„Was uns Emigranten einigt, uns bleibend verbindet, ist das gemeinsame Erlebnis. – Der große Bruch …“, resümierte die Schriftstellerin Gina Kaus. In einer Lesung mit Musik – veranstaltet von der Steirischen Gesellschaft für Kulturpolitik – werden Emigrantinnen-Schicksale beleuchtet und gezeigt, dass Flucht auch weiblich ist.
Im Rahmen des mehrmonatigen Programmschwerpunkts zum Thema Emigration widmet sich die Steirische Gesellschaft für Kulturpolitik im Museum im Palais der weiblichen Seite der Flucht – als Finissage der von Reinhard Schultz kuratierten Ausstellung Emigration – gestern, heute, immer?. Gerhard M. Dienes, im Universalmuseum Joanneum für Auslandsprojekte zuständig, beleuchtet im Rahmen einer neuen Text-Collage Über Emigrantinnen und von Emigrantinnen deren Schicksale und präsentiert sie in einer Lesung gemeinsam mit der Schauspielerin Ninja Reichert. Begleitet werden sie von einer musikalischen Improvisation mit Klangschale und Stimme von Elfriede Reissig. Die Schriftstellerin und Drehbuchautorin Gina Kaus wurde unter dem Namen Regina Wiener 1893 in Wien geboren. 1933 wurden Kaus‘ Schriften von den Nationalsozialisten verboten und vernichtet. In Hollywood feierte sie in der Filmbranche große Erfolge. Gina Kaus starb 1985 in Los Angeles.
Rückkehr selten erwünscht
Aufgezeigt werden auch Schicksale wie jenes von Hannah Arendt, die glasklar jenes Regime analysierte, das sie in die Flucht trieb. Als Jüdin war sie gezwungen, 1933 aus Nazi-Deutschland in die USA zu emigrieren, wo sie kritische Schriften zu politischen Theorien verfasste, die sie durch ihre publizistischen Tätigkeiten oder als Hochschullehrerin verbreitete. Sie starb 1975 in New York.
Oder jenes von Hilde Spiel, die aus dem Exil nach Österreich zurückkehrte. Die vielfach ausgezeichnete österreichische Schriftstellerin, Übersetzerin und Kritikerin wurde 1911 in Wien geboren, studierte ebendort Philosophie und war Mitglied der 1934 verbotenen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs. 1936 emigrierte sie nach London, 1963 kehrte sie wieder nach Österreich zurück und arbeitete lange als Kulturkorrespondentin der FAZ, verfasste Romane, Erzählungen und historische Sachbücher.
Gewürdigt wird auch Mela Hartwig, die wieder zurück in die Steiermark wollte und merkte, nicht mehr erwünscht zu sein. Hartwig wurde 1893 in Wien als Tochter des jüdischen Soziologen Theodor Hartwig geboren. Zur Schauspielerin ausgebildet und in Berlin engagiert, heiratete sie 1921 und zog nach Graz. Als Schriftstellerin erfolgreich, verlor sie durch den aufkommenden Nationalsozialismus ihr Publikum. 1938 emigrierte sie nach London. 1948 zurück, erkannte sie leidvoll, dass sie in Österreich nicht mehr erwünscht war. Ein literarischer Neubeginn im deutschsprachigen Raum blieb Hartwig verwehrt. Sie starb 1967 in London.
Beleuchtet wird die Geschichte von Nelida Milani, die im zunächst italienischen und nach dem Zweiten Weltkrieg kroatischen Istrien Emigrantin in ihrem Geburtsland war. Die 1939 in Pula geborene Schriftstellerin und Illustratorin absolvierte ein Studium an der Kunstuniversität Zagreb und unterrichtet seit 1979 an der Universität Pula. Für die italienische nationale Gemeinschaft von Kroatien und Slowenien ist sie wichtiger Bestandteil für die Vermittlung ihres kulturellen Erbes.
Und last, but not least Nobelpreisträgerin Herta Müller, die ihre erste Lesung nach der Flucht aus der damaligen Volksrepublik Rumänien in Graz gab. Die deutschsprachige Schriftstellerin wurde 1953 in Nitchidorf/Rumänien geboren und war nach dem Studium der Germanistik und Rumänistik an der West-Universität Timisoara als Lehrerin und Schreiberin tätig. Müller thematisiert die Folgen der kommunistischen Diktatur in Rumänien und übt öffentlich Kritik an intellektueller Feigheit. Der Nobelpreis für Literatur wurde Herta Müller im Jahr 2009 verliehen.
Der große Bruch
Über Emigrantinnen und von Emigrantinnen
Textcollage von Gerhard M. Dienes
Präsentiert von Ninja Reichert und Gerhard M. Dienes
Musikalische Improvisation mit Klangschale und Stimme: Elfriede Reissig
Sonntag, 23. Oktober 2016, 11 Uhr
Museum im Palais, 2. Stock
Sackstraße 16, 8010 Graz