara Frischmuth und ich waren beim österreichischen Kulturforum in Prag eingeladen. Mit diesem Auftritt hat wohl auch der damals schlechte gesellschaftliche Ruf der Grazer Autoren seinen Anfang genommen. Wir fuhren gemeinsam mit dem Zug nach Prag. Wegen politischer Streitigkeiten zwischen der Tschechei und Polen sind wir stundenlang ohne Verpflegung am Bahnhof, im Zug eingesperrt, an der Grenze festgesessen. Irgendwann ist dann eine Runde von Ärzten zugestiegen, die flaschenweise Wodka mit dabei hatte. Schlussendlich hat man sich gefunden und gemeinsam wurde der Wiener Walzer getanzt. Als wir endlich weiterfuhren, herrschte Hochstimmung. Und es kam zu einem typischen Bauer-Akt. Er meinte, er müsse das „arme“ polnische Volk begrüßen. Zu diesem Zweck entledigte er sich seiner Kleidung bis auf die Unterhose und warf ein Kleidungsstück nach dem anderen aus dem Fenster. Quasi als Spende. Wir sollten es ihm gleichtun. Ich war dazu nicht mehr in der Lage. Und Barbara Frischmuth lag längst betrunken auf der Bank und schlief. Als wir dann in Prag am Bahnhof verkatert aus dem Zug kamen, Barbara Frischmuth über der Schulter – Wolfgang Bauer in der Unterhose – hielt sich die Freude bei unserem Empfangskomitee in Grenzen. Eigentlich wollte man uns gleich zurückschicken – schlussendlich wurde die Lesung aber ein Erfolg.
Was wünschen Sie sich für die Erstaufführung vom „Rüssel“? Wo sollte diese stattfinden?
In einem guten Theater mit einem guten Regisseur, der von den leider sooft klischeehaften Bauer-Inszenierungen abweicht. Viele Regisseure haben sich auf Bauer regelrecht spezialisiert und haben ihre Sache auch gut gemacht. Aber der Bauer ist leider nie anders interpretiert worden. Es wäre zu wünschen einen neuen Blick auf ihn zu geben und damit dazu zu führen, viele vergessene Stücke ins allgemeine Interesse zu rufen. Bauer sollte generell wieder auf die Bühne, nicht nur mit dem „Rüssel“. Sein absurdes Theater ist weit aktueller, als man denken möchte, denn die ganze Welt wird immer mehr selbst zu einem absurden Theater. Alleine was in der Ukraine passiert, ist doch nichts Anderes als absurd. Es zeigt sich, dass das Absurde durchaus realen Charakter besitzen kann. Absurder Realismus, wenn man so will.
Gibt’s bereits konkrete Perspektiven?
Nein, noch nichts. Das Stück erscheint ja erst. Es ist schön, dass wir es in den manuskripten bringen können. Dennoch bleibt zu hoffen, dass diejenigen, welche für das Stück verantwortlich sind, geschickt vorgehen werden, um eine passende Bühne zu finden. Schlimm wäre es, wenn es eine Laientruppe übernimmt und das Fantastische durch eine schlechte Inszenierung ruiniert werden würde. Es ist bis heute auch noch keinem Regisseur gelungen Bauers Stücke dementsprechend einzusetzen. Das Potenzial hätten sie auf jeden Fall dazu.
Text: Stefan Zavernik