Aficionados wissen: Das Thema „Zigarren“ ist eine Wissenschaft für sich. Speziell dann, wenn es um die Lagerung kubanischer Kult-Zigarren geht. „Achtzig“ sprach mit Marc André, dem maßgebenden Humidorbauer Deutschlands, über einen Trend, der bald zum Maß aller Dingen werden könnte: „Cigar Aging“.
Bevor wir auf gereifte Zigarren zu sprechen kommen: Wie „frisch“ sind Zigarren eigentlich im Handel?
Meist liegt zwischen dem Herstellungsdatum und der Auslieferung an den Fachhandel eine Zeitspanne von 6 bis 12 Monaten. Eine milde Zigarre aus der Dominikanischen Republik ist zum Zeitpunkt ihrer Auslieferung perfekt rauchbar. Durch eine entsprechende Lagerung wird sich kaum eine positive Aromenentwicklung ausprägen. Anders dagegen bei kubanischen Zigarren. Aufgrund des relativ hohen Tanningehaltes und der Typizität des kubanischen Tabaks sind diese Zigarren meist zu frisch, wenn sie in den Handel kommen. Das ist nun keine wirklich neue Erkenntnis. Früher haben die renommierten Zigarrengeschäfte ihre Havannas für mehrere Jahre eingelagert, bevor sie an die Kunden verkauft wurden. Heute ist es die Ausnahme. Um die Problematik mit dieser recht kurzen Zeitspanne zu verdeutlichen, möchte ich die Analogie zum Rotwein bemühen. Große Weine wie Bordeaux oder kräftige Barolos sind jung einfach ungenießbar, da ihr hoher Gerbstoffgehalt und die harten Tannine einen extrem adstringierenden Eindruck im Mund hinterlassen. Diese Weine müssen unbedingt gelagert werden, um ihr volles Potenzial zu entfalten. Bei Zigarren aus Kuba ist das ähnlich.
War „Cigar Aging“ unter Zigarrenliebhabern schon immer ein Thema oder handelt es sich dabei um eine Innovation?
So mancher Aficionado hat beim Rauchen gelagerter Havannas schon festgestellt, dass dieses Produkt viel Zeit für seine Vollendung braucht. Ich kenne Raucher, die kubanische Zigarren erst nach frühestens 3 Jahren ab Boxingdate rauchen. Und sie haben Recht. „Cigar Aging“ ist also an sich keine Innovation. Durchaus neu aber ist die Situation, dass sich der Raucher nun selbst in seinem heimischen Humidor des Themas annehmen muss, weil ihm gar nichts anderes übrig bleibt, möchte er in den Genuss gereifter Havannas kommen. Viele Zigarrenraucher gingen in der Vergangenheit einfach davon aus, dass sie perfekt gereifte Ware im Handel erhalten. Mit Sicherheit hat sich hier der Mythos des perfekten Zigarrenhändlers, wie etwa Zino Davidoff, der seinen Kunden nur perfekt gelagerte Zigarren anbot, in den Köpfen festgesetzt und verselbständigt. Allerdings sind Händler dieses Formats heute kaum mehr zu finden oder aber die Marktstrukturen geben diesen Service einfach nicht mehr her.
Ab wie vielen Jahren bezeichnet man die Lagerung als „Cigar Aging“?
Durch die herkömmliche Reifelagerung wird die Zigarre unter den richtigen klimatischen Bedingungen zur optimalen Aromenausbildung gebracht. Es geschieht dabei Folgendes: Ist die Zigarre frisch gerollt, wird ein chemischer Umbauprozess im Tabak in Gang gesetzt. Dabei entsteht der als „Stallgeruch“ bezeichnete, intensive, mitunter auch stechende Geruch einer frischen Zigarre. Abhängig von der Lagerungstemperatur, Luftfeuchte, Frischluftzufuhr, der Verpackungsart und nicht zuletzt vom Gehalt des Tabaks selbst dauert es zwischen einem und fünf Jahren, bis man mit der Nase den
Ammoniakgeruch nicht mehr wahrnehmen kann. Während dieser Lagerungszeit werden blatteigene Eiweißverbindungen abgebaut, und im Gegenzug entwickeln sich die als angenehm wahrgenommenen Aromen. Die harten Tannine verschwinden zunehmend, die Stärke und Bitterkeit sowie der Nikotingehalt nehmen ab. Alles, was darüber hinausgeht, fällt nun unter den Mode-Begriff „Cigar Aging“.
Was passiert beim „Cigar Aging“?
Die langkettigen Tannine zerfallen in einzelne Phenolmoleküle, die durch die Reifung im Tabak entstehenden Abbauprodukte verbinden sich mit den Abbauprodukten der Oxidation wodurch erst neue aromatische Trägersubstanzen entstehen. Und diese neu entstehenden Aromen sind es, die man beim Langzeitlagern einer Zigarre erzeugen möchte, da sie ein vollkommen neues Geschmackserlebnis ermöglichen. Bis dieser Prozess einsetzt, kann es aber durchaus 8 bis 12 Jahre dauern.
Wie schmeckt eine perfekt gelagerte Zigarre nach einigen Jahren? Wird sie mit den Jahren immer besser?
Nun, wie soll man das beschreiben? Raucht man eine „frische“ kubanische Zigarre, so bemerkt man meist Bitternoten, ein leichtes Kratzen im Hals, manchmal auch eine etwas saure Note, Schwankungen im Geschmack während des Rauchverlaufes. Und all diese negativen Begleiterscheinungen fehlen bei einer reifegelagerten Zigarre. Das Raucherlebnis ist mild, aber dennoch würzig, dominante Röstaromen verschwinden, die subtilen und feinen Aromen werden, auch für den ungeübten Gaumen, wahrnehmbar. Die Zigarre findet ihre Balance und Komplexität, die eine frische Zigarre (1 bis 2 Jahre alt) niemals haben kann. Und hierzu muss man kein Sommelier sein, um die Unterschiede zu identifizieren.
Sind alle Zigarren dafür geeignet?
Sicher nicht. Sehr milde Zigarren werden nach 5 bis 10 Jahren nur noch fahl und flach schmecken. Grundsätzlich eignen sich die kubanischen Zigarren für die Reifelagerung sicher am besten. Aber auch hier gibt es Unterschiede. Eine sehr milde Fonseca Nr. 1 eignet sich für eine Langzeitlagerung eher nicht. Hier flüchten die Aromen und das Ergebnis ist ernüchternd. Kräftigere Zigarren wie eine Bolivar, Partagas oder Cohiba eignen sich grundsätzlich besser. Aber auch hier muss von Format zu Format unterschieden werden. Und selbst relativ milde Zigarren wie eine Hoyo Epicure Nr. 2 können nach 8 bis 10 Jahren ein großartiges Aromenspektrum entfalten.
Warum ist es schwierig, perfekt gereifte Zigarren im Handel kaufen?
Weil es aufgrund der hohen Kapitalbindung heute kaum mehr praktiziert wird. In Österreich haben Händler auch vom Gesetz her keine Möglichkeit, einen Aufpreis für den Lageraufwand zu verrechnen. Obwohl der Händler sein Kapital zum Beispiel 10 Jahre bindet und zudem noch die Kosten für Lagerung und Pflege aufbringt, darf er im Gegensatz zur Schweiz oder England für seine Zigarren keinen eigenen Preis bestimmen. Es ist immer nur der aktuelle Verkaufspreis erlaubt. Ein nicht wirklich attraktives Geschäftsmodell. Der passionierte Aficionado in Österreich ist also selbst für die Einlagerung, Pflege und Reifung der Zigarren verantwortlich, wenn er das volle Potenzial zur Entfaltung bringen möchte. Für mich als Humidorbauer ist das natürlich großartig.
Welche Voraussetzungen muss der Humidor im Eigenheim also vorweisen, um Zigarren standesgemäß zu „agen“?
„Cigar Aging“ im eigentlichen Sinn, also das Reifelagern für mindestens weitere 5 bis 10 Jahre, ist in einem Standard-Tischhumidor nicht möglich. Einzeln im Humidor gelagerte Zigarren kommen bei jedem Öffnen des Humidors mit Frischluft in Berührung. Das raubt ihnen über die Jahre hinweg das Aroma und das Bouquet. Für eine Langzeitlagerung sollte die relative Luftfeuchte möglichst konstant gehalten werden und die Zigarren müssen in der Originalkiste gelagert werden. Es bedarf eines Befeuchtungssystems, das am Stromnetz angeschlossen ist. Da führt kein Weg vorbei. Schwammbretter, Acrylpolymere oder Wasserschüsseln sind allesamt unzureichend und albern. Durch die permanent schwankende Luftfeuchte bei dieser Art der Befeuchtung wird eine professionelle Zigarrenreifung konterkariert. Professionelle Befeuchtungssysteme sind selbst so groß wie ein Tischhumidor und zur Befeuchtung von Humidorschränken gedacht. Und kaum jemand möchte nur eine Kiste einlagern, sondern es kommen über die Jahre immer neue Zigarren hinzu. Also sollte der Humidor mindestens eine Lagerungskapazität von 8 bis 10 Kisten aufweisen, je mehr, desto besser. Liest sich wie ein Witz – ist aber keiner: § 1 des Humidorgesetzes: Der Humidor ist immer zu klein. § 2: Sollte der Aficionado glauben, der Humidor sei nicht zu klein, so tritt automatisch § 1 in Kraft.