Das Leben kann langweilig oder aufregend sein. Spoerris‘ gehört mit Sicherheit zweiter Kategorie an. Aufgewachsen im Krieg, später auf der Straße entdeckt und zum Solotänzer ausgebildet, hat er schlussendlich mit seinen Fallenbildern Kunstgeschichte geschrieben. Heute gilt er als einer der wichtigsten Vertreter der Objektkunst und ist in so gut wie jedem renommierten Museum der Welt vertreten. Am 19. September wird er an einer Kunstaktion in Weiz teilnehmen.
Sie fanden Eingang in die Kunstgeschichte – beachtenswert für jemanden, der aus mehreren Schulen flog…
(lacht) Woher wissen Sie, dass ich aus mehreren Schulen geflogen bin? Nun gut, das hatte natürlich mehrere Gründe, lag aber vor allem daran, dass ich aus Rumänien stamme, wo ich zwar ein sehr guter Schüler war, aber 1937 die Schule im Zuge von „Säuberungen“ verlassen musste. Dann kam ich in eine faschistische rumänische Schule, aus der ich auch flog, weil mein Name nicht ganz koscher war. Zwei Jahre war ich dann in gar keiner Schule. Das war zu Beginn des Krieges. Wir Kinder haben gestohlen und alles Mögliche angestellt und als ich dann wieder in die Schweiz und eine normale Schule kam, verpasste ich den Anschluss und flog wieder. Hier lagen die Gründe für meine schulischen Erfolge, aber nicht daran, dass ich kein schlaues Kerlchen war.
Sie haben in der Schweiz, Italien, Griechenland, Frankreich und jetzt in Österreich gelebt. Sind Sie ein Heimatloser oder ein Heimatverweigerer?
Vielleicht bin ich mittlerweile, seitdem ich weiß, dass die Heimatlosigkeit mein Kapital ist, Heimatverweigerer. Denn es kann auch ein Ansporn sein, um lebendig zu bleiben, wenn man in meinem Alter nicht immer am selben Ort ist. Wo das Nest ausgebaut ist und man langsam alles aufgibt. Von daher bin ich jetzt wohl Verweigerer, aber am Anfang war ich sicher ein Heimatloser. Die Schweiz hat mir nicht gepasst. Ich kam aus dem verwilderten Rumänien und musste während des Krieges im strengen Haushalt meines Onkels leben, weshalb ich dann per Autostopp so schnell wie möglich wieder abgehauen bin.
Ich fühle mich sehr wohl. Ich bin ja in Galatz, also an der Donau geboren und bin nun sozusagen wieder an die Donau zurückgekehrt und empfinde das ein bisschen als Heimat. Auch sprachlich – Deutsch ist meine Hauptsprache und ich muss nicht nachdenken, bevor ich einen Satz formuliere…
Fällt es Ihnen leichter, sich in einen neuen Ort einzugewöhnen oder einen alten zu verlassen?
Einen zu verlassen fällt mir überhaupt nicht schwer, weil ich ihn immer dann verlasse, wenn ich wirklich alles ausgekostet habe und es nicht mehr wirklich interessant ist. Heimatlosigkeit heißt ja nicht, dass man sich nicht für etwas interessiert, sondern im Gegenteil – dadurch, dass man keine Heimat hat, frisst man sich in etwas hinein, dass man nicht kennt. So habe ich diese Länder, diese Kulturen aufgesogen und war dort auch „zu Hause“.
Ist Österreich ein guter Boden für Kunstschaffende?
Es ist schon sehr auf sich selbst bezogen, was die zeitgenössische Kunst betrifft. Die Künstler müssen sich eher im Ausland beweisen, um international zu werden. Auch im Umkehrschluss gibt es, glaube ich, nicht sehr viele Künstler, die nach Wien ziehen würden. Hier bin ich wohl eine Ausnahme. In dem Sinn ist Österreich sicher provinzieller als Berlin, Paris oder London.
Wie stehen Sie Kulturförderung aus öffentlicher Hand gegenüber?
Es ist legitim, einem jungen Künstler zu sagen, du bekommst nichts, bis du dich bewiesen hast. Es ist ja auch Luxus, Künstler zu sein. Die meisten Menschen sind ja schon froh, wenn sie für sich selbst sorgen und überleben können. Wenn man dann auch noch Kunst machen will, ist das ein Luxus, den man sich leistet und für den man auch die nötige Kraft haben muss. Das wäre ein Argument dagegen. Nicht aus Sadismus, weil die jungen Leute hungern sollen, sondern weil es das Dilemma ist, dass man ja beweisen soll, es auch ohne Förderungen zu schaffen. Andererseits sollte es natürlich für interessante Projekte Unterstützung geben. Aber ich denke, plus/minus funktioniert das mit den Förderungen ja auch so.
Zu Beginn Ihrer Karriere stand das Tanzen, und keine Akademie…
Mein Tanzen war ja eigentlich ein Veitztanz (Tanzwut, Anm. d. Red.). Ich hatte keinen Beruf, wusste nicht, was ich lernen sollte und schulisch war es, wie schon gesagt, ja auch nicht so weit her. Heute kann man ja ohne Akademie kaum noch als Künstler bestehen. Damals waren die meisten Künstler kaum in Akademien – im Gegenteil, man wollte sich ja dagegen auflehnen und sie waren verpönt, weil sie diesen Geruch der Nazikunst hatten. Diese mussten sich erst neu erfinden und auch abstrakte Kunst gelten lassen. Tanzen war für mich eine Befreiung. Ich schwitzte alles, was in mir rumorte, dabei heraus. Man sagte mir dann, ich sei der geborene Tänzer und solle in eine Tanzschule gehen. Dort herrschte dann Zucht und ich musste lernen, meinen Körper zu beherrschen und nicht nur zu explodieren. Das gelang dann innerhalb einiger Jahre und ich schaffte es immerhin, in einem Berner Ballett Solotänzer zu werden.
Ihre Kunst ist nicht nur ein Genuss per se, sondern hat auch sehr viel mit Genuss bzw. dem Thema Essen zu tun.
Das kommt vielleicht auch aus diesen Kriegserinnerungen, wo wir nicht genug zu essen hatten. Ich habe aber, muss ich dazusagen, nie gehungert, auch weil ich ein Schlaumeier war, der ja im Krieg nicht in die Schule ging und Zeit hatte, mit einer kleinen Bande zu Bauern zu gehen um dort ein paar Kartoffeln zu erbetteln. Ich bin auch kein Maler und es ging mir nie um Aktzeichnen oder Landschaftsmalerei. Ich habe die ersten Tische für meine Fallenbilder aber nicht etwa aufgeklebt, um Essen zu zeigen, sondern ich dachte an Kasimir Malewitsch, also an Formen, Kreise usw. die sich auf eine unbewusste Art auf einer Fläche bewegen. Die Ordnung des gedeckten Tischs weicht einer Unordnung, weil man nach dem Essen ja nicht schaut, wohin man die Gabel legt. Diese unbewusste Ordnung hat mich interessiert.
Die Idee ist also wichtiger als das Werk?
Wir waren eine ganze Gruppe von mehreren Künstlern, die die Banalität unterstreichen wollten. Es war Konzept, bei jedem von uns. Wir, die neuen Realisten (Nouveau Réalisme) – ein Name, der mir missfiel, aber ich wurde überstimmt – wollten mit Banalen Mitteln zeigen, dass Kunst auch eine Lebenshaltung ist, wenn man es bewusst macht.
Warum mit dem Namen unzufrieden?
Im Grunde war ich gegen diese Ismen, denn die repräsentieren ja nicht die Sache selbst, sondern eine Tendenz zu irgendetwas. Das waren Beleidigungen und das Wort wurde von Kritikern erfunden. Heute denkt bei Kubismus oder ähnlichem ja niemand mehr an eine Beleidigung. Wir waren eine Gruppe, die sich um keine großen Namen kümmerte, sondern auf Alltagsgebräuche schaute. Uns waren Konzepte, Kompression, Akkumulation usw. wichtig. Ich wollte einen Ausschnitt von Realität zeigen, ein Stück Welt mittels Gegenständen, die eine Geschichte erzählen. Geschichte im Sinne von Schichten, die übereinanderliegen, ganz im Sinne der Topologie des Zufalls.
Möchten Sie mit Ihren Arbeiten auch Kritik üben? An der Überflussgesellschaft etwa?
Ich bin kein Kritiker. Ich möchte kein Missionar sein, der mit dem Zeigefinger auf etwas zeigt. Ich habe eher Spaß daran, Dinge zu zeigen. Die Kritik an der heutigen Nahrungsmittelindustrie ist ja berechtigt, aber mit Bio alleine kann man auch keine sieben Milliarden Menschen ernähren. Natürlich gibt es Gaunerfirmen, die die Situation ausnützen, aber, und gerade auch in Österreich, gibt es ja eher die Tendenz, es so gut wie möglich zu machen.
Das jüngste Projekt befindet sich in Hadersdorf am Kamp. Ein Restaurant und Ausstellungshaus.
Beim Restaurant war mir wichtig, dass das Stichwort Eat-Art, welches ich vor mehr als 50 Jahren in die Welt gesetzt habe, unterstrichen wird. Gegenüber befindet sich in einem ursprünglichen Klosterbesitz das wunderschöne, frisch renovierte Ausstellungshaus Ab-Art. Dort verhält es sich ähnlich wie in Italien, wo mein Park so etwas wie mein Poesiealbum ist, wie ein Freund einmal scherzhaft gemeint hat. In Hadersdorf wie auch im Il Giardino trete ich nicht als Sammler meiner Arbeiten auf, sondern nehme Werke von befreundeten Künstlern und Schülern und bin quasi der Nenner, der erklärt, wieso sie hier ausstellen.
Text: Wolfgang Pauker