Die Zeichnung vermag wie kein anderes Medium über den Stift die Befragung der eigenen Körperlichkeit so unmittelbar und schonungslos zu Papier zu bringen. Die aktuelle Ausstellung „Das gezeichnete Ich“ untersucht die Spuren, die das Leben im Individuum hinterlässt.
Der Besucher glaubt gewohnte Bilder zu sehen, wenn er den ersten Ausstellungsraum betritt. Günter Brus‘ Aktionsskizzen und Körperanalysen führen in die Ausstellung ein. Ein zweiter Blick enthüllt Werke aus allen Schaffensphasen und setzt ebenso den selbstironischen Zugang zur Selbstdarstellung und dem Künstler-Dasein in den Fokus. Ihm stellt Kurator Roman Grabner „den Brus der 70er-Jahre“, wie er ihn nennt, gegenüber. „Wenn Thomas Palme drei Tage lang nicht zeichnen kann, dann stellt das beinahe schon einen krisenhaften Zustand für den Künstler dar“, so Grabner. Ein Werkblock von 90 Blättern verweist auf seine enorme Produktion von mehr als 1.000 Zeichnungen pro Jahr. Der Künstler schlüpft zeichnerisch in verschiedene Rollen: als Hund, Wicki, der Tod oder Jesus provoziert er mit seinen Darstellungen und ironisiert diese zugleich mit den begleitenden Texten. Seine Einflüsse kommen weniger aus der bildenden Kunst als aus der Lyrik.
Im zweiten Raum offenbaren sich dem Besucher die Werke der amerikanischen Künstlerin Chloe Piene. Bekannt geworden durch ihre Auseinandersetzung mit amerikanischen Gefängnisinsassen und deren körperlicher Ausnahmesituation, machte sie bereits vor Jahren bei der Ausstellung Hers im Rahmen des steirischen herbst auf sich aufmerksam. In der aktuellen Ausstellung zeigt sie ihre Neuinterpretation der kunsthistorischen Ikonografie vom Tod und dem Mädchen, bei denen Piene sich selbst als Mädchen darstellt, das den Tod immer in sich trägt. Ähnlich wie Maria Lassnig diktiert das körperliche Empfinden die Linienführung und sie verliert sich ganz im Prozess des Zeichnens.
Kräfteraubende Selbsterkundung
Das älteste gezeigte Werk der Ausstellung ist Lassnigs Selbstporträt als Zitrone aus dem Jahre 1949. Zeitlebens beschäftigte sich die österreichische Künstlerin mit ihrer eigenen Körperlichkeit. Das Medium der Zeichnung nutzte sie zur forschenden Selbsterkundung, rasch und unmittelbar umgesetzt. Den intensiven, kräfteraubenden Versuch sich selbst aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und darzustellen, offenbart Max Peintner dem Betrachter. „Für ihn ist die gezeichnete Selbstwahrnehmung angemessenes Ausdrucksmittel zur Darstellung der wahrgenommenen Umwelt, wie sie im Kopf entsteht“, beschrieb Peter Weibel Peintners Wahrnehmungsbilder. Bekannt wurde der studierte Architekt in den 70er-Jahren durch seine zivilisationskritischen Zeichnungen. Der nur mit einem Arm geborene Künstler Mike Parr setzt sich mit seinen Radierungen intensiv mit der „Verletzung des Materials“ auseinander. Den Zyklus des Lebens als spirituell wie politisch geprägtes System stellt die chilenische Künstlerin Vasquez de la Horra dar. Zur Demaskierung körperlicher sowie Persönlichkeitsschichten laden die jungen Künstler GIOM und TOMAK unterhaltsam und gleichsam kritisch-hinterfragend mit ihren zahlreichen Werken ein.
Ausstellung „Das gezeichnete Ich – Zwischen Auslöschung und Maskierung“
Noch bis 4. Oktober 2015, Universalmuseum Joanneum, Bruseum
www.museum-joanneum.at
Text: Natalie Resch