Zum 85. Geburtstag widmete das Leopold Museum in Wien Arik Brauer eine umfassende Retrospektive. Anhand von Gemälden, Grafiken und Skulpturen bot die Schau einen repräsentativen Querschnitt durch sein Schaffen und zeigte neben der Malerei eine Vielzahl weiterer Sparten wie Buchillustrationen, Musik oder architektonische Entwürfe. Wir sprachen mit ihm über Pop, politische Kunst und den „Misthaufen der Geschichte“
Sie gelten, gemeinsam mit Ernst Fuchs, als Hauptvertreter und Erfinder der Wiener Schule des Phantastischen Realismus. Wie fühlt es sich an, Kunstgeschichte geschrieben zu haben?
Als Erfinder würde ich mich nicht bezeichnen, vielmehr ist uns das einfach passiert. Wir waren eine Gruppe junger Studenten, die figurative, phantasievolle Malerei betrieben hat, und das in einer Zeit, wo das eigentlich überhaupt nicht aktuell war. Die sogenannte moderne, abstrakte Malerei ist mit großer Wucht und Elan in die deutschsprachigen Lande gekommen und viele Studenten haben sich daran orientiert. Das wurde dann recht schnell bemerkt und wir hatten damit Erfolg.
1945 sind Sie im Alter von 16 Jahren auf die Akademie der bildenden Künste gekommen. Waren Sie ein Frühberufener?
Ich glaube jeder, der sich sein ganzes Leben mit diesem Beruf beschäftigt, muss früh berufen sein, weil es doch ein ganz eigenartiges und eigenwilliges Leben ist, das man führt, wenn man sich mit Kunst beschäftigt. Ich habe schon in meiner frühen Kindheit gezeichnet und nach einer „Kulturpause“, bedingt durch die Hitlerzeit, bin ich dann sofort an die Akademie. Ich kann mich an keinen Zeitpunkt erinnern, an dem ich bewusst denken konnte, und nicht Maler werden wollte.
Sie sind nicht nur ein bedeutender Maler, sondern gelten auch als „Vater des Austropop“. Eine Bezeichnung, die Ihnen gefällt?
Es ist die Bezeichnung „Austropop“ schon eine sehr vage. Was ich gemacht habe, war ja eigentlich keine Popmusik, und so war es auch nicht gedacht oder beabsichtigt. Es waren Lieder mit einem Protestsongcharakter und ich habe mich eben aufgerufen gefühlt, Texte zu singen, die sich mit dem damals noch keineswegs aufgearbeiteten Nazifaschismus beschäftigten und soziale sowie, sehr früh schon, Umweltprobleme thematisierten. Der Erfolg kam eher unerwartet, weil ich scheinbar zur richtigen Zeit das Richtige gemacht habe. Ich musste mich da regelrecht gewaltsam wieder aus einer Popkarriere herauswinden.
Nun widmet Ihnen das Leopold Museum eine große Retrospektive. Damit kommt auch der Phantastische Realismus wieder auf eine große Bühne …
Für mich ist das natürlich eine große Ehre, speziell als Wiener. Aber es ist auch eine beglückende Sache und ein kühnes Umdenken im Zugang zur zeitgenössischen österreichischen Kunst, denn es ist ja ganz klar, dass das seit Jahrzehnten ein absoluter Außenseiterposten war. Es ist eine große Freude und Bestätigung unseres Lebens, und ich spreche auch für meine Freunde und Kollegen, wenn diese Kunstrichtung noch einmal auf die Bühne kommt. Dass das jetzt ausgerechnet ich bin, ist für mich natürlich angenehm, aber ich wäre auch glücklich, wenn das jemand anderer wäre.
Sie waren immer auch ein politischer Künstler. Worüber können Sie in Österreichs Politik nur mehr lachen?
Die Politik an sich ist ja immer so, dass man zugleich darüber lachen und weinen müsste. Sie ist halt, wie sie ist, und nichts anderes als ein Spiegelbild von uns und dem Durchschnitt des Denkens und Empfindens unserer Menschheit. Ich habe mich immer als politisch denkenden Menschen empfunden und das hat sich in meiner Kunst in einer verschlüsselten Weise auch immer ausgedrückt.
Sie haben mit Ihrer Arbeit stets auch den Nazi-Faschismus aufgearbeitet. Nun wird die Diktion im Alltag wieder rauer. Haben die Generationen gar nicht gelernt?
Gelernt schon, aber wir sind natürlich dieselben Menschen geblieben und bestimmte Tendenzen müssen immer wieder vorkommen. Der Nazi-Faschismus ist aber genau wie der Stalinismus auf dem Misthaufen der Geschichte gelandet, aber das, was dahintersteht – nämlich das egoistische Denken in einer nationalen oder religiösen Gruppe –, bleibt natürlich und kommt in irgendeiner Form immer zum Ausdruck. Damit wird man auch in diesem Jahrhundert wieder zu tun haben, da bin ich mir ganz sicher.
Was ist dahingehend die Aufgabe der Künstler?
Die Vorstellung, wonach Kunst „muss“ oder „nur darf“, ist ein Unsinn. Die Kunst muss und darf alles, und das seit jeher. Sie muss aufrütteln und erschrecken, muss aber auch genießbar sein und den Menschen streicheln, einlullen und ihm Gutes tun. Das kann die Kunst alles und das tut sie auch und zum Glück gibt es hierfür auch die unterschiedlichsten Künstler – der eine macht es so, der andere eben so.
Text: Wolfgang Pauker