Start Kunst & Kultur Elektra im TiK: Von wegen enttäuscht und hilfsbedürftig

Elektra im TiK: Von wegen enttäuscht und hilfsbedürftig

Leid und Rache bleiben in Lilly Jäckls neuinterpretierter Version des antiken Theaterstücks Elektra essenzielle Elemente. Zum Kernthema erklärt sie jedoch die Rolle der Frau in unserer Gesellschaft.

Text: Stefan Zavernik

Es dürften mehr als gute 2.500 Jahre sein, als das Stück Elektra im antiken Griechenland seine Premiere erlebte. Das Werk aus der Feder des Philosophen Sophokles beschäftigt sich mit Trauer, Leid und Rache. Es wirft die Frage auf, inwieweit es gerechtfertigt sein kann, Tod mit Tod zu vergelten, um das eigene Leid durch Blutrache zu stillen. Um die Zuseher zu einem eigenen Urteil zu animieren, setzt Sophokles das Wehklagen der einzelnen Protagonisten in Szene und lässt so tiefe Einblicke in ihr Seelenleben zu. Doch auch wenn der Wunsch Elektras nach Rache erfüllt wird, ihre Mutter und dessen Liebhaber von Orest ermordet werden, bleibt sie als Hauptdarstellerin nicht mehr als eine enttäuschte und hilfsbedürftige Frau: Orest besteigt nach dem erfolgreichen Mord den Thron. Lilly Jäckl hat anderes mit ihrer Hauptdarstellerin vor und interpretierte sie in Form eines modernen Frauenbildes, die hart wie Stahl ihre Chance nutzt und den Thron besteigt.

tik_elektra_054-mediumAus der Antike direkt in die Zukunft

Wenn es nach dem Bühnenbild von Alfred Haidacher geht, ist Elektra nicht in der Gegenwart, sondern in der Zukunft angelangt. Rote Spinnweben verwandeln die Bühne in einen futuristischen Käfig, Elektra selbst ist mit Leinen an eine Art Hundehütte angebunden. Das ganze erinnert auf den ersten Blick an ein Science-Fiction-Setting aus der Feder von Ridley Scott. Doch anstelle eines blutrünstigen Aliens ist es Elektras Mutter, grandios gespielt von Petra Pauritsch, die auf perfide Art für Angst und Schrecken sorgt. Lilly Jäckl ist dem Plot des antiken Stücks über weite Teile treu geblieben, hat sich aber erlaubt, einige neue Figuren zum Leben zu erwecken und es mit einem neuen (zeitgemäßen?) Ende auszustatten.

tik_elektra_056-mediumDa gibt es zum Beispiel den sadistischen Oberarzt, der Elektra immer wieder aus der Hütte zerrt. Oder den bulimischen Mädchenchor, der dem Publikum musikalisch in Erinnerung ruft, wie abgestumpft unsere Gesellschaft heute ist. Auch Orest, der Bruder Elektras, der den Mord ausführen soll, verwandelt sich auf der Bühne des TiK von einem antiken Helden zu einem lendengesteuerten, jungen Tölpel, der nicht weiß, wo oben und unten ist. Es ist Elektra, die ihn auf Schiene in Richtung erfolgreicher Mordanschlag bringt. Schlussendlich aber muss sie selbst zur Axt greifen, um ihre Mutter zur Strecke zu bringen. Was bleibt, ist nicht das Leid, sondern der Sieg. Elektra befreit sich aus ihrer Rolle und besteigt selbst den Thron.

tik_elektra_038-mediumFazit: Unter der Regie von Eva Weutz ist es dem Team des TiK gelungen, das antike Stück auf erfrischend neue Weise umzusetzen. Und die Frage, ob Frau über Leichen gehen darf, um sich aufs Podest zu stellen, hat seit dem letzten US-Wahlkampf ebenfalls an Aktualität gewonnen. Sehenswert.

Elektra
Zu sehen noch am 1., 2., 3., 8., 10. Dezember
jeweils 20 Uhr

Theater im Keller
Münzgrabenstraße 35, 8010 Graz
tik-graz.at