Start Interviews Gottfried Helnwein: „Kunst hat die Macht, alles zu verändern“

Gottfried Helnwein: „Kunst hat die Macht, alles zu verändern“

(c) Rafael Y Herman

Gottfried Helnwein schaffte es mit seinen hyperrealistischen, gesellschaftskritischen Bildern in den Olymp der internationalen Kunstwelt. Anlässlich seines 65. Geburtstages widmete ihm die Wiener Albertina die bisher größte Retrospektive seines Schaffens im deutschsprachigen Raum. Wir sprachen mit ihm über das Weltgeschehen, Wege mit Kunst daran etwas zu verändern und warum er immer Wiener bleiben wird…

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Helnwein in seinem Atelier in Los Angeles (c) Rafael Y Herman

Ihre Kunst schockiert und brachte Ihnen den Begriff des „Schockmalers“ ein? Stört Sie das?

Diesen Begriff haben die Medien erfunden. Was ich künstlerisch gemacht habe, war in Wirklichkeit für mich die einzig mögliche Reaktion auf das, was die Gesellschaft mir zugemutet hat, was mich aufgeregt hat und worauf ich in meiner Recherche schon in der Jugend gestoßen bin: Krieg, Gewalt und Missbrauch von Kindern – auch in der jüngsten Vergangenheit durch meine Elterngeneration, die für den größten Genozid in der Geschichte verantwortlich ist. Mir wurde zu dieser Zeit auch bewusst, in welchem Ausmaß Kinder in unserer Gesellschaft missbraucht werden, denn Gewalt richtet sich immer gegen Wehrlose. Ich wurde damals wegen meiner Bilder attackiert, meine Ausstellungen wurden abgebrochen und Bilder beschlagnahmt, aber der massive Missbrauch in katholischen und staatlichen Heimen, der erst in den letzten Jahren hochkam und nun langsam aufgearbeitet wird, ist genau zu der Zeit passiert, als ich meine Bilder von verwundeten Kindern gemalt habe.

Ist der Mensch so böse wie er in Massenmedien dargestellt wird?

Die Massenmedien als Informationsquelle zu nehmen ist Schwachsinn. Man kann grundsätzlich sagen, dass fast alles, was von den Massenmedien berichtet wird, Propaganda ist. Sie berichten verzerrend, selektiv, manipulativ und sie dienen immer ganz bestimmten Interessen. Alle Gräuelgeschichten der Medien dienen der Ablenkung von den wirklichen Verbrechen – zum Beispiel den unzähligen, nicht enden wollenden Kriegen, mit denen die sogenannte 1ste Welt den Rest der Welt überzieht. Die Berichte über die sogenannten „Terroranschläge“, angeblich ausgeführt von fanatischen, irren Einzelgängern, die ständig überall lauern, nur um unser Konsumparadies zu zerstören, gehören zum großen Teil in das Reich der Sagen und Legenden. Da ist es schon nützlicher zu fragen: „Wem nützen diese Anschläge eigentlich?“ Sie verbreiten Angst, Unsicherheit und Misstrauen bei den Menschen und die Staaten rüsten auf. Polizei- und Sondereinheiten, Militär und Geheimdienste erhalten immer mehr Mittel und Rechte um die Bürger lückenlos überwachen zu können. `Zu ihrem eigenen Schutz´ natürlich, und die Rechte der Bürger werden erodiert. In den USA ist die einst beste Verfassung der Welt seit dem „Patriot Act“ der Bush-Regierung und Obamas „National Defense Authorization Act“ nur mehr Makulatur. Der Deal heißt: Freiheit gegen Sicherheit.

Gottfried Helnwein (Foto: Hamish-Brown)
Gottfried Helnwein (Foto: Hamish-Brown)


Nicht nur in Amerika…

In der Europäischen Gemeinschaft versinken die einzelnen Staaten in immer größere Schulden und verlieren mehr und mehr ihre Souveränität. Und die Bürger müssen für die astronomischen Beträge, die skrupellose Banker vernichtet haben, aufkommen. Sozialleistungen werden gekürzt, Steuern erhöht, öffentliches Eigentum „privatisiert“ und wie wir in Zypern sehen konnten, werden schließlich auch noch die Ersparnisse der Menschen beschlagnahmt. Es ist doch offensichtlich, dass die großen Entscheidungen in Europa nicht mehr von Politikern, sondern vor allem von internationalen Bankern getroffen werden. Alle zittern vor der „Troika“, dem

IMF, dem ESM, der europäischen Zentralbank, den sogenannten Rating-Riesen etc. Alles internationale Super-Corporations, die nicht durch einen demokratischen Prozess entstanden sind, niemandem Rechenschaft schuldig sind und nur ein Ziel haben: Maximalen Profit. Trotzdem stehen sie mittlerweile über den Gesetzen und den Regierungen und entscheiden über unser Schicksal. Ich bin Europa zutiefst verbunden, aber einem Europa der Kulturen, nicht einem europäischen Dystopia, das sich Bürokraten, Konzerne und Banker ausgedacht haben.

Also sind wir hier auf dem Weg zu den Vereinigten Staaten von Europa, inkl. Überwachung, Reglementierung, usw.?

Das ist der Plan. England beispielsweise ist das Land mit der größten Überwachung. Es gibt nirgends mehr Überwachungskameras als in London. Das heißt nicht, dass dort weniger Verbrechen passieren, sondern nur, dass die Geheimdienste mehr Informationen über die Bürger bekommen.

Wie frei ist man als Künstler?

Man hat immer die Freiheit, die man sich nimmt. Freiheit bekommt man nicht ausgehändigt. Im Gegenteil: Wenn man Freiheit will, muss man sie wirklich wollen und jeden Tag aufs Neue dafür kämpfen. Ich persönlich habe relativ viel Freiheit, weil ich das immer wollte und mir Freiheit und Unabhängigkeit wichtiger sind als alles andere. Deshalb lebe ich auch zwischen verschiedenen Welten und bin, soweit es möglich ist, unabhängig. Aber es gibt auch in der Kunstszene Unfreiheit, wo manipuliert wird und Seilschaften ihre Macht demonstrieren. Grundprinzip und Grundmotivation ist immer Macht. Was nicht unbedingt schlecht sein müsste, denn Macht ist etwas neutrales, aber sie geht leider meistens Hand in Hand mit Skrupellosigkeit und maßloser Gier.

(c) Cyril Helnwein (2)
In der Kindheit prägte sie ihn, auf seinen Arbeiten machte sie ihn Weltberühmt: Mickey Mouse


Sie sagten, „man müsse nur hinschauen“. Sind Künstler in der Pflicht, hinzuzeigen und kommen sie dieser ausreichend nach?

Es gibt keine Regeln, die bestimmen, was Künstler müssen, nicht müssen oder dürfen. Kandinsky hat gesagt: „Kunst darf alles!“ – und das finde ich auch. Ein Künstler soll dekorativ malen dürfen, minimalistisch oder abstrakt, oder was immer ihm wichtig ist. Kunst kann alles sein und muss nicht politisch sein, aber es gibt auch eine Tradition in der Kunst, die sehr wohl politisch ist und wo der Künstler die Rolle eines Zeugen oder Chronisten seiner Zeit hat. Und in dieser Tradition sehe ich mich auch. So wie Goya, der sich verpflichtet gefühlt hat, minutiös all die Gräuel des Krieges festzuhalten. Wahrscheinlich, weil er gewusst hat, dass die Menschen schnell wieder vergessen, und die Geschichte daher verdammt ist sich immer wieder zu wiederholen. Es war ein Versuch, die Menschen zu zwingen, sich zu erinnern, oder sie daran zu hindern zu vergessen.

Kann man mit Kunst etwas verändern?

Ja, ich glaube, dass Kunst wahrscheinlich die größte Kraft ist, die es gibt. Sie kann alles verändern. Man unterschätzt sie oft, weil ihre Wirkungsweise nicht immer direkt und offensichtlich ist und weil sie manchmal etwas Zeit braucht. Aber Kunst hat die Macht, alles zu durchdringen und zu verändern, auf eine Weise, gegen die sich niemand wehren kann. Deshalb fürchten Diktatoren, die in der Regel einen sehr guten Instinkt haben, wenn es um die Gefährdung ihrer Machtposition geht, die Künstler, wie der Teufel das Weihwasser. Warum haben sich Hitler und Stalin, die zu ihrer Zeit die größten Armeen und Geheimdienste der Welt hatten, so viel Mühe gegeben, Bücher zu verbrennen, Bilder zu beschlagnahmen und Künstlern das Malen und Dichten zu verbieten? Warum hat Mao in seiner sogenannten „Kulturrevolution“ den Großteil der chinesischen Kunstschätze vernichten lassen? Um zu sehen, wie mächtig Kunst ist, müssen Sie nur versuchen alles aus der Menschheitsgeschichte zu entfernen, was Kunst ist – also Literatur, Malerei, Musik, Tanz, Plastik, Architektur, Design,… Was bliebe denn übrig?

Die Nazis schafften es ja beinahe, die gesamte geistige Elite und damit die Künstler dieses Landes auszumerzen. Hat sich Österreich erholt?

Ja, sehr! Gemessen an der Größe des Landes ist der Stellenwert Österreichs enorm. Wirtschaftlich ist dieses kleine Land nicht sehr bedeutend, aber kulturell ist es eine Weltmacht. Erst im Ausland ist mir bewusst geworden, dass Österreich mehr für seine Kultur macht als jedes andere Land. Es gibt wahrscheinlich kein anderes Land, das Kultur so wichtig nimmt.

Wie stehen Sie zu Förderungen aus der öffentlichen Hand?

Grundsätzlich finde ich es vernünftiger künstlerische Projekte, vor allem von jungen Künstlern, zu fördern als Geld in Armeen oder Geheimdienste zu stecken. Es ist auf jeden Fall schwer für junge zeitgenössische Künstler, zu überleben. In Amerika ist es brutal. Da gibt es keine staatliche Kunstförderung. Der Staat gibt für die Kriegsindustrie, Geheimdienste und Massenvernichtungswaffen etwa eine Billion pro Jahr aus. Kultur ist in diesem System überhaupt kein Faktor. Und auch für das Schulsystem bleibt mittlerweile so unglaublich wenig, dass die Ausbildung größtenteils unter das Niveau von Dritten Welt Staaten gesunken ist.

Geht Ihnen Österreich ab?

Ich lebe gerne in Los Angeles, und es gibt vieles, was mir da gefällt. In meiner Kindheit und Jugend habe ich immer eine große Sehnsucht nach Amerika gehabt, aber in all den Jahren habe ich gemerkt, dass ich nie Amerikaner werden könnte, dass ich zutiefst in der Jahrhunderte alten Österreichischen Kultur verwurzelt bin, und dass mir bestimmte Dinge fehlen. Die Sprache zum Beispiel, der ordinäre und so poetische Wiener Dialekt geht mir wirklich ab. Ob ich es will oder nicht, wo immer ich auch bin in der Welt, da ist auch ein bisschen Österreich.

Ist Graz ein Begriff auf der kulturellen Landkarte?

Ja. Nach Wien fällt mir sofort Graz ein. Ich denke, dass es dort eine intensive Kulturszene gibt und das es dort außerhalb Wiens gottseidank so ein bockiges, störrisches Element der Kunst gibt.

Text: Wolfgang Pauker