Christian Ludwig Attersee feiert seinen 75. Geburtstag und gilt bereits zu Lebzeiten als ein wichtiger Teil österreichischer Kunstgeschichte. Ab dem 28. Mai ist ihm in der Hofgalerie im Steiermarkhof eine große Jubiläumsausstellung gewidmet. „Achtzig“ besuchte Attersee vorab in seinem Wiener Atelier und interviewte ihn über das Leben und den Tod, Geld, Kunst und das Spannendste daran, ein Mensch zu sein.
Heute zählst du zu den berühmtesten Malern Österreichs und kannst auf etwa 500 Ausstellungen im In- und Ausland zurückblicken. Wäre es dir gleichgültig, wenn du nicht berühmt geworden wärst?
Ab einem gewissen Alter ist es nicht der Ruhm, der wichtig ist, sondern die Gesundheit. Erfolgreich zu werden war als Künstler nicht mein größter Antrieb. Ich habe in meiner Jugend auch zehn Jahre lang kein Bild verkauft. Oft hab ich auf den Erfolg auch verzichtet, zum Beispiel, habe ich mich gegen eine Karriere im Ausland entschieden, da ich lieber in Österreich leben wollte.
Wie wichtig ist Geld in deinem Leben?
Mittlerweile habe ich schon alle meine Hemden und Unterhosen beisammen. Ich möchte zwar schuldenfrei leben und problemlos meine Miete zahlen können, aber ansonsten interessiert mich Geld nicht so richtig – hat es nie. Schöne Reisen waren mir wichtig, die muss man natürlich finanzieren können. Über den Atlantik segeln, den Nil bereisen. Aber sonst? Ich brauche für niemanden zu sparen, habe keine Kinder, und meine Frau verdient ihr Geld. Viel wichtiger als Geld ist für mich die Kunst. Ich mache sie nicht nur, ich brauche sie auch als Konsument.
Am heutigen Kunstmarkt regiert dennoch das Geld.
Die Kunstwelt ist eine andere geworden, ihre Auswüchse üben keine Faszination auf mich aus. Es gibt einen internationalen Kunsthandel, der von ein paar Einzelnen bestimmt wird. Dort landet das Geld und auch der Erfolg. Künstler, die dort nicht dabei sind, bleiben stecken, obwohl sie genauso gut wären. Vor 30 bis 40 Jahren war es sicherlich einfacher, erfolgreich zu werden. Damals haben wir aber unsere Kunst für Künstlerkollegen und Freunde gemacht – vielleicht auch für Feinde, aber nicht ausschließlich für reiche Leute. Das ist der große Unterschied.
Kannst du dich noch mit den Bildern, die du als „Junger“ gemalt hast, identifizieren?
Natürlich, sie sind ein Teil von mir. Entscheidend dafür ist, dass meine Kunst aus der Beschäftigung mit dem Alltag heraus entstanden ist. Ich bin jemand, der den Alltag zum Inhalt meines Lebens als Künstler gemacht hat. Ich habe ja nie das Ende der Malerei herangesehnt.
Wie hat sich das Arbeiten über die Jahrzehnte verändert?
Im Grunde hat sich kaum etwas geändert. Für mich gibt es keinen Wochentag oder Feiertag, das kenne ich nicht. Ich arbeite immer. Es gefällt mir auch, alles selbst zu machen, ich schneide sogar meine Passepartouts selbst. Dabei muss ich aufpassen, dass ich mich nicht schneide. Ich gehe auch nach wie vor segeln, damit meine Hände, mit denen ich male, auch in Schuss bleiben.
Eine Lebensweise die offenbar jung hält. Du wirkst mit 75 geradezu jugendlich. Dennoch erlaube ich mir ein Thema anzusprechen, welches im Herbst des Lebens eine zunehmend bedeutende Rolle spielt: Welche Beziehung hast du zum Tod?
Ich war in meiner Jugend schwer krank, lag lange im Spital. Ich habe das, was man Todessehnsucht nennt, also nur in bescheidenem Maße. Ich behandle den Tod wahrscheinlich auch deswegen in meiner Kunst nicht. In Momenten, an denen ich an den Tod denke, schaffe ich das mit einer leichten Melancholie. Irgendwie habe ich diese Stunden sogar ganz gerne. Ich habe mir auch schon vorgestellt, wie es wäre, wenn es einen Knopf gebe, auf den man drückt und damit sein Leben beendet. Es wäre irgendwie spannend, aber wenn ich länger darüber nachdenke, würde ich es bleiben lassen. Das Leben ist eh so kurz.
Denkst du eigentlich, dass es nach dem Tod etwas gibt?
Mit meiner bisherigen Lebenserfahrung bin ich mir sicher, dass es nach dem Tod nichts mehr gibt. Das ist natürlich schade und viele Menschen wollen das nicht wahrhaben. Aus diesem Grund wurden ja auch die Religionen erfunden. Ich selbst kann mit dieser Tatsache leben. Ich bin ohnehin immer ein Stück dieses Weltalls gewesen und bleibe es auch nach meinem Tod. Das ist für mich klar. „Ich lebe ewig, bis zu meinem Tod.“ Dieser Satz beinhaltet ja beides, das ewige Leben und den Tod. Ich bin allerdings tolerant genug, dass jeder glauben soll, was er will, solange er mich nicht damit belästigt. Das wäre mein einziger Wunsch.
Was macht ein Leben lebenswert?
Ich werde die Kunst bis zu dem Tag lieben, an dem ich sterbe. Für mich ist die Kunst eine von vielen Lebensmöglichkeiten, in der ich meinen natürlichen Weg gefunden habe. Ich bin dank ihrer Hilfe an der Schöpfung beteiligt, an einer täglichen Neuerfindung. Ich glaube, jeder muss für sich etwas tun, damit das so kurze Leben auch wirklich lebenswert wird. Ich denke, mir ist das innerhalb meiner vielen Tätigkeiten innerhalb der Kunst gelungen.
Glaubst du an Gott?
Nein, ich glaube an gar nichts. Ich versuche selbst in Gott-Nähe zu kommen. Das passiert in dem Moment, wo mich etwas ergreift und ich ein Bild finalisiere und es sozusagen aus der Hand gebe. Wenn ich mein Gehirn – den Teil, den ich steuern kann und jenen, den ich nicht steuern kann – zusammenbringe, sodass ich das „Jetztzeitgefühl“ erreiche, dann ist das für mich etwas Gottnahes, Gottgleiches. Das ist mein Schöpfungserlebnis: ein Bildfinale. Ich gebe ein Bild erst aus der Hand, wenn ich dieses Gefühl gehabt habe. Das sind Dinge, die man nicht vorweg bestimmen kann, die auch so wahnsinnig interessant sind am künstlerischen Leben. Irgendwie mischt sich da im Kopf irgendetwas ab, was man vorher so nicht beabsichtigt hat. Das ist der spannendste Punkt, ein Mensch zu sein. Es passiert mir auch in der Musik.
Die Musik und die Malerei – mit beiden verbindet dich eine große Leidenschaft.
In der Malerei und in der Musik erlebst du unterschiedliche Zeiterlebnisse. Beim Bilderfertigen kannst du immer übermalen, beim Konzert kannst du keine Fehler korrigieren. Bildende Kunst bleibt stehen. Auf der anderen Seite möchte ich ein Lied keine zwei Mal singen – es ist mir zu langweilig. Ich singe es jedes Mal anders. Deswegen bin ich auch kein reiner Musiker geworden.
Gibt es Bilder, bei denen du sagst: So gut bring ich das kein zweites Mal hin, auch wenn ich es wollte?
Das trifft fast auf alle meine Bilder zu. Wenn ich meine Bilder nahezu fertig habe, schaue ich sie in den letzten Wochen immer wieder aufs Neue an, um sie zu finalisieren. Das Schöpfungserlebnis, von dem ich vorhin gesprochen habe, ist schon vorbei, aber ich lasse es noch in mir ruhen und wachsen. Schlussendlich muss ich es freigeben, weil ich es sonst kaputt mache. Ich habe schon öfter versucht, ältere Bilder zu übermalen. Es geht immer schief, weil ich mich nicht mehr in diesen Menschen hineinversetzen kann, der damals das Bild gemalt hat.
Was verschafft Graz die Ehre, dass ihr deine Jubiläumsausstellung zum 75. Geburtstag zu Teil wird?
Ich habe zu Graz immer ein freundschaftliches Verhältnis gehabt. Als mir mein Grazer Galerist Gerhard Sommer den Vorschlag mit der Hofgalerie im Steiermarkhof gemacht hat, habe ich mich überzeugen lassen. Ich denke, es ist eine gute Location. Die Ausstellung in Graz ist der Auftakt meines Jubiläums. Es wird noch einige andere geben, unter anderem am Semmering, in Wien, Kärnten und am Attersee. Ich arbeite an einer neuen Grafik-Edition; auch an einer Oper, bei der ich das Bühnenbild mache und Regieteile mitbestimme (Premiere: 29. September im Brucknerhaus Linz). Ich habe noch einiges vor.
Text: Stefan Zavernik