Seit 40 Jahren begeistert Konstantin Wecker seine Fans. Mit seiner Musik, seinen Texten und allen voran, seinen Botschaften. „Achtzig“ interviewte den gesellschaftskritischen Liedermacher und sprach mit ihm über die Kunst des Scheiterns, Liebe, Tod, die Freiheit der Kunst und notwendige Utopien.
Ihr 40-jähriges Bühnenjubiläum feiern Sie mit einer Tournee, die Sie Mitte Februar auch nach Graz führt. Wie sehr hat sich Konstantin Wecker in den vier Jahrzehnten verändert?
Im Herzen bin ich derselbe geblieben. Aber bei aller Energie, die ich heute noch habe, Klaviersolos wie mit Anfang Zwanzig schaffe ich nicht mehr. Davon abgesehen, hat sich eigentlich nichts verändert. Ich habe all die Jahre versucht, mir mit meinen Liedern treu zu blieben. Viele meiner Lieder, die ich in den 70-ern geschrieben habe, hätte ich genausogut gestern schreiben können. Das ist erstaunlich. Auch was die politische und gesellschaftliche Situation betrifft. Es ist erstaunlich, wie hellsichtig meine Lieder damals waren und dass sie sich heute noch immer bewahrheiten.
Wie viel haben Sie mit ihrer Kunst in 40 Jahren bewirkt?
Hin und wieder fragt man mich höhnisch: „Jetzt singst du seit 40 Jahren gegen bestimmte Zustände an und diese sind heute so akut wie lange nicht. Viel hast du nicht bewirkt mit deinen Liedern.“ Ich war nie der Meinung, dass man mit Kunst Politik machen kann. Viele Menschen aber kommen auf mich zu und sagen mir, dass ich sie mit meinen Liedern als jungen Menschen geprägt habe. Ich denke schon, dass ich etwas bewirkt habe. Ich konnte Menschen aufheitern und habe ihnen Denkansätze geliefert, ohne die sie sich anders entwickelt hätten.
Hemingway meinte, mit dem Alter wird man nicht weiser, sondern ängstlicher. Stimmen Sie dem zu?
Im mag Hemingway als Autor. Das, was er privat von sich gegeben hat, muss ich nicht unbedingt teilen. Ich denke auch nicht, dass man mit dem Alter ängstlicher wird. Man wird mit den Jahren ein wenig gelassener; bedingt durch die Niederlagen und Rückschläge, die man im Laufe seines Lebens erlebt hat. Wenn ich aber überlege, wie sich die jetzige gesellschaftspolitische Situation zuspitzt, dass ein Prozent der Menschheit mehr als die Hälfte des gesamten Vermögens unserer Erde besitzt, dann ist Gelassenheit jedoch nicht angebracht. Wer da nicht zornig wird, muss sehr ignorant sein. Und man muss im Alter nicht unbedingt ignorant werden, sondern kann ruhig in der gesellschaftspolitischen Wunde herumstochern.
Stichwort Niederlagen, rückblickend betrachtet: War das „aus der Bahn geworfen sein“ – hervorgerufen durch Ihre Kokainsucht – wesentlich, um jener Konstantin Wecker zu werden, der heute auf der Bühne steht?
Das ist vielleicht die bekannteste meiner Niederlagen, aber bei Leibe nicht die einzige. Ich bin, wie viele andere auch, oft in meinem Leben gescheitert. Heute bin ich der Überzeugung, dass das Schicksal immer klüger war als ich. Ich habe viele Dummheiten in meinem Leben gemacht, habe mich auf vieles eingelassen. Es ist aber nicht nur ein Nachteil Dummheiten zu machen, sondern auch ein Zeichen für Neugierde. Oft wurde ich vom Schicksal niedergeschlagen, dennoch haben mir diese Erlebnisse geholfen. Wenn ich ein Resümee der „Kunst des Scheiterns“ ziehe, würde ich sagen, die Kunst liegt darin, das Scheitern zu akzeptieren. Und nicht, wie es in unserer Gesellschaft oft üblich ist, vor sich selbst zu vertuschen. Es geht um Eigenverantwortlichkeit. Sicher gibt es einiges, das ich gerne rückgängig machen würde. Aber nun ist es nun einmal so. Ich kann nur meine Lehren daraus ziehen. Ich denke, das habe ich größtenteils getan.
Woher haben Sie die Energie genommen, wieder zurück in die Spur zu finden?
Ich habe ein wahnsinniges Glück in meinem Leben gehabt. Ich hab‘s nicht so mit dem Stolz, aber ich bin dankbar. Ich bin dankbar für Talente, für die ich nichts konnte. Zum Beispiel für meine Kompositionsgabe. Dieses Geschenk darf ich mit einem Publikum teilen. Es gibt mir ein Gemeinschaftsgefühl in Zeiten, in denen man sich mit seinen Ansichten oft ziemlich verloren fühlt. Mein Publikum ist nicht immer meiner Meinung, aber ich denke uns verbindet dieselbe Sehnsucht.
Eines ihrer Bücher lautet „Es gibt kein Leben ohne den Tod“ – wie kommen Sie mit dem Tod zu Recht?
Der Tod beschäftigt mich sehr. In Zeiten des Altwerdens wird man mit der Vergänglichkeit immer häufiger konfrontiert. Auch als junger Menschen ist einem das Thema Tod bewusst, aber es ist nicht so in einem drinnen. Man erkennt es rational und spielerisch. Je älter man aber wird, desto deutlicher spürt man das Sterben. Es sterben dann auch die Freunde immer häufiger. Aber auch der Tod bringt Vorteile. Je mehr man merkt, dass alles vergänglich ist, umso intensiver versucht man die Zeit, die einem bleibt, auszukosten. In unserer Gesellschaft tut man allerdings so, als gäbe es ein ewiges Leben und die ewige Jugend.
Hilft die Liebe gegen den Tod? Kann diese ewig währen oder muss auch sie begrenzt sein?
Alles ist möglich. Ich glaube an die Liebe. Als Dichter sehe ich das aber nicht so einseitig wie ein Schlagertext-Autor. Da gibt es meist nur eine Liebe – nämlich die in einer Beziehung. Es kommt zwar alles aus der großen Liebe, aber es ist ein Unterschied eine Frau, einen guten Freund oder die eigenen Kinder zu lieben.
Warum ich aber an die Liebe glaube, ist, weil ich der Meinung bin, dass alles was getan werden muss, eigentlich aus Liebe getan werden sollte. Das ist eine Aufgabe, der wir uns zu stellen haben. Wie wir zur Zeit sehen, gibt es ja immer wieder Gruppen, die meinen, Dinge aus Hass heraus tun zu müssen. So ein Denken hat nur Leid und Unheil in die Welt gebracht. Wir sollten uns bemühen alles aus Liebe zu tun; auch Dinge, die man auf den ersten Blick mit Liebe gar nicht verbindet.
In Zeiten von Charlie Hebdo: Wie weit darf Kunst gehen? Wann ist Satire nur mehr Spott? Wie viel Verantwortung trägt die Kunst: Sollte sie sich selbst beschränken, wenn eine Situation bereits aufgeheizt ist?
Aus Feigheit und Angst sollte sich Kunst nicht beschränken. Es gibt aber zum Beispiel Comedians, die nichts Anderes tun als über Menschen, die ihrer Meinung nach unter ihrem Niveau sind, herzuziehen. Ich würde das jetzt nicht verbieten, aber es interessiert mich einfach nicht. Zu Charlie Hebdo: Hier handelt es sich um ein politisches Satireblatt. Ich finde es unglaublich mutig und wichtig, dass es solche Blätter gibt. Natürlich ist es eine erschütternde Angelegenheit, dass es in einer aufgeklärten Gesellschaft Menschen gibt, die der Meinung sind, so etwas sollte nicht sein.
Aber muss es sein, dass Beiträge Menschen persönlich verletzen? Ich denke, solange Institutionen wie Parteien, Unternehmen oder Kirchen verletzt werden, kann man das machen. Mache ich auch selbst. Aber ich würde keinen Menschen persönlich mit meiner Kunst verletzen wollen.
Ist es legitim Kunst als reine Unterhaltung zu betreiben oder sollte Kunst immer einen Denkansatz liefern?
Ein Künstler sollte, auch wenn er unterhält, aufgrund seiner gesellschaftlichen Position eine Haltung haben. Das ist entscheidend. Auf etwas, das nur unterhält, kann man – meiner Meinung nach – verzichten. Ich persönlich brauche so etwas als Konsument nicht. Es heißt aber nicht, dass Kunst nicht witzig sein darf. Es gibt unglaublich gute Komödien und guten Humor.
Sie meinten schon vor langer Zeit, es fehle unserer Gesellschaft an Utopien. Was ist Ihre Utopie?
Meine Utopie ist eine von Kriegen und Waffen befreite, eine gewaltfreie Welt. Eine mitfühlende Gesellschaft. Mir ist bewusst, dass ich das nicht erleben werde. Aber Utopien sind ja gerade deswegen etwas so Schönes, da man sich an sie halten kann, obwohl man weiß, dass sie nicht sofort umsetzbar sind. Das, was unserer Gesellschaft am meisten fehlt, ist Mitgefühl. Es wird vor allem immer dann ausgeklammert, wenn es um Gewinn geht. Wir brauchen mehr als nur Pragmatik.
Text: Stefan Zavernik