Waren es in der abgelaufenen Spielzeit am Schauspielhaus Graz die unterschiedlichen Perspektiven auf Grenzen, so wird in der kommenden die Frage nach dem Verhältnis von Tradition und Revolution, Bewahren und Verändern den thematischen Bogen bilden.
24 Premieren im Schauspielhaus, in Graz und um Graz herum: Auch in ihrer zweiten Spielzeit bietet Schauspielhaus-Intendantin Iris Laufenberg ein dichtes und abwechslungsreiches Programm. Rund um das Spielzeitmotto „Revolution“ finden sich Klassiker, ein musikalischer Abend, ein Familienstück sowie Zeitgenössisches und Stückentwicklungen am Spielplan 2016.2017. Mit der Uraufführung eines neuen Stückes des österreichischen Autors Thomas Arzt in HAUS EINS wird am 15. September die Saison eröffnet. Das Schauspielhaus Graz bekennt sich somit weiterhin zur zeitgenössischen Dramatik, die sowohl im großen Haus als auch in den beiden kleineren Spielstätten HAUS ZWEI und HAUS DREI einen großen Stellenwert einnimmt. Zusätzlich wird man sich mit zwei Produktionen in die Stadt Graz und die Steiermark begeben. Insgesamt erwarten das Publikum in der Spielzeit vier Uraufführungen, eine deutschsprachige Erstaufführung und zwei österreichische Erstaufführungen auf fünf Bühnen.
Ein Ausblick
Das konzeptionelle Herzstück der neuen Spielzeit schlägt in ihrer Mitte: Der Auftrag: Dantons Tod bringt die beiden Werke um Macht und Ohnmacht von Heiner Müller und Georg Büchner in einer Inszenierung von Jan-Christoph Gockel („Merlin“) und Puppenbauer Michael Pietsch zusammen (Premiere: 3.3.2017, HAUS EINS). Mit dem Kampf zwischen Einzelnem und Kollektiv beschäftigen sich die Eröffnungspremieren der Saison. Thomas Arzt hat im Auftrag des Schauspielhauses mit Die Neigung des Peter Rosegger ein Theaterstück verfasst, in dem er mit seiner feinen Sprachgestaltung das Konzept „Heimat“ hinterfragt. HAUS ZWEI eröffnet mit Yellow Line, Juli Zehs und Charlotte Roos’ böser Komödie über Freiheitssuche, Bedürfnisgemeinschaft und das Glück der Selbsteinsperrung (Premiere: 22.9.2016). Zur deutschsprachigen Erstaufführung kommt ebendort ein Werk der diesjährigen Literatur-Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch, Secondhand-Zeit. Leben auf den Trümmern des Sozialismus, in welchem den Erinnerungen ehemaliger Sowjetbürger Raum gegeben wird, die vom Gelingen und Scheitern der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution berichten (Premiere: 1.12.2016). Sandy Lopicic wird Redaktionsschluss! als musikalischen Theaterabend um ein komplexes, politisches Thema unserer Zeit mit Freiheit und Fantasie, Humor und Ernsthaftigkeit, Musik und Szene zur Uraufführung bringen (12.1.2017).
Große Namen der Literaturgeschichte
Als zweite Premiere im großen Haus schickt Regisseur Stephan Rottkamp einen vermeintlichen Revisor (von Nikolaj Gogol) in ein Städtchen, das verzweifelt versucht, jeglichen Korruptionsverdacht von sich zu weisen (Premiere: 30.9.2016). Regisseurin Lily Sykes (Cactus Land) wird das tragischste Liebespaar der Weltgeschichte erneut zum Leben erwecken: Romeo und Julia von William Shakespeare feiert am 18. November Premiere in HAUS EINS. Darauf folgt Volker Hesses erste Regiearbeit am Schauspielhaus Graz, das Kammerspiel Geächtet des pakistanisch-stämmigen Amerikaners Ayad Akhtar (Premiere am 10.12.2016). Und Jan Stephan Schmieding inszeniert Virginia Woolfs Orlando für HAUS ZWEI (Premiere im März 2017).
Österreichische Autorinnen und Autoren
Auf dem Spielplan stehen auch Werke bedeutender österreichischer Autorinnen und Autoren: Johann Nestroys Gesellschaftsposse Der Talisman beschließt den Spielplan von HAUS EINS und bekommt für Graz neue Couplets und Lieder – für diese sorgt der in Graz geborene und im deutschsprachigen Raum hochgelobte Newcomer der Dramaszene, Ferdinand Schmalz (Premiere: 22.4.2017). Außerdem wird Schmalz’ Der thermale Widerstand im Mai 2017 in HAUS ZWEI Premiere feiern (und dort die Spielzeit beschließen). Mario Matthias wird Bestsellerautor Daniel Glattauers erstes Theaterstück, Die Wunderübung, mit Margarethe Tiesel, Franz Solar und Johannes Silberschneider inszenieren (ab 4.2.2017, HAUS EINS). Daneben stehen Ingeborg Bachmanns Der gute Gott von Manhattan (Premiere im Jänner 2017, HAUS ZWEI) und Thomas Bernhards Einfach kompliziert ab Februar in HAUS DREI am Programm.
Zahlreiche Kooperationen
Weitergeführt wird die Zusammenarbeit mit dem steirischen herbst. Mit dem abschließenden Teil seiner gefeierten Europa-Trilogie zeigt der Schweizer Milo Rau mit Empire erstmals eine Arbeit in Graz. Mit dem Theater im Bahnhof wird es in Geidorf’s Eleven zur ersten Zusammenarbeit kommen: Die neue Grazer Schulden-Komödie wird in der Regie von Helmut Köpping mit SchauspielerInnen beider Institutionen von Schuldenfallen, Verdrängen, Versagen, Scham und Schande erzählen. Tomi Ungerer bereitet mit der Vorlage des Kinderbuches Der Mondmann den Nährboden für ein musikalisches Theaterstück über die kleine Sehnsucht, im Schutz des Mond(mann)es Schlaf zu finden, und über die despotische Sehnsucht, den Mond zu erobern (in Kooperation mit dem Institut für Schauspiel der Kunstuniversität Graz). Eine Fortsetzung findet auch das Dramatiker*innenfestival für Graz in Zusammenarbeit mit dem DRAMA FORUM von uniT und dem Deutschen Literaturfonds Darmstadt e.V.: im Frühjahr 2017 wird man sich unter dem Titel „P³ – The Plurality of Privacy“ mit dem Wert von Privatheit beschäftigen.
Weitere, besondere Premieren
Am Ende der Saison ist das Publikum aufgefordert, den klassischen Bühnenraum zu verlassen: Eines der romantischsten Stücke der Theatergeschichte, Cyrano de Bergerac von Edmond Rostand, wird als Open-Air auf der Schloßbergbühne Kasematten gezeigt (Premiere: 10.6.2017). In Kooperation mit der Katholischen und der Evangelischen Kirche Steiermark wird in Lot Vekemans Monolog Judas in Kirchengebäuden der Ikone des Verrats ein Plenum geboten (Premiere am 27. Jänner 2017 im Grazer Mausoleum). Die Inszenierung wird in 21 Kirchen und Klöstern in Graz und in der Steiermark gezeigt. In HAUS DREI lädt ein szenisches Rollenspiel der besonderen Art zum Experiment ein: Press Staat for Revolution verrät „10 Anleitungen für Ihre persönliche Mini-Revolution“ (Premiere am 21.12.2016). Das Dokumentarprojekt Graz und die Menschenrechte von Clemens Bechtel wird mit dem Blick auf „Privatheit“ fortgesetzt („Sicherheit statt Freiheit? Graz und die Menschenrechte 2“; Premiere im Mai 2017). Im Repertoire von HAUS DREI wird auch H. Ein konzertanter Annäherungsversuch an Hamlet und Cobain von Florian Köhler und Viola Novak (Premiere: 13.10.2016) und Malenkaya Strana (Kleines Land), eine Performance von und mit Tamara Semzov, (Premiere: 28.9.2016) zu sehen sein.
Neue Projekte der Theaterpädagogik/Vermittlung
Neu ist auch der „Schauklub – Reihe 1“, der Interessierte einmal im Monat in die extra reservierte erste Reihe lädt, danach wird diskutiert und gemeinsam mit Teammitgliedern reflektiert. In der Reihe „Spielklub“ sind all jene aufgefordert teilzunehmen, die Lust am Theaterspielen haben: In Kooperation mit der Kunstuniversität Graz wird es einen Spielklub für alle 20+ geben, in Kooperation mit dem TaO! für alle 16+ und ein Projekt des Schauspielhaus für alle 14+.
Saisonstart nach der Sommerpause mit „Die Neigung des Peter Rosegger“
Eine Kleinstadt in der österreichischen Provinz ist in Aufruhr. Die Statue des Heimatdichters Peter Rosegger, das Prunkstück der Gemeinde, neigt sich seitwärts. Vielleicht ist eine Verschiebung der Eurasischen Platte die Ursache, mit der möglichen Konsequenz, dass hier – mitten in der Steiermark – einer der neuen Gräben entstehen könnte. Noch will man dem nicht so richtig Glauben schenken. Doch der nächste Morgen bringt einen neuerlichen Rechtsruck und nun lässt es sich nicht mehr verbergen: Irgendetwas liegt im Argen …
Fast 100 Jahre nach Roseggers Tod erzählt der junge oberösterreichische Dramatiker Thomas Arzt in diesem Stück feinfühlig und auf sehr humorvolle Weise davon, wie verloren man sein kann in der eigenen Heimat.
Wie viel Steiermark-Bezug steckt in dieser Posse rund um den „Waldbauernbub“ Rosegger?
Thomas Arzt: „Der Schauplatz des Stücks ist eine Kleinstadt in der Steiermark. Ich beziehe mich hierbei auf die steirische Landschaft, auf steirisches Liedgut und auch auf den steirischen Dialekt. Daneben interessiert mich aber vor allem der überregionale Rahmen. Und das ist Österreich. Und am Ende auch Europa. Ich erzähle in dem Stück nämlich von Menschen, denen die gewohnten Sicherheiten zerfallen – und das, was wir gerne als Heimat bezeichnen. Ich frage mich, ob es denn in einer globalisierten Welt gerechtfertigt ist, einen heimischen Mikrokosmos abgrenzen zu wollen, wenn doch alles verwoben ist, durch globale Bewegungen von Geld, Macht, Ausbeutung, Krieg und Flucht. Ich frage mich außerdem, ob es gerechtfertigt ist, zu einer Verteidigung alter, nationalstaatlicher und mitunter nationalistischer Territorien aufzurufen. Und auch, ob wir es uns nicht zu bequem gemacht haben, in der Vorstellung, dass unser Wohlstand das gerechtfertigte Resultat unserer heimischen Politik sei. Peter Rosegger, mit seiner ambivalenten politischen Einordnung und seiner Sicht auf die steirische Landschaft und die ländliche Bevölkerung, dient mir dabei als ideale Folie.“
Premiere: Donnerstag, 15. September 2016