Ende Juni geht der Große Österreichische Staatspreis an Gerhard Roth. „Achtzig“ besuchte ihn im Zuge der aktuellen Greith-Haus-Ausstellung. Das ländliche Kulturhaus ist schon seit vielen Jahren eine Herzensangelegenheit von ihm.
Wie die Ausstellungen aus den vorherigen Jahren ist auch die aktuelle mit Künstler Christian Ludwig Attersee auf Ihre Initiative hin entstanden. Wie zufrieden sind Sie mit dem Ergebnis?
In der Vergangenheit habe ich viele Ausstellungen von Christian Ludwig Attersee gesehen, aber die Summe der 41 Bilder im Greith-Haus ist etwas Besonderes. Die Ausstellung Sternenfleisch gibt einen sehr guten Einblick in das Attersee-Universum. Ich finde auch die Gedichte gut, die im Katalog abgedruckt sind. Die Vernissage war ein Erlebnis, Attersee hat seine Lieder gesungen und selbst am Klavier begleitet, Bernd Jeschek hat die Gedichte von Christian rezitiert.
Was macht es aus, das erwähnte Attersee-Universum?
Seine Bilderwelt ist eine Mischung aus weltlichem Denken, aus Alltäglichem und den vier Elementen Wasser, Feuer, Luft und Erde, die wie in alchemistischen Experimenten miteinander in Beziehung treten. Die Bilder gleichen Spiegelungen auf dem Wasser. Sie lenken die Aufmerksamkeit des Betrachters auf das eigene Innenleben – auf die verblassenden, schwebenden Erinnerungsbilder, die wie Teile eines gerade gesunkenen Schiffs an der Meeresoberfläche auftauchen.
Mittlerweile haben die bedeutendsten Maler Österreichs im Greith-Haus ausgestellt. Wie gelingt es, so hochkarätige Namen in die Peripherie zu locken?
Die verdienstvolle Vorgängerin der heutigen Leiterin Corinna Löw, Helena Wallner, hat in den 13 Jahren ihrer Tätigkeit auch die Sammlung Infeld benutzen können. Ich kenne die meisten Künstler, die bei uns ausstellen, persönlich und die, die ich noch nicht getroffen habe, von ihren Arbeiten her. Manchmal muss man geduldig sein, manchmal geht es leicht. Ich vertraue den Malern, es steht ihnen im Greith-Haus jetzt künstlerisch frei zu machen, was sie wollen. Es gibt keine Vorschriften, wie eine Ausstellung bei uns auszusehen hat. Die Künstler lassen sich auf die Räumlichkeiten ein. So entstehen authentische Ausstellungen, die sich von jenen in großen öffentlichen Häusern durch ihre Intimität unterscheiden.
Was verbindet Sie mit Christian Ludwig Attersee?
Ich hab’ ihn schon vor 30 Jahren in Wien kennengelernt, gemeinsam mit Künstlern wie Günter Brus, Arnulf Rainer, Hermann Nitsch oder Walter Pichler. Sie zählten zum „Stammtisch“ des Beisls Oswald & Kalb. Wir haben uns dort immer wieder zu den unterschiedlichsten Anlässen getroffen, oft auch durch Zufall. Ich habe mich unter Malern immer wohlgefühlt, es gab keine Intrigen und man war willkommen. Die Künstler haben auch alle ein Konzept gehabt, wie sie ihre Innenwelt und die Außenwelt verarbeitet und dargestellt haben. Das hat oft zu interessanten Gesprächen geführt. Mit Christian habe ich immer einen freundschaftlichen Kontakt gehabt – wir schätzen uns gegenseitig. Ich finde auch seine Gedichte und Lieder schön. Er ist Poet in vielerlei Hinsicht.
Wie sieht die Zukunft aus? So gut wie alles, was in der österreichischen Malerei Rang und Namen hat, war bereits zu Gast.
Nein, das stimmt nicht. Natürlich, mit den berühmten „klassischen“ Malern der österreichischen Moderne sind wir nun bald durch. Wie ich selbst, werden auch sie mit der Zeit immer älter. Nach Valie Export wenden wir uns daher den Neuen Wilden und der Karikatur zu. Für die Zukunft gibt es darüber hinaus auch sehr konkrete Schritte. Wir haben uns dem Kabarett geöffnet, Lukas Resetarits, Josef Hader und Angelika Niedetzky waren schon bei uns, für nächstes Jahr hat Alfred Dorfer zugesagt. Ein weiterer Schwerpunkt wird unsere neue Serie „Burgtheater“ werden. Heuer haben wir als erste Elisabeth Orth, die Tochter von Paula Wessely und Attila Hörbiger, zu Gast. Danach kommt Cornelius Obonya, der gegenwärtige „Jedermann“ von den Salzburger Festspielen. Jeder Schauspieler, der vom Burgtheater bei uns auftritt, kann sich selbst aussuchen, was er vortragen will. Es wird auch ein neues Gesprächsformat geben, das zur öffentlichen Diskussion einlädt. Heuer kommt noch der Erzbischof von Salzburg, jedes Jahr soll dann ein anderer bei uns gastieren, das können Künstler, Schriftsteller, Wissenschaftler, Politiker oder Fußballtrainer sein.
Heute ist das Greith-Haus ein Vorzeigebeispiel, wie Kunst und Kultur in der ländlichen Region vermittelt werden können. Wie schwierig waren die Anfangsjahre?
Die ursprüngliche Idee eines Kulturhauses in Greith kam von einem Nachbarn, Josef Zmugg, einem Lehrer der Weinbauschule Silberberg. Zuerst habe ich nichts davon hören wollen. Zmugg war aber so begeistert und hat jedes Mal, wenn er mich besucht hat, einen so guten Wein mitgebracht, dass ich schließlich meine Mithilfe zugesagt habe. Daraufhin habe ich sehr viele Briefe geschrieben und Ideen entwickelt. Es sollte nicht ein beliebiges Volkshaus werden, sondern eine Einrichtung, die der ländlichen Bevölkerung urbane Kultur präsentiert. Es war ein Vorhaben wie die Idee vom Opernhaus im peruanischen Dschungel, von der „Fitzcarraldo“ im Film von Werner Herzog besessen war.
Wie hat die Bevölkerung damals reagiert?
Zum Teil mit Begeisterung, zum Teil mit Distanz. Die gibt es auch heute noch. Wir haben allerdings Blasmusikkonzerte, die Theatergruppe und das Schultheater für Kinder in unser Programm aufgenommen. In den letzten drei Jahren haben sich die Besucherzahlen ständig gesteigert.
Sie sprachen das Älterwerden an. Nächstes Jahr feiern Sie Ihren 75. Geburtstag. Was bedeutet das für Sie?
Mein Körper ist zwar schon alt, aber das Denken ist noch so, als ob ich 20 wäre. Es ist nur erfahrener geworden. Ich bin nach wie vor neugierig. Ob das einen Bereich in den Naturwissenschaften betrifft, in der Kunst, der Philosophie, Musik oder Literatur. So lange ich Zugang zu dieser zweiten Welt habe, fühle ich mich nicht alt.
Ende Juni werden Sie mit dem großen Österreichischen Staatspreis ausgezeichnet – wie gehen Sie damit um?
Für mich ist das ein großes Geschenk. Das größte Geschenk aber ist das Schreiben selbst. Dass ich Inspiration und ein intaktes Innenleben habe, das reich ist, sich wandelt und neue Gedanken hervorbringt.
Mit Ihren beiden Zyklen haben Sie vor wenigen Jahren Ihr Opus magnum abgeschlossen. War es schwierig, plötzlich komplett frei zu sein?
Das Schwierigste war, mich von all den Figuren aus den 15 Bänden zu trennen. Sie waren drei Jahrzehnte Begleiter von mir und haben mitbestimmt, wie sich die einzelnen Bücher weiterentwickelt haben. Die letzten Jahre des Orkus-Zyklus waren nicht nur für mich, sondern auch für meine Frau Senta schwierig. Ich war Tag und Nacht mit diesen Figuren in meinem Kopf unterwegs. Als das zu Ende war, wusste ich nicht, wie es mit mir weitergeht. Bei jedem Denkansatz ist sofort eine Figur aus meinen beiden Romanzyklen bzw. aus den 15 Büchern aufgetreten und wollte weiterleben. Ich musste erst Distanz gewinnen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich einen Unfall und bin dann krank geworden. Das hat mehr als drei Jahre gedauert und in dieser Zeit konnte ich die beiden Roman-Zyklen hinter mir lassen. Ich bin ein anderer Mensch geworden, es ist auch das Buch Grundriss eines Rätsels entstanden. Ich zähle es zum Besten, was ich geschrieben habe. Im Zuge dessen bin ich auf Venedig gekommen. Genaueres möchte ich dazu nicht sagen, aber es ist das erste mit kulturhistorischen Einsprengseln. Es geht, genauer gesagt, um das Paradies.
Haben Sie das Paradies bereits gefunden?
Ich denke, wir alle wissen, dass es das Paradies nicht gibt. Wir alle wissen, dass das Paradies eine Fälschung ist. Und wir alle wissen auch, dass wir ohne Vorstellung des Paradieses eigentlich ein armes Leben führen würden.