Start Interviews Josef Winkler: „Die Angst lauert nach wie vor“

Josef Winkler: „Die Angst lauert nach wie vor“

Josef Winkler mit Zwerg

Erstmals konnte der „steirische herbst“ den Literaten Josef Winkler für eine Produktion gewinnen. Dieser geht mit dem Komponisten Johannes Maria Staud für die Eröffnung des Festivals ein künstlerisches Experiment ein. „Achtzig“ sprach mit Winkler über das Stück „Specter of the Gardenia oder Der Tag wird kommen“, Literatur als Lebensgrundlage und eine Zeitreise gegen die Sprachlosigkeit.

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Josef Winkler

Hatten Sie schon lange die Absicht etwas für das Festival zu machen?

Eigentlich schon, dass es nun wirklich dazu gekommen ist, war aber mehr oder weniger Zufall. Schon vor vielen Jahren hatte mich Veronika Kaup-Hasler gefragt, ob ich es mir vorstellen könnte. Ich war von Anfang interessiert. Schlussendlich hat sie mir aber zu viel Zeit gelassen. Sie hat es gut gemeint und wollte mich zu nichts drängen. Es hat sich dann dahingezogen, ohne auf eine konkrete Idee zu kommen. So eine Herangehensweise ist prinzipiell ein Fehler. Man muss hinter den Dingen immer hinterher sein.

Viele Künstler wünschen sich, ohne Druck arbeiten zu können. Sie nicht?

Im Laufe meines Lebens bin ich draufgekommen, dass es hin und wieder zu etwas Gutem führt, wenn man zu einer Sache angestoßen wird. Oft möchte man etwas gar nicht so richtig, tut es dann aber doch und es entsteht etwas Gutes dabei. Der Zufall ließ uns nach Jahren beim Schwimmen im Wörthersee aufeinandertreffen. Wir konnten uns zur Begrüßung zwar nicht die Hand geben, aber wir haben uns unser Wort gegeben, dass ich nun endlich etwas für den herbst machen werde. Und es war klar: Wenn es passieren soll, muss es sofort passieren. Ich machte mich ans Schreiben.

DSC_3710Das Stück „Specter of the Gardenia oder Der Tag wird kommen“ ist experimentelles Musiktheater. Welche Vorgaben mussten Sie berücksichtigen?

Ich hatte immer freie Hand, konnte mir das Thema aussuchen. Als die ersten Sätze entstanden, sah ich sofort, dass mir die Arbeit Spaß machen würde. Eine ganze Flut an Sätzen ist dahergekommen. Irgendwann hatte ich dann 30 bis 40 mit der Maschine geschriebenen Seiten. Die habe ich dann lose, ohne Ordnung, Veronika gegeben. Es war Rohmaterial. Man hat aber schon gesehen, dass es was wird. Auch Johannes Maria Staud hat es zum Lesen bekommen. Er hat mir dann gesagt, welche speziellen Sätze ihm besonders gut gefallen würden. So habe ich dann weiterarbeiten können. Insgesamt sind es sechs oder sieben Fassungen gewesen, die entstanden sind und über die wir gemeinsam diskutiert hatten. Mit der letzten hatte Johannes dann das Sprachmaterial, mit dem er seine Komposition füttern konnte.

Wie schwierig war es, etwas zu schreiben, dass Teil einer Komposition sein würde?

Ich hab mir seine Musik natürlich angehört, bevor ich mit dem Schreiben begonnen habe. Mir war auch von vornherein klar, dass moderne Komponisten etwas Unnahbares sind. Ich habe aber nie zähneklappernd daran gedacht, dass er mit meinem Text womöglich nichts anfangen könnte. Ich konnte allerdings meine Sätze, so wie ich es gerne mache, nicht über zwei, drei Seiten gehen lassen. Ich musste sie immer wieder abstoppen, sonst wäre Johannes niemals in der Lage gewesen, die richtigen Töne für sie zu finden. Er musste mit seinen Klängen in die Sätze hineinschneiden können. Ich habe mich also zurückgehalten.

Johannes Maria Staud und Josef Winkler
Johannes Maria Staud und Josef Winkler

Der „steirische herbst“ greift 2015 mit „Back to the Future“ auch das Thema der Zeitreise auf. Haben Sie selbst bereits Erfahrungen mit Zeitreisen gemacht?

Als ich 30 Jahre alt war, unternahm ich eine Zeitreise in meine Kindheit. Ich konnte nicht mehr schreiben und das obwohl ich bereits Suhrkamp-Autor war, einige Preise erhalten hatte und Literatur-Stipendien bekam. Nachdem ich drei Bücher geschrieben hatte – die Roman-Trilogie Das wilde Kärnten – habe ich die Sprache verloren. Ich war in Berlin, Venedig, Paris, Rom und irgendwann habe ich dann gemerkt, diese schönen, elenden Schriftstelleraufenthalte nützen mir nichts mehr.  Ich konnte nicht mehr weiterschreiben, was sollte ich tun? Ich wäre an den schönsten Orten verkümmert; sollte ich mich in Paris in die Seine werfen, oder mich gar erschießen? Ich ahnte dann, dass ich dorthin zurückgehen musste, wo ich sprachlos aufgewachsen war. Und zwar in mein Elternhaus, in dem mein Erzfeind, den ich in den ersten drei Büchern gemeinsam mit dem Dorf ausführlich beschrieben hatte, lebte: mein Vater. Als sprachliches Elendshäufchen spürte ich, dass ich, wenn ich zu ihm auf den Hof zurückkehren würde, in dieses Dorf, das mich nicht duldet, und meine Kindheit als nun 30-Jähriger nacherleben dürfte, dann könnte daraus womöglich eine Heimkehr des verlorenen Sohnes werden. Mein Vater hat mich mit offen Armen, also biblisch, empfangen. Hat es geduldet, dass ich bei ihm bin. Er hat mich im Haus und am Hof mehr oder weniger versteckt, denn die Bewohner des Dorfes sagten offen, dass ich aufpassen sollte, dass sie mich nicht irgendwo im Wald oder in den Auen erwischen. Ich hätte das Dorf (mit der Romantrilogie Das wilde Kärnten, Anm. d. Red.) kaputt geschrieben, sagten sie. Dennoch bin ich in diesen Kerker, in dieses dörfliche Elend zurückgekommen. Es hat mir geholfen. Die Zeitreise in meine Kindheit hat mir die Sprache zurückgegeben.

Wie haben Sie sich ans Schreiben zurückgetastet?

Ich hatte den Hof ohne Begleitung meines Vaters gerade in den ersten Monaten so gut wie überhaupt nicht verlassen. Abends, wenn es finster war, bin ich oft auf den Friedhof gegangen zu den „herzensguten Toten“ – wie ich sie genannt habe. In den darauffolgenden Jahren habe ich dem Vater im Stall, im Wald und bei der Feldarbeit geholfen. Immer dabei hatte ich einen Zettel Papier, auf dem ich mitgeschrieben habe, was er erzählt hat. Meine ganze Situation habe ich beschrieben. Daraus ist dann der Roman Der Leibeigene entstanden.  Es geht darin um einen rechtlosen Knecht. Das war die goldene Brücke für das Weiterschreiben. Von da an konnte ich dann auch wieder reisen und war ständig in Bewegung.

Hatten Sie Angst, wieder in die Sprachlosigkeit zu verfallen?

Die Angst lauert nach wie vor. Ich habe aber in den letzten 30 bis 35 Jahren damit umzugehen gelernt. Auf der Hut muss man aber immer sein, denn der Teufel schläft nicht. Wieso sollte er auch schlafen? Dann wäre er ja dumm.

Die Welt der Literatur wurde Ihnen nicht in die Wiege gelegt. Im Gegenteil, Sie wuchsen in einer sprachlosen Welt auf. Woher stammt Ihr Gefühl für die Sprache?

Schon als ganz junger Mensch mit 15, 16 Jahren habe ich ungeheuerlich viel gelesen, darunter 30 bis 40 Karl May Bücher. Vor allem aber hat mich Literatur, unterschiedliche Formen und Stile interessiert. In den darauffolgenden zehn Jahren habe ich mich durch die Weltliteratur gewühlt. Ich habe auch viel angelesen und geschmökert, um zu sehen, wie schreibt jemand, welche Sprache verwendet er, welchen Stil? Durch meinen Lernprozess war es mir dann möglich, dieses Formen- und Stilspiel mit meinen sehr eingekreisten engeren Motiven, vielfältig ausdrücken zu können.

Es heißt, die heutige Jugend lese zu wenig. Stimmen Sie dem zu?

Ich beneide die heutige Jugend nicht. Sie sieht sich einer ungeheuerlichen elektronischen Ablenkungsmaschinerie gegenüber. Wie sie damit umgeht, erschüttert mich. Ich habe damals Geld stehlen müssen, um an Bücher zu kommen. Den Jugendlichen heute kann man einen Meter Bücher vor die Füße stellen und sie würden nur darüber stolpern, da sie dahinter ihr Handy suchen. Ich weiß nicht, wie es in 20 Jahren ausschauen wird, aber ich habe Angst, dass es zu einer ganzen Generation von Kommunikationskrüppeln kommen wird, die nicht mehr wie wir, von Angesicht zu Angesicht sitzen und miteinander reden können. Sie werden nichts mehr von den Augen ablesen können, sondern nur mehr von elektronischen Geräten. Das ist bedauerlich. Das sind keine Abenteuer, das ist nur die gelackte Oberfläche. Mit der werden sie niemals glücklich werden. Und wahrscheinlich auch nicht unglücklich. Da ist nur die große Leere, in der nichts Menschliches zu finden ist.

Ein entspannter Josef Winkler im Gespräch
Ein entspannter Josef Winkler im Gespräch

Die Literatur wird den jüngeren Generationen immer fremder; für Sie war sie lebenswichtig. Jahrelang haben Sie gegen den Selbstmord angeschrieben. Wie hat sich das Verhältnis zum Tod über die Jahre verändert?

Ich war damals 21 oder 22 Jahre alt. Jemand hat mich auf das Werk von Hans Henny Jahnn aufmerksam gemacht. Ich kam irgendwie zu seinem Kurzroman Die Nacht aus Blei. Er hat mich sehr interessiert. Ich wusste, dieser Autor würde für mich wichtig werden. Ich habe mir dann sein Gesamtwerk zugelegt, eine leinenkaschierte Bücher-Kassette. Sie hatte in etwa 10.000 Seiten. Jahnns Werk hat mich so fasziniert, dass ich gewusst habe: Jetzt kann der Selbstmord ein ganzes Jahr, vielleicht sogar zwei Jahre – solange ich daran eben lese – aufgeschoben werden. Ich habe gewusst, ich stehe am Morgen auf und kann mich mit etwas beschäftigen, das einen Sinn ergibt. Das war nicht nur Literatur, sondern eine ganz besondere Literatur. Auf diese Weise habe ich mir hunderte, kleine Brücken zum Weiterleben erbauen können. Zu dieser Zeit ist auch das Formulieren, das eigene Schreiben immer stärker geworden. Mit dem Schreiben konnte ich meinen Dämon, das Tier, das sich ständig mit dem Tod beschäftigte, am Genick packen, sodass mich sein Gift nicht mehr zerreißen konnte.

Haben Sie Angst vor dem Tod?

Früher hatte ich – bis mein innerer Wetterumschwung kam – oft eine ungeheure Sehnsucht nach dem Tod. Aus diesem Grund habe ich wahrscheinlich keine Angst vor ihm. Das Thema beschäftigt mich überhaupt nicht mehr so wie früher. Aber wir wissen ja alle nicht, was uns übermorgen blüht. Ich würde mein Maul nicht zu weit aufreißen, nach heutiger Lebenserfahrung.

Text: Stefan Zavernik