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Bazon Brock: An der Grenze

Bazon Brock in seiner Berliner "Denkerei"

Ende 2012 öffnete das ZOLLAMT an der slowenischen Grenze in Bad Radkersburg seine Pforten. Doch diesmal ist hier niemand Verdächtiger, sondern eingeladen, seinen Rucksack an Ideen freiwillig zu öffnen und sich an diesem Kunstprojekt zu beteiligen. Wir sprachen mit Bazon Brock, emeritierter Professor für Ästhetik und Kulturvermittlung an mehreren Universitäten, Künstler und Doyen der Kunsttheorie, über notwendige Abgrenzung und damit einhergehende Möglichkeiten des Vergleichs.

Bazon Brock und Reinhard Diethardt
Bazon Brock und Reinhard Diethardt

Wo früher so manchem, der in die Räume des Zollamtes an der österreichischen Grenze zu Slowenien „gebeten“ wurde, der Puls etwas schneller ging, streift heute ein entspannter Bazon Brock durch die Räume und betrachtet die Kunstwerke, die verschiedene Künstler zum Thema Grenze dort positioniert haben. Im Jahr 2013 beherbergen die beiden Gebäude nämlich das ZOLLAMT, ein Kunstprojekt der Werkstadt Graz und dem Kunstsammler Reinhard Diethardt (diethARdT collection), welches der Schnittstelle zwischen dem ehemaligen Ost und West eine völlig neue Bedeutung gibt. Auch wenn nunmehr keine Beamten die Koffer nach Schmuggelware durchsuchen, so markiert dieser Ort dennoch eine Grenze.

Weshalb diese auch heute noch entscheidend ist, darüber klärt uns Bazon Brock auf…

Das Entscheidende an der Grenze ist: Sie bietet die Möglichkeit der Unterscheidung – nach der einen wie nach der anderen Seite. Wenn ich Dinge in der Welt als für mich bedeutsam anerkennen will, dann muss ich sie unterscheiden können. Wenn ich 25 Gräser nicht unterscheiden kann, ist mir Dürers Aquarell „Das große Rasenstück“ unerheblich. Wenn ich sie aber unterscheiden kann, durch Kriterien, die etwa Linné im 18. Jahrhundert eingeführt hat, ist jeder dort gezeigte Grashalm für mich bedeutsam durch seine Unterscheidbarkeit. Mit anderen Worten: Die Grenze markiert die Notwendigkeit zu unterscheiden!

Bazon Brock in seiner Berliner "Denkerei"
Bazon Brock in seiner Berliner „Denkerei“

Also Grenzen um jeden Preis?

Es ist kein humanes Ansinnen, die Grenzen aufzuheben und so zu tun, als wäre alles gleich. Das wäre ja Gleichgültigkeit und nichts hätte Bedeutung – es geht aber um Thematisierung des Bedeutens durch Unterscheiden! Hier gibt es einen entscheidenden Umschlagpunkt: In der alten kulturalistischen Tradition sind „die auf der anderen Seite“ diejenigen, die sich unserem höheren Anspruch kultureller Entwicklung beugen müssen. Das heißt, bei religiös begründeten Kriterien will eine Kultur die andere dominieren. In der Kunst- und Wissenschaftspraxis wird aber die Bedeutung einer Kultur nicht dadurch bestimmt, dass sie andere dominiert, sondern dadurch, dass sie in Vergleich mit anderen gesetzt wird. Erst die Einmaligkeit jeder kulturell eigenen Schöpfung wird durch den Vergleich mit anderen erzeugbar, weswegen die Voraussetzungen für meinen Anspruch auf besondere Leistung darin besteht, mich auf anderes zu beziehen. In der Kunst ist das ganz normal. Wenn ein Maler malt, muss er ins Museum, denn dort ist der Ort, wo die verschiedensten Dinge durch Unterscheidung ihre Bedeutung erhalten.

Seit es Kunst und Wissenschaft in der westlichen Welt gibt, wurden die kulturellen und religiösen Unterscheidungskriterien obsolet, weil die Behauptung „Wir“ nur dadurch möglich wird, dass wir uns mit anderen in Vergleich setzen – nach gleichen Unterscheidungskriterien auf beiden Seiten.

Also ändert das ZOLLAMT die Bedeutung dieser Grenze.

Das Bedeutende bei der Manifestation „Wir verwandeln ein Zollamt in eine Vergleichsanstalt, sprich Museum“ ist das Entscheidende. Wo das Zollamt im alten Sinne die Trennung durch die Grenze darstellte, dient sie nun der Vermittlung der Gesamtheit, sodass auf beiden Seiten berechtigte Ansprüche auf Einmaligkeit erhoben werden können. Das ist die große zivilisatorische Leistung: Die Zivilisierung der Kulturen und Ideologien. Im Kunstkontext wird alles, was behauptet wird, nur im Vergleich miteinander bewertet. Ein Künstler kann behaupten, was er will. Ob er recht hat, wird sich herausstellen, wenn ich ihn in Vergleich setze mit anderen.

Wie sehen Sie diesbezüglich Österreich?

Die Österreicher müssen lernen, mit Grund von ihrer Kultur zu sprechen. Und das können sie nur, wenn sie wissen, wie sie sich von den anderen überhaupt unterscheiden können, denn wie sollen sie Österreicher sein, wenn sie nicht unterscheidbar sind. Also müssen die Österreicher lernen, sich als Österreicher überhaupt schätzen zu können, indem sie die Gründe der Unterscheidung von anderen kennenlernen. Das muss man studieren! Man kann nicht Österreicher sein, ohne selbst Kenner der eigenen kulturellen Herkunft und Geschichte zu sein – im Vergleich mit den Geschichten anderer. Ohne Bildung gibt es keine Behauptung einer Identität und Bildung, das heißt, die Fähigkeit zu vergleichen zu haben. Eine andere Definition von Bildung gibt es nicht. Nur der, welcher unterscheiden kann – als Chemiker, als Künstler etc., ist gebildet.    

Text: Wolfgang Pauker