Sie zählte in den früher 90ern zu den Shootingstars der Zeitgenössischen Kunst in Österreich. Doch mitten im Höhenflug stieg sie plötzlich aus, um viele Jahre später mit Botschaften zurückzukehren, die an Deutlichkeit kaum zu überbieten sind. Eine große Ausstellung im Kulturzentrum bei den Minoriten blickt nun auf ihr umfangreiches Werk der letzten 25 Jahre.
Matta Wagnest wurde 1964 in der Weststeiermark geboren. Im Jahre 1991 erhielt sie den steirischen Landeskulturpreis, 1993 den Kunstförderpreis der Stadt Graz. Ihr künstlerisches Werk umfasst die unterschiedlichsten Medien. Darunter Malerei, Grafik, Objekt, Installation und Performance. Immer wieder ist es dabei das Material Glas, das ihre Arbeit bestimmt. Neben großen Ausstellungen in Österreich ist vor allem ihre internationale Karriere beachtlich. Zu sehen war ihre Kunst bereits in Tokio, New York, Mailand, Amsterdam oder Köln. Bei der Biennale in Istanbul stellte sie gemeinsam mit Erwin Wurm, Heimo Zobernig und Gerald Rockenschaub aus. Doch dann, mitten im Höhenflug, beschloss die Künstlerin ihrer Karriere den Rücken zu kehren und auszusteigen. Fast 20 Jahre lang zog sie sich zurück, zu getrieben fühlte sie sich von Kuratoren und dem Ausstellungsbetrieb. Warum? Interessiert sei sie an Wahrhaftigkeit, nicht an Macht und Geld und Karriere. Seit einigen Jahren ist sie wieder zurück, das soziale Überleben steht im Zentrum ihrer Kunst. Ihre zentrale Frage: Wie kann man Werte weiterdenken, die jenseits der traditionellen, verlorenen oder verblassten liegen?
Schattengeist im Kulturzentrum bei den Minoriten
Die Ausstellung im Kulturzentrum bei den Minoriten blickt auf ein umfangreiches Werk der letzten 25 Jahre zurück. Darunter auch frühe, politische Arbeiten wie die 11 Alutafeln, die die Tragödie kriegerischer Ultimaten an Hand des Kuwaitkrieges thematisieren. Auf Treiben der Vereinigten Staaten setzten die UN im Jahre 1991 ein Ultimatum. Allein die Ankündigung des Krieges ließ damals 800.000 Menschen nach Jordanien fliehen. 11 Tage lang hatte Hussein Zeit, am 17. Jänner lief das Ultimatum ab. Diese Tatsache – das Ultimatum – machte damals die Künstlerin Matta Wagnest zum Ausgangspunkt ihrer Reflexion über die prognostizierte Katastrophe. 11 Alutafeln, auf dem schlicht die 11 Daten zu sehen sind, von 711991 bis 1711991, spiegeln sich in stark vergrößerten Zeitungsbildern, auf die u.a. die damaligen politischen Akteure von Hussein, Bush, Baker, Aziz sowie die Medienbilder der damaligen Tage zu sehen sind. 11 Tage lang wurde auf das „Ende“ zugesteuert. Das Ende der Serie markierte den Beginn des Krieges. Die scheinbare Zufälligkeit dieser 11 Tage im Jänner 1991 sind für Matta Wagnest nur ein Beispiel, wie nachhaltig jeder Tag historisch werden kann. Wie absurd absolute Androhungen sind, und was es eigentlich heißt, dass es ein „Nachher“ gibt.
Rettungssegel gegen das Treiben der Gegenwart
Diese frühen politischen Arbeiten Matta Wagnests sind in der Ausstellung der Bezugspunkt auf ihr jüngeres künstlerisches Werk, das für sie nach einem existenziellen Rückzug keimte und entstanden ist – und sich in einer radikalen Deutlichkeit der „Rettung der Menschheit“ widmet. Mit Goldfarbe schmiert sie neue Worte hin, malt Schiffe, die auf die Flüchtlingskatastrophe genauso anspielen wie auf die mythische Überfahrt, die vor allem gegen den Wind der Zeit widerstehen sollen: Der Gefahr der totalen Inflation der Begriffe ausgesetzt, setzt sie Worte wie „Liebe“ und „Verständnis“ als Rettungssegel gegen das Treiben der Gegenwart. Dessen Antriebsmotor ist für Matta Wagnest der Narzissmus, den es für sie zu überwinden gilt – existenziell, gesellschaftlich und kulturell.
Ihm stellt sie einen neuen interkulturellen Diskurs entgegen, der scheinbar plakativ beginnt: 12 gemalte Begriffe, die einerseits eine Bewegung und andererseits einen Zustand ausdrücken, präsentiert sie, in dicker Pinselschrift auf 12 Leinwandbildern förmlich hingeworfen, als Ausgangspunkt dieser Denkbewegungen: still / deep / cross / will / bleed / fall / feel / brand / seem / good / bloom / see.
Ob man sie assoziativ, intuitiv oder kognitiv liest – jede Möglichkeit ist gleichermaßen von Bedeutung: Es käme vor allem darauf an, einen Moment lang „innezuhalten“, um ein „Verstehen auf mehreren Ebenen“ zu ermöglichen, zeitlich wie räumlich. Diese Worte stellen „kommunikative Brücken“ für einen interdisziplinären, interkulturellen und interethnischen Dialog dar. Was sollen wir an Werten retten, aber vor allem: realisieren?
Abtragen am Körper
Matta Wagnest begann als Künstlerin in einer Zeit, als das Kontroversielle in der Kunst einen hohen Stellenwert hatte. Dieses Kontroversielle liegt ihr immer noch. Performance spielt dabei eine große Rolle – im Chillen, im Singen, im Nähen von Worten mit der Schreibmaschine, im Sitzen in einem großen Zelt, das sie „casa verde“ nennt: Besucher sind dabei willkommen.
Kontroversiell ist sie 25 Jahre später freilich umso mehr in ihrem absoluten Anspruch. Ihr künstlerisches Handeln hat zwei ganz große Felder im Blick: den Körper und die Zeit. Es ist die Definition von Zeit, die Zerstückelung von Zeit, die Ausdehnung dessen, was in der Zeit geschieht. Ausdehnung geht nie ohne Körper. Und Körper geht, so Matta Wagnest, nie ohne den eigenen Körper. Besonders prekär zeigt sich der Körper im Schlaf. Dort, wo er sich erholt, wo Träume sein Bewusstsein formen. Schlafende zeigt Matta Wagnest gleich im ersten Raum. „Schlafende sind so verletzlich.“ „Watched while sleeping“ war eine sehr frühe Arbeit, die erstmals in Tokio zu sehen war. Der Raum ist „dedicated to Werner Fenz“, dessen plötzlicher Tod vom vergangenen Sommer viele so erschüttert hat: Eine Geste des Gedenkens an diesen großen, bedeutenden Förderer der Kunst der Stadt Graz.
Kollektives Schmerzdenken
Das „Abtragen am Körper“ zeichnet sie an ihrem eigenen Körper vor. Schmerzbilder entstanden in und nach der Phase ihres Rückzugs. Die Erfahrung des Schmerzes, sagt Matta Wagnest, ist gesellschaftlich tabuisiert: Das führt zur Verhärtung oder verleitet zu Bewältigungsstrategien der Angst. Der Fehler bestehe darin, so die Künstlerin, die Schmerzerfahrung als das Problem des Einzelnen abzutun: Sie sei vielmehr auch eine Erfahrung, an der die Gesellschaft insgesamt lernen könnte. Will heißen: Am eigenen Körper werden auch die Probleme der Zeit abgetragen. Dort ist auch der Schattengeist dieser Welt zu bewältigen. Das sind – Klartext! – die Gegenkräfte zum Guten. Das Böse. Die Erbsünde. Und wie diese Worte alle heißen, an denen sich Religionen und Philosophien einmal sehr kreativ abgearbeitet haben. Und dieser Schattengeist durchzieht ein fast durchsichtiges, aber ziemlich dominantes Flattern in der Ausstellung. Im direkten Gegenüber prangern die Buchstaben von WHOMANRIGHTS im Korridor an der Wand, ursprünglich für die Istanbul-Biennale 1995 entstanden: Der Anspruch ist größer denn je. MENSCHENrechte, FRAUENrechte, getreten mit Füßen, WER? Matta Wagnest lässt nicht locker, den Körper, ihren eigenen Körper für diese permanente Frage einzusetzen. Immer wieder: „Am Körper tragen sich die Wunden der Gegenwart ab.“
Widerstand als Kriterium für Klarheit
Matta Wagnests Direktheit, ihre Geste fast im Modus der Heilsbringerin verblüfft, eckt an, lässt distanzieren, ja sich abwenden. Viele aber nimmt sie einfach mit. Nächstes Jahr wird sie mit dem Schattengeist im Österreichischen Kulturforum in Washington zu sehen sein. Ab 17. September ist sie nun in Graz zu sehen.
Ein Werte.Relaunch von Matta Wagnest
Ausstellungsdauer: 17.9. – 12.11.2016 / Öffnungszeiten: Di–Sa, 11–17 Uhr / Kurator: Johannes Rauchenberger