Er ist Kunstwissenschaftler, Kurator und Leiter einer der spitzfindigsten Kulturinstitutionen der Steiermark. Vor wenigen Monaten erschien sein dreibändiges Werk „Gott hat kein Museum“. Es ist Buch und virtueller Museumsbetrieb in einem. Darüber hinaus gilt es als epochales Ergebnis einer 20 Jahre andauernden Auseinandersetzung mit Gegenwartskunst und Religion im Kulturzentrum bei den Minoriten.
Es heißt: Religionen sind nicht mehr das, was sie einmal waren. Könnte das ein Grund sein, warum Gott kein Museum hat?
Museen entstanden erst, als man etwas retten wollte, was verloren zu gehen drohte. Oder was schützenswert war. Oder was besonders wertvoll ist. Erst ein moderner Museumsbegriff kümmert sich auch um die Gegenwart. Da hineinzukommen ist mittlerweile eine Adelung für die Ewigkeit. All das bezieht sich auf Ihre Frage. Es kommt nur dazu, dass es bei dem Thema nie reichen wird (lacht). Aber im Ernst: Gott hat auch deswegen kein Museum, weil sich Museumsleute einfach nicht um ihn kümmern. Teilweise aus fadenscheinigen, teilweise auch aus handfesten Gründen. Religion hat nach der Jahrtausendwende einen neuen Stellenwert bekommen, der freilich nicht gerade rühmlich ist. Nehmen wir nur 9/11. Oder den Kopftuchstreit. Oder das Massaker in der Redaktion von Charlie Hebdo. Man entdeckt Fundamentalismus-Diskussionen, wohin das Auge reicht. In Raum 5 widmet sich das Buch dem Thema konkret: „Über religiösen Fanatismus und Alternativen, ihm zu entkommen“. Denn: Religion muss einmal mehr gehabt haben und muss auch heute noch mehr bieten, um interessant bleiben zu wollen. Wie umfassend Religion in der Kunst vorkommen kann, wollte ich in diesem Buch zeigen.
War Gott bisher für ein zeitgenössisches Museum zu museal?
Das Christentum hat in der öffentlichen Wertschätzung, vor allem im Kulturbereich, den Status des Musealen. Das kann man so sagen. Man denke an Bach, Michelangelo oder Raffael. In der Gegenwart beschäftigen sich Künstler nach allgemeiner Auffassung ja kaum mehr mit diesem Thema.
Dennoch hat sich auch das Wesen der Museen verändert. Rückt das die beiden Pole Kunst und Religion wieder enger zusammen?
Wie heute Kunst in Museen präsentiert wird, hat in meinen Augen selbst etwas Religiöses. Seit dem 19. Jahrhundert kennen wir das Phänomen „Kunstreligion“. Wie sich Kunst seither benimmt, hat ganz oft einen religiösen Anspruch. Zu Beginn der Museumsidee waren Museen Wunderkammern, die in erster Linie Dinge ausgestellt haben, die einen besonderen Sammlerwert hatten. Heute erkenne ich in einem Museum vielmehr ein „Laboratorium“. So wie es Joseph Beuys ausgedrückt hat. Wenn man Museum und Religion zusammendenkt, könnte daraus ein sehr zeitgenössischer Museumsbegriff entstehen. Daraus kristallisieren sich dann wichtige Fragen unserer Gegenwart heraus. Meine ästhetische Fragestellung war natürlich auf die Religion gerichtet. Ein Thema, das bis heute niemand anderer macht.
Die Idee eines Museums für Gott – wenn auch im virtuellen Sinn – war intellektuelle Pionierarbeit. Haben Sie mit diesem Erfolg gerechnet? Tageszeitungen aus Deutschland und Österreich lobten es ausdrücklich.
Ich habe eigentlich nicht damit gerechnet. Aber ich wollte es einfach tun. Man muss das tun, was man kann. Und auch das tun, was man will. Nur so ist auch ein Herzschlag dahinter. Ich wollte auch die These von Wolfgang Schöne widerlegen, die mich tief getroffen hat. Er meinte: Gott, der christliche Gott, hatte eine Bildgeschichte, aber sie sei abgelaufen. Wäre das wahr, ist gerade die christliche Religion, die eine Bildreligion wie keine andere ist, per se museal. Und was die virtuelle Lösung betrifft: Klar, es wäre natürlich reizvoll auf der einen Seite eine wachsende Sammlung auch zeigen zu können. Aber dafür wird man hier nie so viel Geld ausgeben. Das wäre vielleicht in Deutschland möglich. Deshalb habe ich mir andere Vermittlungskanäle ausgedacht.
Auch die bestehende Sammlung des KULTUMs ist umfangreich. Wie konnte diese in Zeiten immer kleiner werdender Budgets realisiert werden?
Viele Künstler haben mir Kunstwerke geschenkt oder mir Spezialpreise gemacht. Anders wäre die Sammlung nicht verwirklichbar gewesen. Eine Eigenart der katholischen Tradition, die mir immer ernst war, hat uns sehr geholfen: Wenn man etwas – auch noch so kleines – von einem Heiligen hat, hat man alles von ihm. Reliquien nennt man das. Ich hatte oft nur ganz kleine Stücke eines Künstlers, habe aber diese kleinen Stücke ausgestellt mit der theoretischen Untermalung damit das komplette Konzept des Künstlers zu präsentieren. Damals hieß die Ausstellung Reliqte. Nun, fünf Jahre später, habe ich damit eine Klammer gesetzt: Reliqte, reloaded ist deshalb der subversive Titel unserer aktuellen, großen Ausstellung.
Wie lange haben Sie gebraucht, um ein maßgeschneidertes Museumskonzept für ihr Buch zu finden? Und: Wie sieht es aus?
Ich begann damit vor fünf Jahren: Damals habe ich kühn die Frage gestellt: Wie könnte ein Museum für Gegenwartskunst und Religion aussehen? Eines, das sich nicht nur der Bestandssicherung verpflichtet, sondern das Ausschau nach Bildern hält, die sich mit Religion produktiv reiben? Es ging mir um ein dynamisches Museumskonzept, im dem es unter anderem auch Platz für Humor gibt. Andererseits fand ich, dass wir längst ein Museum waren, wenn man alle Ausstellungen besucht hätte. So nach und nach. Und wenn man mit „Gott“ dealt, kann man auch andere Zeitbegriffe voraussetzen. Ewigkeit zum Beispiel. Dann hat man alles auf einmal. Das war die Idee: Aufhebung der chronologischen Zeit und Auffächerung des bereits Gezeigten in zehn Räumen. So schreibt es sich fort. Auch was wir in fünf Jahren zeigen, ist Teil dieses Museums. Da haben wir den anderen Museen etwas voraus (lacht). Und das schon Gezeigte kommt auch immer wieder in neuen Konstellationen vor, sodass sich neue Sinnkonstruktionen entwickeln und auch neue Interpretationen entstehen. Man kann an jeder beliebigen Stelle des „Rundgangs“ einsteigen.
Soll das Buch auch für all jene interessant sein, denen es weniger um Religion als um generelle Fragen des Lebens und der Kunst geht?
Ich habe es schon so aufgebaut, dass es genau darum geht: Generelle Frage des Lebens sind auch Fragen der Religion. Nicht abgehobene oder abgesonderte. Das entspricht nicht der christlichen Vorstellung von Gott.
Das Buch steht auch für eine Bestandsaufnahme der Arbeit in den Minoriten in den letzten beiden Jahrzehnten: Wie schwierig war es einen Kulturbetrieb zu verwirklichen, für den es keine Vergleichswerte gab.
Es war mit Unsicherheit verbunden. Es hätte ja sein können, dass alles falsch war und den Musealisierungsanforderungen nicht entspricht. Ich wusste nur, so wie ich die Ausstellungen gemacht habe, war das sehr nahe am Leben. Und nahe am Werk der jeweiligen Künstler. Ich wusste ja nicht, was Kunst ist und ich weiß das heute noch nicht. Ich habe nur gesehen, Künstler machen dies und jenes aus einem für sie wichtigen Grund. Und das habe ich gezeigt. Das Buch ist Zeuge davon.
Ehrlich gesagt: Es klingt spannend, das von einem Kurator zu hören. Haben Sie zumindest eine Ahnung, was Kunst sein könnte?
Ich bin nicht nur Kurator, der sein Ding macht. Ich leiste mir das Nicht-Wissen-Wollen. Dadurch bin ich mir in der Arbeit mit den konkreten Werken und auch mit den KünstlernInnen sicher, die Faszination überspringen zu sehen. Ich erkenne dann ihre Art zu arbeiten und was sie darunter verstehen. Dadurch gelingt es mir im Zuge eines kreativen Prozesses etwas in Sprache zu bringen, das die KünstlerInnen durch das Medium des Bildes vermittelt.
Wie belastend war diese riesige Herausforderung mit der damit verbundenen Arbeit? Und: Überwiegt die Freude ein solches magnum opus abgeschlossen zu haben oder tut es weh, das Werk nun aus den Händen zu geben?
Mittlerweile kann ich schon wieder darüber lachen. Zwischendurch war es schon ein wenig eng geworden. Für dieses Projekt hatte ich zwei Jahre vorgesehen, geworden sind es schließlich fünf. Trotzdem tut es mir heute irgendwie leid, dass es schon gedruckt ist. Einige Werke aus der aktuellen Ausstellung Reliqte, reloaded hätten es sich auch verdient gehabt, hineinzukommen. Aber das Museum schreibt sich im Grunde immer weiter. Das entspricht auch der Idee meines Musealisierungsbegriffes.