Unter dem Motto „Back to the Future“ lädt der „steirische herbst“ seine Besucher ab dem 25. September dazu ein, eine künstlerische Zeitreise zu unternehmen. Im Interview mit „Achtzig“ spricht Intendantin Veronica Kaup-Hasler über ein Programm mit heißen Kartoffeln, notwendigen Spuren, weitreichenden Zeitreisen und spannenden Künstlerpersönlichkeiten.
In ihrer Funktion als Intendantin fällt es wahrscheinlich besonders schwer auf unsere folgende Frage eine Antwort zu geben. Dennoch: Welche Programmpunkte können Sie den Besuchern besonders ans Herz legen?
Zu den Produktionen, die besonders stark mit dem Thema Back to the Future verbunden sind, ist sicher die Arbeit von Rimini Protokoll Mein Kampf zu zählen. Die Truppe kommt eigentlich aus der Freien Szene, wo ich sie noch im Studentenstadium kennengelernt habe, mittlerweile werden sie auch von den größten Theatern zur Zusammenarbeit eingeladen. Insofern freut mich dieses gemeinsame Projekt besonders. Mein Kampf ist, wenn auch ein zweifelhafter, Teil österreichischer Literaturgeschichte. Dieses Stück Literatur wurde zum „Giftschrank der Geschichte“: Durch seine millionenfache Auflage hatte es eine unglaubliche Verbreitung, dennoch bestreitet so gut wie jeder, dieses Buch in seinem Haushalt gehabt zu haben. Die Frage ist, ob die weitere Zugänglichkeit eher den kritischen Blick auf Geschichte verstärkt oder eben eher die Propaganda und Mystifikation von Adolf Hitler fördert. Das Stück ist also durchaus eine heiße Kartoffel.
Wie wurde diese heiße Kartoffel schlussendlich auf- bzw. zubereitet?
Rimini Protokoll holt sogenannte „Experten“ auf die Bühnen, die sich auf sehr unterschiedliche Weise mit dem Buch auseinandersetzen. Das Spektrum reicht von einem jüdischen Anwalt, über einen Buchrestaurator bis zu einem deutsch-türkischen Musiker. Das sind normale Menschen, Laien, keine Schauspieler, die auf der Bühne agieren.
Hätten Sie noch weitere Programmtipps?
Da gibt es viele, neben den Projekten in Vordernberg vom Theater in Bahnhof und Nesterval die zu einer theatralen Erkundungsreise einladen, freue ich mich schon auf Knick-Knack to the Future – Ruckzuck in die Zukunft von Jörg Albrecht und copy & waste, die sich bewusst mit dem Film Back to the Future auseinandersetzen. Besucher werde dazu eingeladen sich im tag.werk in der Mariahilferstraße niederzulassen. Dort werden dann neben Cupcakes auch Zeitreisen angeboten. Man sollte sich auch The Loose Collective mit The Music of Sound, wo The Sound of Music umgedreht wird, nicht entgehen lassen. Der Film bzw. das Musical ist ja interessanterweise überall bekannter als in Österreichs selbst. Jeder Amerikaner kennt es, aber ich, zum Beispiel, kannte den Film nicht. Er ist nicht in meinem kulturellen Gedächtnis verankert, er hat keine Rolle gespielt. In Amerika ist er aber ein Synonym für Österreich. The Loose Collective stellt die Frage: Was heißt es, eine Identität einer Nation zu konstruieren?
Welcher Programmpunkt bringt das Thema „Back to the Future“ am extremsten auf den Punkt?
Schwierig zu beantworten. Jenseits der Eröffnung und Golden Hours (As you like it) von Anne Teresa de Keersmaeker am Ende des Festivals, was ja die ganz großen Setzungen sind, die auch mit dem Thema in Verbindung stehen, denke ich vor allem an die Ausstellung von Tessa Giblin; die herbst-Ausstellung Hall of Half-Life, die in die weiteste Vergangenheit und zugleich in die weiteste Zukunft hinausragt. Das ist wohl jenes Projekt, das den weitesten Bogen spannt, weil es den Blick, den wir auf die Gegenwart haben, plötzlich abstrahiert. Wie wird aus einer fernen Zukunft der Blick auf unser Jetzt, auf unsere Gegenwart, sein? Was wird überhaupt lesbar sein? Was hinterlassen wir? Wenn wir uns Gedanken zu längst vergangenen Kulturen machen und archäologische Stätten wie Pompeji oder Knossos besuchen: Überall gab es Kulturen, die über Jahrtausende hinweg etwas hinterlassen haben. In unserer Zeit der Digitalisierung hinterlassen wir nicht einmal Briefe. Alles wird irgendwo digital gespeichert sein und wenn das einmal weg ist, dann stellt sich die Frage: Was bleibt physisch noch übrig? Wie Tessa Giblin sagt, „Es wird notwendig sein, Spuren zu hinterlassen.“ Allein um Orte zu kennzeichnen, die kontaminiert sind. Das müssen wir zukünftigen Generationen vermitteln, aber welche Sprache und Zeichen sind dann noch lesbar? Wir haben ja selbst Schwierigkeiten Dinge zu lesen, die vor 500 Jahren geschrieben wurden.
Die digitale Archivierung stößt an Grenzen der Haltbarkeit. Setzt sich der „steirische herbst“ auch theoretisch mit dem Thema Archivierung auseinander?
Es ist Teil der Auseinandersetzung im Rahmen der Konferenz Future Perfect – Dystopie und Alternativen: Wofür wir werden gesorgt haben müssen oder im esc medien kunst labor, wo es in der Ausstellung What Remains auch ganz konkret um unser digitales Vermächtnis geht. Es gibt aber auch Auseinandersetzungen mit einer näherliegenden Vergangenheit. Das KM– (Künstlerhaus. Halle für Kunst & Medien., Anm. d. Red.) beschäftigt sich mit dem Nachlass des verstorbenen Grazer Künstlers Jörg Schlick.
Er war eine Künstlerpersönlichkeit und eine wichtige Figur des steirischen Kulturlebens. Was bleibt von ihm übrig und welchen Einfluss hat er noch auf jüngere Künstlergenerationen? Die Initialzündung der Schlick-Retrospektive war unter anderem sein bevorstehender zehnter Todestag und der Nachlass. Erstmals wird dieser ordentlich aufgearbeitet.
Wie wird das Festivalzentrum in diesem Jahr aussehen?
Das Festivalzentrum ist sehr ironisch thematisiert. Es ist ganz ein junges Architektenteam aus Rom, orizzontale, das in das Stadtmuseum eine Art Spaceshuttle, eine Raumstation baut. Und das Stadtmuseum wiederum ist ja selbst so eine schöne gebaute Metapher für das ganze Thema: Es ist ja da, um die Geschichte der Stadt zu thematisieren und daraus Themen zu entwickeln.
Welche Erfahrungen haben Sie selbst mit Zeitreisen: Haben Sie schon einmal eine unternommen?
Ich bin ja in der DDR geboren, aber in Wien aufgewachsen. Der Teil der Familie, zu der wir einen sehr starken Bezug hatten, war die Familie meiner Mutter, die in der DDR war, in Weimar, in Dresden… In meiner Kindheit haben wir immer Reisen dorthin gemacht. Und das war eine absolute Zeitreise. Als ich später Filme gesehen habe über Deutschland, die Weimarer Republik, da habe ich das Gefühl gehabt, ich betrete wieder diese Zeit. Es war ja nichts renoviert. Die Straßen waren wie anno dazu mal, nur verwahrloster, die Kriegsschäden waren spür- und sichtbar. Man hat so das Gefühl mindestens 40 Jahre zurückzureisen. Und auch die Soldaten, die in der DDR von einem unglaublichen Anticharme waren: diese Assoziation mit Nazis, dieser Kadavergehorsam. Es war, als ob man von einem Farbfilm in einen anderen, schmutzig-pastellig kolorierten Schwarz-Weiß-Film einsteigt und von daher interessiert mich das Thema der Zeitreisen, das Befragen der Zeit, das Nicht-Aufarbeiten der Vergangenheit – so wie es in der DDR eben war. Solche Dinge haben mich immer beschäftigt und eben die Frage, wie geht so ein Land mit Geschichte um, wie gehen die Menschen damit um.
Text: Natalie Resch