Friedrich Zawrel wurde als Kind unter dem Nationalsozialismus in der Krankenanstalt „Am Spiegelgrund“ interniert. Hier wurden kranke, behinderte und vermeintlich erblich belastete Kinder für Versuche missbraucht und ermordet. Der Arzt Dr. Gross stufte Zawrel in einem Gutachten als „erbbiologisch und sozial minderwertig“ ein. Doch diesem gelang es aus der Anstalt zu fliehen. Rund 30 Jahre später trafen Opfer und Peiniger wieder aufeinander. Als Gerichtsgutachter sorgte Dr. Gross erneut dafür, dass Zawrel für viele Jahre weggesperrt wurde. Es begann ein langer Kampf um Gerechtigkeit.
Das NS-Regimes wütete auf sadistisch vielfältige Art gegen Leib, Verstand und Seele. Aber auch 70 Jahre nach dem Ende dieser Mordmaschinerie erfahren wir immer noch von neu entdeckten oder zusätzlichen Verheerungen an Einzelnen und großen Menschengruppen. Seit 38 Jahren versucht die Steirische Gesellschaft für Kulturpolitik, deren Darstellung und auch Aufdeckung an heutige Generationen zu vermitteln. In einer 3-teiligen Edition folgt man nun dem Träger des Goldenen Ehrenzeichens für Verdienste um die Republik, Friedrich Zawrel, ins Akademietheater und erlebt dort die Aufführung der Lebensgeschichte des erst kürzlich verstorbenen Zeitzeugen. Das dokumentarische Figurentheater wurde mit dem Nestroy-Theaterpreis ausgezeichnet. Gestaltet wurde diese künstlerische Aufarbeitung eines außergewöhnlichen Lebens vom 1987 in Graz geborenen Nikolaus Habjan, einem der talentiertesten österreichischen Regisseure, Kabarettisten, Puppenspielern und Kunstpfeifer. Zawrel bleibt als ein besonderes Beispiel für Kraft, Charakter und Überlebensfähigkeit in Erinnerung, die gar nicht so wenige vom Äußersten bedrohte Menschen aufbrachten. Er selbst hinterlässt uns eine ganz außerordentliche Faszination: ein kraftvoll Überlebender aus einer politischen Perversion, in der sogar als „Kranke“ abgestempelte gerade noch ein Reagenzglas wert waren. Weit entfernt davon, nicht nur 70 Jahre, sondern durch wachsendes Engagement sowie viele Bemühungen und Aktivitäten auf verschiedensten Ebenen weiter, entlasten sich manche, vor allem wichtige Institutionen, dennoch mit der sedierenden Bezeichnung „Mensch mit besonderen Bedürfnissen“.
Als DVD erhältlich
Das nun erschienene und von der Steirischen Gesellschaft für Kulturpolitik koproduzierte dreiteilige Digipack beinhaltet eine DVD mit dem Figurentheater in deutschen und englischen Untertiteln und bietet darüber hinaus unveröffentlichte Originalinterviews sowie die Dokumentation der Trauerfeier des am 20. Februar 2015 in Wien verstorbenen Zawrel. Im umfangreichen Booklet finden sich neben den Geleitschreiben der Förderer und Koproduzenten besondere Texte von Friedrich Zawrel, Florian Klenk und Werner Vogt. Die Präsentation fand am 24. Juni im Akademietheater Wien mit einer (weiteren) Vorstellung des Theaterstückes statt. Im Herbst wird Vergleichbares in Graz zu sehen sein.
Friedrich Zawrel
Geboren am 17. November 1929 in Lyon als Friedrich Pumperla, überlebte er das Kinder-Euthanasie-Programm der Nationalsozialisten. Im Alter von elf Jahren hatte er bereits fünf Jahre in drei Erziehungsheimen und bei Pflegeeltern verbracht, ehe er im Jänner 1941 in die Krankenanstalt Am Spiegelgrund eingewiesen wurde, in welcher ca. 7.500 Patienten, darunter etwa 800 Kinder, ermordet wurden. Unter Heinrich Gross und Ernst Illing war er Medikamentenversuchen und sadistischen Methoden ausgeliefert. Ohne Schulabschluss und Berufsausbildung wurde er mehrmals durch Eigentumsdelikte straffällig und deshalb 1975 ein zweites Mal Opfer des damaligen Täters und später vielbeschäftigten Gerichtsgutachters Heinrich Gross. Dieser wollte Zawrel in die Psychiatrie einweisen lassen und zitierte Passagen aus Illings im Nationalsozialismus angefertigtem Gutachten. Doch Zawrel wehrte sich erfolgreich. Als Zeitzeuge trug er wesentlich zur Aufarbeitung der Verbrechen der NS-Mediziner am Spiegelgrund bei und wurde dafür mit dem Goldenen Verdienstzeichen der Stadt Wien geehrt. Friedrich Zawrels Kindheit zählt zu den am best dokumentierten Lebensläufen von Kindern in Österreich zwischen 1938 und 1945.
Text: Wolfgang Pauker