Die Opernsaison 2015/16 ist eröffnet. Gespannt blickt das Grazer Publikum der ersten Spielzeit unter der neuen Intendantin Nora Schmid entgegen. „Achtzig“ traf die 36-jährige Schweizerin und sprach mit ihr über einen für Graz maßgefertigten Spielplan, die gewünschte Öffnung des Hauses und den Dialog mit dem Publikum.
Sie haben Ihre erste Saison quasi von Dresden aus geplant: Wie schwierig war diese „Fernbeziehung“?
Die Distanz zwischen Dresden und Graz hatte auch seine Vorteile. Ich konnte in der Planungszeit den Blick von außen miteinbeziehen, und habe das eine oder andere deswegen mit anderen Augen gesehen. Ich habe Graz in dieser Zeit immer wieder besucht. Gegen Ende hin habe ich mich dann dazu entschieden mich frühzeitig aus dem Dresdner Betrieb zurückzuziehen, um mich ganz auf meine neue Aufgabe zu konzentrieren.
Wie sehr muss und kann ein Spielplan auf die jeweilige Stadt zugeschnitten sein, in der er gespielt wird?
Man muss sich sehr genau überlegen für welche Stadt und welches Opernhaus man einen Spielplan konzipiert. Einerseits stellt sich im Hinblick auf die Größe des Opernhauses und des künstlerischen Ensembles die Frage, was damit überhaupt möglich ist. Andererseits ist es die Geschichte eines Opernhauses und einer Stadt selbst, die die Auswahl der Stücke mitbestimmt. Ich habe mich beispielsweise gefragt, ob es Besonderheiten in der lokalen Musikgeschichte gibt, die es wert wären, wieder gehört zu werden.
Eine dieser Besonderheiten ist das Stück „Der ferne Klang“. Sie präsentieren damit in der neuen Spielzeit ein Werk, das 1924 erstmals in Österreich, und zwar in Graz, aufgeführt wurde. Wird es darüber hinaus weitere Anknüpfungspunkte an die Grazer Musikgeschichte geben?
Weitere Bezüge zur Stadt finden sich zum Beispiel in der Operette Der Opernball von Richard Heuberger, der selbst aus Graz stammte. Auch im Ballett Und der Himmel so weit, der dem Komponisten Franz Schubert gewidmet ist. Schubert hat glückliche Zeiten in Graz verbracht und plante kurz vor seinem Tod sogar eine eigene Oper für Graz zu komponieren. Der ferne Klang nimmt jedoch eine ganz besondere Stellung ein. Dieses Werk hat nicht nur die steirische Hauptstadt musikalisch stark geprägt. In den 1970er-Jahren gab es zu Ehren des Komponisten Franz Schreker auch ein eigenes Symposion in Graz.
Gibt es denn Musikstile, Inhalte, Opern, die in Graz bisher gefehlt haben, wenn Sie auf die Spielpläne der letzten Jahre zurückblicken?
Ich glaube, jedes neue Stück kann nur eine Ergänzung sein, denn jede Entscheidung für etwas schließt unweigerlich etwas anderes aus. Diese Festlegung ist vielleicht das Schwierigste in der gesamten Spielplangestaltung. Meine Aufgabe im Grazer Opernhaus besteht deshalb darin, Spielpläne zu entwickeln, die von den Stilen und den Emotionen her vielseitig sind. Sie müssen das Publikum zum Dialog einladen.
Welche Stücke würden Ihrer Ansicht nach gar nicht nach Graz passen?
Kategorische Schwarz-Weiß-Entscheidungen sind nicht mein Fall. Ich denke, wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. Ein Stück, das jetzt noch nicht passt, kann vielleicht in fünf Jahren genau das richtige sein; je nachdem in welchem Kontext es steht, wie man es einbettet und vermittelt.
Sie haben in einem Interview erwähnt, dass Sie es als Herausforderung sehen, die Altersschicht zwischen 20 und 40 Jahren zu erreichen…
Das ist eine Herausforderung, die sich in vielen Opernhäusern stellt. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es den Leuten jungen und mittleren Alters oft nur am nötigen Impuls fehlt, in die Oper zu kommen. Wenn sie kommen, sind sie von der Aufführung stark berührt. Man muss also daran arbeiten, das nötige Vertrauen zu dieser Altersgruppe aufzubauen, damit die Oper als spannende Alternative zur herkömmlichen Abendgestaltung gilt. Sie müssen sich sicher sein, dass sie etwas Packendes erwarten wird. Es ist nie zu spät, sich von der Kunst verführen zu lassen.
Gibt es schon konkrete Ideen, wie die Oper ein breiteres, jüngeres Publikum erreichen könnte?
Wir haben einige ganz gezielte Veranstaltungen und Programmpunkte geplant, mit denen wir uns öffnen und auf die Menschen zugehen werden. Das Grazer Philharmonische Orchester spielt beispielsweise als Hauptakt beim diesjährigen Aufsteirern am Grazer Hauptplatz. Außerdem laden wir zu einer choreographischen Exkursion in das Schloss Eggenberg ein, wo man den Tänzern einmal ganz anders begegnen wird. Es wird auch ein neues Format geben, dass sich „Kostprobe“ nennt: Eine szenische Probe, die wir zum Teil für das Publikum öffnen.
Gibt es auch neue Ideen für eine barrierefreie Oper?
Ein Vorhaben, das mir sehr am Herzen liegt, ist Der Barbier von Sevilla. Für dieses Stück werden wir in Kooperation mit dem Odilien-Institut eine Vorstellung mit Audiodeskription für Menschen mit Sehbehinderung anbieten. Über ein Headset kann in den musikalischen Pausen eine szenische Beschreibung gehört werden. Zusätzlich wird es vorab einen Rundgang geben, wo Bühnenbildelemente und Kostüme auch betastet werden können. Es ist ein Pilotprojekt, um Barrieren in der Oper abzubauen, das wir hoffentlich fortführen werden.
Was macht moderne Oper aus?
Ich denke, da gibt es kein Rezept dafür. Man muss sich dem immer wieder neu annähern. Manchmal kann sich etwas, das auf den ersten Blick in bekanntem, historischem Gewand daherkommt, im Verlauf eines Abends zu etwas vollkommen Modernem entwickeln. Modern ist es dann, wenn es uns als heutige Menschen mit unserem gegenwärtigen Rucksack an Lebenserfahrungen berührt. Ein Abend im Theater darf einen einfach nicht kaltlassen. Man sollte herzhaft mitlachen können, genauso aber auch mitleiden, vielleicht sogar weinen können.
Viele halten die Oper für die emotionalste aller Bühnenformen. Worin liegt die Faszination an einem Opernerlebnis?
Es ist zuallererst die Musik in ihrer starken Emotionalität in Verbindung mit dem Visuellen und der Geschichte, die dadurch vermittelt wird. Dieses Prinzip kennen wir auch aus dem Film. Was in der Oper noch einzigartig hinzukommt, ist das Gemeinschaftserlebnis. Es wird dunkel, still, die Spannung steigt und man hat diesen Moment, in dem alle konzentriert einer Geschichte folgen. Niemand, der in diesem Moment nicht im selben Raum war, kann diesen derart nachempfinden. Der Reiz liegt darin, dass jeder Opernabend einmalig ist, es gibt keine Wiederholbarkeit.
Text: Stefan Zavernik