Berührende Stimmungsbilder an atmosphärisch dichten Spielstätten: Open Air und im Gasthaus. Die Theatertage Weißenbach und das WERKSTATT-Festival beweisen, dass Sommertheater nicht immer leicht bekömmlich, aber umso berührender sein kann, und nutzen ganze Orte als Bühne für große Klassiker und Uraufführungen.
Wenn das Theater im Bahnhof mit seinen erfolgreichen Komödie rechts der Mitte dem Publikum vorspielt, was Wahr und gut und schön ist, Simon Mayer rustikale Burschen als Sons of Sissy durch die Ennsau ziehen lässt, das Theater Rakete fragt: Wer oder was ist Das Mass der Dinge, bei Vollmondbetrachtungen körperliche Begierden und Bedürfnisse ans Licht treten und der Fluss leitmotivisch besungen wird, ja dann gibt sich das Who is Who der freien Szene bei den Theatertagen Weißenbach die Klinke in die Hand.
Aber alles der Reihe nach. Am 29. Juli fragt das Theater im Bahnhof im Rechten in uns. Nach Thomas Bernhard Manier exerziert am Beispiel einer Familie am sonntäglichen Mittagessen – realitätsnäher geht’s kaum. Für Autor Neil LaBute ist der Pygmalion-Stoff Ausgangspunkt, um in Das Mass der Dinge seine zwei Protagonisten die Grenzen der gegenseitigen Manipulation austesten zu lassen. Für eine Handvoll Liebe. Vollmondbetrachtungen entpuppt sich als aufgedecktes Versteckspiel eines Quartetts über Sehnsucht und Triebe. Rasant, komisch, opulent. Theater WalTzwerk spielt auch für ein jüngeres Publikum, wenn es die Geschichte vom kleinen Prinzen neu erzählt und danach fragt, was Freundschaft bedeutet. Gemeinsam auf den Weg machen sich vier Performer und Musiker in Simon Mayers Sons of Sissy. In der Auseinandersetzung mit dem Brauchtum gebärdet sich die Gruppe mal als schräges Volksmusikquartett, mal als experimentell verspielte Ritualtanzcombo. Sie bricht radikal und humorvoll traditionelle männliche Rollenbilder im Brauchtum auf. Juchatza! Klanglich geht es ebenso bei der Abschlussproduktion des Sommertheaterfestivals zu. Im preisgekrönten Essay Der Fluss – die Lieder der Lebenden und der Toten dreht sich alles um das kühle Nass und seine vielseitigen Bedeutungen: als trennender Bereich zwischen dem Dies- und Jenseits in der griechischen Mythologie, aber auch und vor allem als fruchtbarer Boden für das Ineinanderfließen von Kulturen wie im Grenzland Burgenland. Kein Wunder, dass der Theateressay in sechs Sprachen gesungen wird und in Volksballaden, geistlichen Liedern und Totenklagen einiges zu erzählen hat.
Festival der Uraufführungen
Von 27. September bis 1. Oktober setzt qualitativ hochwertiges Theater an „kleinen“ Orten seinen Siegeszug fort. In Oberzeiring findet das Uraufführungsfestival WERKSTATT statt. Gleich zehn der insgesamt 12 zeitgenössischen Theaterproduktionen sind Uraufführungen. Zur Eröffnung stimmt ein internationaler Frauenchor – mit der stimmlichen Unterstützung einiger Oberzeiringerinnen – ein „So samma Oberzeiring“ an, denn während des Festivals ist der ganze Markt (ein) Theater. Im ehemaligen Postamt geben die Rabtaldirndln bekannt: Ungeschönt – Dirndl sucht Bauer, sucht Franz von Strolchen 30 Jahre danach im Turnsaal der NMS nach seinem persönlichen Tschernobyl. Auf ein Geheimtreffen begibt sich das Publikum mit Simon Windisch in den Keller des alten Mathwieserhauses und die Traumfabrik Hollywood verlegt das Festival kurzerhand ins alte Kaufhaus Piber. Die Medienkünstlerin Mimu Merz lädt zu einem Spaziergang durch Oberzeiring ein und mit Alina Stockinger kann man bei Stefan Zweig Anleihen nehmen. Wer Lust hat, begibt sich auf eine Odyssee. Oder: die Suche nach dem Glück und kommt sich selbst näher. Was auch immer es zu erleben gilt, entgegen des Titels der Produktion Vseenost – Gleichgültigkeit vom Theater Sentjanz über die Einteilung in „wir” und die „die anderen”, kann und wird das Festival der Uraufführungen nicht gleichgültig am Publikum vorbeigehen. Es wird Spuren hinterlassen. Unterwegs zu den großen Geschichten, verortet in Oberzeiring.
WERKSTATT – Festival der Uraufführungen, 27. September bis 1. Oktober 2016,
Oberzeiring
Theatertage Weißenbach bis 5. August 2016, Weißenbach/Theater im Gsöllhof & Open Air
Infos & Tickets: theaterland steiermark 0664 834 74 06, info@theaterland.at, www.theaterland.at
Text: Natalie Resch
