In Österreich finden zwei der wichtigsten Festivals für Neuen Zirkus in Graz statt. Im Interview erzählt deren Intendant, Werner Schrempf, von den Entwicklungen des Genres, Graz als Creation Center und wie lokale Künstler davon profitieren.
Text: Natalie Resch
La Strada wird im nächsten Jahr 20 Jahre alt. Welche Rolle wird Neuer Zirkus in Zukunft spielen?
Der zeitgenössische Zirkus hat sehr schnell Eingang in unser Programm gefunden. Mit mir erinnern sich vermutlich viele Besucher der frühen La-Strada-Jahre an den Clown Leo Bassi oder an Leandre. Heute ist der Neue Zirkus auch auf den großen Bühnen zu finden. Die erste Produktion, die beim La-Strada-Publikum und bei der Presse für ein richtiges Aha-Erlebnis gesorgt hat, war Traces der Compagnie The 7 Fingers. Die Gruppe zählt neben dem schwedischen Cirkus Cirkör, der 2016 La Strada eröffnete, zur Topliga des Neuen Zirkus.
Der beim diesjährigen Cirque Noël gastierende frankokanadische Cirque Éloize zählt ebenso zu den weltweit erfolgreichen Compagnien. Was erwartet das Publikum?
Es kann sich auf ein Stück freuen, das einfach großartige akrobatische wie schauspielerische Leistungen bietet. Das Schöne an einer Produktion dieser Größe ist, wie koordiniert die Künstler miteinander arbeiten – ein Miteinander von Menschen, die sich blind vertrauen müssen. Dabei entsteht eine besondere Atmosphäre, die auch das Publikum spüren kann. Schön ist auch, mit welchem Respekt die Produktion mit den unterschiedlichen Generationen im Publikum umgeht. Sie spricht Kinder ebenso wie Großeltern an. Cirkopolis zeichnet sich durch Choreografien aus, die mit zirzensischen Mitteln umgesetzt sind. Es gibt ein spannendes Bühnenbild mit Projektionen und eine fantastische Musik. Die Inszenierung ist geprägt von viel Humor, Herz und Gefühl, scheut aber auch eine Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlichen Themen nicht.
2016 hat das Bundesministerium für Kunst und Kultur erstmals eine Förderung für den Neuen Zirkus vorgesehen. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Es ist ein Schritt in die richtige Richtung und gibt Hoffnung, dass diese Kunstform in Zukunft auch in Österreich verstärkt kulturpolitische Beachtung finden wird. Wir haben ja keine solche Tradition in diesem Bereich, wie dies in anderen Ländern der Fall ist. In Frankreich, Schweden oder Kanada beispielsweise sind staatlich oder privat geführte Zirkusschulen seit Jahrzehnten etabliert und das französische Kulturbudget sieht eine Fördersumme von rund 14 Mio Euro jährlich für Zirkus vor. Die Zusammenarbeit mit internationalen Partnerinstitutionen und Kreationszentren ist für uns auf jeden Fall unabdingbar.
Inwieweit unterstützt Sie das IN SITU- Netzwerk in Ihrer Tätigkeit?
IN SITU ist ein Netzwerk, das innovative künstlerische Kreationen im öffentlichen Raum aufspürt und fördert. La Strada hat es 2003 gemeinsam mit 4 europäischen Partnern gegründet, inzwischen zählt das Netzwerk 24 Partner aus 15 Ländern. Die Europäische Kommission unterstützt es von Beginn an. Im Netzwerk geht es uns um die internationale Zusammenarbeit, den künstlerischen und interkulturellen Austausch. Lisa Horvath, UniT, Theater t‘eig, dramagraz, Willi Dorner, … viele Künstler konnten Produktionen auf internationaler Ebene realisieren, was ohne IN SITU nicht in der Form möglich gewesen wäre. Es entstehen Projekte, die lokal produziert und regional verwurzelt sind, ausgestattet mit einer Antenne, die international aussendet und empfängt. Ich habe das Bild eines Creation Centers vor Augen.
Wie stellen Sie sich das „Creation Center“ konkret vor?
La Strada produziert oder koproduziert ein Drittel des Festivalprogrammes – mit Partnern innerhalb- und außerhalb Europas. Für Cirque Noël gilt Ähnliches: Jedes dritte Jahr soll eine neue Zirkusproduktion entstehen. So arbeiten wir kontinuierlich daran, den internationalen Ruf eines Creation Centers zur Entwicklung von Straßenkunstprojekten, aber auch des Neuen Zirkus in Graz auszubauen. Wichtiger Faktor ist die Einbindung lokaler Künstler und deren internationale Vernetzung. Dieser Austausch findet bereits statt. Es soll ein international nutzbarer Raum entstehen, in dem künstlerische Kreativität im Zentrum steht und fächerübergreifend agiert werden kann.
Inwieweit ist Ihnen die Balance zwischen Verortung und Internationalisierung bei der letztjährigen Cirque-Noël-Eigenproduktion Seasons gelungen?
An der Produktion wirken Akteure aus 8 Nationen mit. Mehr als die Hälfte der Beteiligten kommt aus der Steiermark: Musiker, Ton- und Bühnentechniker, Kostüm- und Bühnenbildner, Lichtdesigner. Koproduziert wurde Seasons von unserem belgischen IN SITU-Partner Theater op de Markt in Neerpelt. Dort waren die Künstler im Rahmen einer Residency zu Gast und präsentierten Seasons erstmals dem Publikum. Nach einem weiteren Tryout beim kommissionierenden Partner, dem Théâtre de Thalie in Frankreich, kehrte das Stück mit den gesammelten Ergebnissen nach Graz zurück, wo es seine Premiere feierte. Mit rund 9.000 Besuchern bei insgesamt 16 Vorstellungen im Grazer Orpheum war es ein sehr schöner Erfolg. Stéphane Glorieux, Leiter des TOHU-Zentrums für Neuen Zirkus in Montreal, reiste extra für Seasons an und hat das Stück für die Saison 2017/2018 nach Kanada eingeladen, mit Veranstaltern in Philadelphia bin ich im Gespräch. Im April 2017 wird Seasons in Kooperation mit der Stadt Weiz im Rahmen einer Residency im Kunsthaus Weiz gastieren. Zu den Vorstellungen sind auch internationale Programmdirektoren eingeladen. Wir arbeiten also an einer Nordamerika-Tournee und natürlich auch an weiteren Gastspielen in Europa.