Seit mehr als 30 Jahren prägen die beiden Brüder Karl und Rudi Obauer die österreichische Küche maßgeblich. Ihr Restaurant in Werfen ist mit 4 Hauben von Gault Millau ausgezeichnet. Ende 2012 wurden sie im Wiener Steirereck zu „Köchen des Jahrzehnts“ ernannt. Die unabhängige Kulturzeitung besuchte die beiden Kochgenies in ihrem Restaurant – ein Gespräch über verlernten Geschmack, Qualitätsempfinden und einfachen Luxus.
Ist gute Küche automatisch gesund – oder stehen sich Genuss und Gesundheit auch hin und wieder im Weg?
Rudi Obauer: Genuss ist nicht immer gesund. Leider. Eine Leberkäsesemmel kann auch was Gutes sein. Ich denke aber, dass gerade in der gehobenen Gastronomie, in der man auch einen gewissen Preis zahlt, man sich schon erwarten kann, dass es sich bei den Gerichten um etwas Gesundes handelt. Das Essen soll einem nicht nur gut schmecken, sondern einem auch gut tun.
Muss gutes Essen automatisch teuer sein?
Rudi O.: Das ist ein Irrglaube. Es kann eine einfache Kartoffelsuppe sensationell sein, und dennoch ist das an sich nichts Teures.
In der Spitzengastronomie wird sie aber dennoch ihren Preis haben…
Karl Obauer: Die Leute vergessen, dass auch hinter Gerichten mit vergleichsweise einfachen Zutaten ein hoher Aufwand stecken kann. Es ist aber nicht das Gehalt unserer Mitarbeiter, das so hoch ist, es sind die Lohnnebenkosten, die alles unerträglich machen.
Wird man als Genießer geboren oder als solcher erzogen?
Rudi O.: Im Endeffekt übernimmt man das Qualitätsdenken der Eltern. Man übernimmt einen gewissen Urgeschmack, der einem ein Leben lang begleitet. Es ist also ein großes Glück, wenn die Mutter oder Großmutter zu Hause kocht. Wenn man dieses Glück nicht hat, ist man arm dran.
Karl O.: Eigentlich sollte in der Schule auf dem Stundeplan Ernährung stehen. Für mich ist das einfach ein wichtiger Teil Allgemeinbildung. Aber wenn man die Leute zu sehr aufklären würde, dann würde sich so mancher Mist, der angeboten wird, nicht mehr verkaufen lassen. Da krankt es generell an unserem System. Ich glaube, dass es in der Zukunft auch immer problematischer werden wird – das Geschmacksempfinden der Menschen wird deformiert.
Wer ist schuld daran, dass wir nicht mehr wissen, wie natürliche Produkte wirklich schmecken?
Karl O.: Die Sorte von Lebensmittelindustrie, der es nur mehr ums Geldverdienen geht und nicht mehr um das Produkt. Die meisten Sorgen mache ich mir um unsere Kinder. Sie werden über ihre gesamte Schullaufbahn mit Fast-Food und Kantinenessen regelrecht verdorben. Überall wird hemmungslos Glutamat verwendet, das ungesund ist und einen Einheitsgeschmack vermittelt, den es so gar nicht geben würde.
Rudi O.: Geben Sie einem kleinen Kind einmal eine richtige Schokolade. Es wird sie nicht mögen. Denn das, was in den Supermärkten als solche verkauft wird, hat mit Schokolade ja nichts mehr zu tun, da schmeckt man nur mehr den Zucker. Eltern müssen ihren Kindern Geschmack wieder lehren und höllisch darauf aufpassen, dass sie kulinarisch nicht deformiert werden.
Könnte die Bio-Bewegung hier eine möglich Lösung für dieses Problem sein?
Karl O: Es wäre toll, wenn alles, was als Bio verkauft wird, auch wirklich Bio wäre. Das glaube ich aber nicht. Und eigentlich ist es auch gar nicht überprüfbar, ob etwas 100 % Bio ist. Nicht einmal wenn ich es selber anbaue.
Rudi O.: Schon alleine wenn ich daran denke wie unsere Lebensmittel verpackt sind, alles ist in Plastik eingewickelt oder eingeschweißt – was hat denn das mit Bio zu tun?
Beste Qualität wandert so gut wie ausschließlich in die Spitzengastronomie – wo hat der normale Konsument die Möglichkeit, einwandfreie, tolle Zutaten zu bekommen?
Rudi O.: Am besten, man nimmt Produkte, die kurze Transportwege hinter sich haben, also regionale Produkte. Und je weniger Verpackung, desto besser und gesünder, würde ich sagen. Ist ganz einfach.
Karl O.: Qualität muss mir was wert sein. Nicht nur vom Preis her gesehen, sondern auch von der Zeit, die ich dafür benötige um gewünschte Produkte zu bekommen. Und wenn man gerne kocht, dann betrachtet man diesen Aufwand sowieso nicht als solchen. Es macht Spaß auf den Markt zu gehen!
Wer gerne kocht, nimmt sich dazu Zeit – würden Sie Hobbyköchen raten, Basiszutaten wie Fonds oder Öle selbst herzustellen, um tolles Essen zuzubereiten?
Nein. Denn es wird schwierig sein als Hobbykoch einen Fond mit 25 Liter zu kochen, der aus 15 Kilo Knochen besteht, einem Haufen Gemüse und Gewürzen. Es fehlt an den Geräten, an der Entlüftung. Irgendwo muss man sich dann schon aushelfen. Entweder mit halbfertigen Produkten, oder am besten, sie haben einen Koch, der Ihnen mal einen Liter abgibt.
Welchen Tipp würden Sie Hobbyköchen geben?
Rudi O.: Man sollte sich nicht übernehmen. Besser es gibt ein tolles Gericht, und das vielleicht nur einmal am Tag, als mehrere, die durch Stress an Qualität einbüßen. Wie auch das Leben, gehört auch das Kochen eingeteilt. Von der Produktbeschaffung bis hin zum Kochen selbst. Für richtiges Kochen muss man sich Zeit nehmen. Und man braucht die Muse dazu.
Wie kochen Sie zu Hause?
Rudi O.: Ich koche meist etwas, das in ein oder zwei Töpfen Platz hat. Kalbsstelze zum Beispiel oder ein gutes Huhn. Wo dann alle zusammensitzen und herausnehmen. Kann auch mal eine selbstgemachte Pizza sein.
Karl O.: Als ständig kochende Person tut man sich natürlich leichter. Es fällt einem immer etwas ein. Unkompliziert muss es halt sein.
Gibt es beim Genuss eine moralische Grenze? Wie sieht es zum Beispiel mit Gänsestopfleber aus – sollte man Delikatessen wie diese aus moralischen Gründen ablehnen?
Sicher gibt es Produzenten, die die Gänse auf eine Art stopfen, die hinterfragenswürdig ist. Vor allem wenn es maschinell passiert. Die traditionellen Hersteller im Süden Frankreichs oder in Teilen Ungarns jedoch leben schon seit Generationen vom Gänsestopfen. Wer hier eine gute Qualität erreichen will, wird seine Tiere auf keinen Fall schlecht behandeln. Moralisch vertretbar ist für mich viel weniger, wenn man sich einen Vogel kauft, ihn in einen Käfig sperrt und diesen in das Wohnzimmer stellt. Oder einen Hund hat, obwohl man in einer 50 m2 Wohnung wohnt. Tiere gehören auf den Bauernhof!
Text: Stefan Zavernik