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Schauspielhaus Graz: Redaktionsschluss!

Die Schauspieler Henriette Blumenau, Susanne Konstanze Weber, Clemens Maria Riegler, Sarah Sophia Meyer, Andri Schenardi werden in "Redaktionsschluss!" zu sehen sein. Foto: Lupi Spuma

Ein deutsches Volkslied weiß, dass die Gedanken frei sind. Und sie können gefährlich werden. In „Redaktionsschluss!“ widmet sich Autor und Regisseur Sandy Lopicic einem brisanten Thema. Wir baten ihn zum Interview.

Autoritäre Regierungen fürchten zu Recht eine freie und unabhängige Berichterstattung. Denn wo Medien auch über Unrecht, Machtmissbrauch oder Korruption berichten können, findet öffentliche Kontrolle und freie Meinungsbildung statt. Pressefreiheit ist eine Bedingung der Demokratie, ein Grundrecht, das auf der Meinungsfreiheit basiert – so wie auch die künstlerische Freiheit. Und die nutzt Sandy Lopicic, um ein komplexes, politisches Thema unserer Zeit mit Freiheit und Fantasie, Musik und Szene anzupacken.

„Redaktionsschluss!“

Die Ausgangssituation der Proben zu diesem Theaterabend – man stelle sich vor: Redaktionsmitglieder einer Zeitung, die eine letzte Nacht für die allerletzte Ausgabe haben, während sich draußen vor dem Gebäude Polizei und DemonstrantInnen Gefechte liefern. Der Vorabend einer Revolution, der Umsturz eines Systems, Aufbruch. Wahrhaft dramatische Bilder, die dem künstlerischen Team die Grundlage für die Beschäftigung mit dem Thema Revolution bieten. Wir sprachen mit Autor und Regisseur Lopicic über Medien, Gesellschaft und die Freiheit der Kunst.

„Die Gedanken sind frei!“ – inwieweit trifft das in einer von Medien indoktrinierten Welt noch zu?

Genau, heute ist die Frage eher, wie frei sind unsere Gedanken von Müll und Falschmeldungen? Wie viel „Freigeist“ bin oder habe ich noch, um mir meine Gedanken und Meinungen selbst zu bilden. Gefährlich wird es dann, wenn von außen gelenkt wird, wie wir zu denken haben, ohne dass wir es bemerken. Auch werden unsere Gedanken in dem Moment, in dem wir sie schreiben und auf Facebook und Co posten, zu Äußerungen. Und dafür kann man früher oder später belangt werden. Das ist etwas, das wir noch gar nicht so recht begriffen haben. Auch nicht zu vergessen, beim freizügigen Posten: Aus Gedanken werden Worte, aus Worten entstehen Taten, und aus Taten entsteht unsere Realität.

Pressefreiheit ist eine Bedingung der Demokratie. Aber wie frei sind die Medien, angesichts zusehends verschmelzender Anzeigen- und Journalistischer Redaktionen?

Das würde ich manches Mal auch gerne wissen! Dass Nachrichten, geografisch gesehen, immer parteiischer werden, scheint mir ein sehr gefährlicher Trend. Wenn ich z. B. nur den ORF, den ich als „neutral“ bezeichnen würde, als Quelle hätte, würde ich immer noch glauben, dass Gülen der Gute und Erdogan nur der Böse ist. Denn das ist, was der Westen propagiert. Im Gespräch mit türkischen Freunden erfahre ich dann aber ganz andere Sachen, die mir bis dahin verschwiegen wurden, ob bewusst oder nicht, bleibt eben fragwürdig. Allerdings erkläre ich mir dies nicht immer mit Korruption oder Lobbyismus, sondern eher mit dem „Facebooksyndrom“, wo bestimmte Informationen nur in bestimmten Kreisen landen und bleiben. Aber auch das ist manipulativ.

Autor und Regisseur Sandy Lopicic´ Foto: SNG Maribor
Autor und Regisseur Sandy Lopicic
Foto: SNG Maribor

Wie kann man diesem „Facebooksyndrom“ entgegenwirken?

Indem man nicht zu leichtgläubig ist und Dinge hinterfragt. Aber ohne auch gleich misstrauisch sein zu müssen. Schlimm finde ich auch die eigene (vor-)schnelle Verbreitung von nicht fundierten Informationen. Mit einem Klick teilt man eine Information, die möglicherweise 5 Minuten vorher jemand erfunden hat. Augen auf bei der Quellenangabe! Und auch hier gilt wieder einmal: Wer nichts weiß, muss alles glauben.

Investigativer Journalismus kostet Geld, der Leser konsumiert zusehends gratis. Untergräbt das nicht die seriöse Presse?

Das ist leider dasselbe Phänomen, wie in der Musikindustrie, wo durch das kostenlose (illegale!) Downloaden, gute Musik ihren Wert verloren hat. Und außerdem kann mittlerweile jeder mit einer iPhone-App ein Lied „komponieren“ und ins Netz stellen. Dadurch kam es zu einer Überschwemmung an billiger und schlechter Musik, die jetzt schon fast eine ganze Generation prägt. Um sich heute, abseits vom Mainstream, einen (guten) Geschmack zu eduzieren, bedarf es viel Energie, Neugier und guter Erziehung. Dem Geschenkten zu widerstehen, wäre auch ein mögliches Motto!

Hand in Hand mit der Pressefreiheit geht die Freiheit der Kunst. Spüren Sie Reglementierungen?

Ja, z. B. darf man seit Kurzem auf der Theaterbühne nicht mehr rauchen! Auch keine E-Zigarette. Ich finde solche Trends beunruhigend, weil übertrieben. Auch in der Architektur sind sie zu spüren: Alles glatt, steril, kalt, keine Sitzgelegenheiten mehr im öffentlichen Raum, weil „wer weiß, wer sich darauf legen könnte“ … Die künstlerische Freiheit finde ich derzeit eher durch Sparkurse der Politik und das Messen des Erfolgs an Besucherzahlen gefährdet. Das Reflektieren und das Kritisch-hinterfragen-Dürfen, welches Theater leisten kann und muss, wird dadurch langsam verdrängt.

Wie viel kann die Kunst dazu beitragen, um den Menschen die Augen zu öffnen?

Die Kunst hat durch Abstraktion die Möglichkeit, uns immer wieder neue und andere Sichtweisen zu ermöglichen. Uns selbst im Absurden zu erkennen und darüber lachen zu lernen, wie engstirnig wir uns manchmal in unserem Mikrokosmos bewegen. Die Welt und das Leben mit etwas Distanz zu erleben, berührt zu werden, erinnert zu werden an schon längst vergessene Sehnsüchte. Aber damit der Mensch wirklich seine Augen öffnen kann, muss er erstmal sein Smartphone ausschalten.

Die Idee zu diesem Stück kam Ihnen, nachdem die auflagenstärkste Tageszeitung der Türkei polizeilich unter staatliche Aufsicht gestellt wurde. Wie soll die EU mit der Türkei umgehen?

Ich maße mir nicht an, darauf eine Empfehlung abzugeben. Aber natürlich schmerzt es mich, zusehen zu müssen, wie ein ganzes Land, durch einen „Herrscher“ mit seiner Groß-osmanischen Idee, zurück katapultiert wird, in ein Stadium, aus dem es schon längst herausgewachsen schien. Alle Errungenschaften wie die Säkularisierung bzw. Laizismus, Frauenrechte, Presse- und Meinungsfreiheit etc., rückgängig zu machen, ist vollkommener Wahnsinn. Ein Fall für Amnesty International, aber auch für uns alle!

Nach „Trümmerfrauen, Bombenstimmung“, welches auch in der aktuellen Spielzeit wieder gezeigt wird, legen Sie mit „Redaktionsschluss!“ ihr zweites Stück am Schauspielhaus Graz vor. Wird es sich dem Thema ebenso humoresk widmen wie sein Vorgänger?

Ich kann gar nicht anders. Aber das ist nicht unbedingt tendenziös. Das Leben selbst ist doch tagtäglich voller meist unfreiwilliger Komik. Wenn man das dann auf die Bühne stellt, stellt man es doch nur aus und es wirkt plötzlich „humoresk“, obwohl es in Wirklichkeit, vor allem wenn es einem selbst passiert, tragisch ist, oder? Humor hilft uns, Dinge zu reflektieren. Außerdem öffnet er Perspektiven und Herzen, und die Botschaften erreichen die Menschen im Publikum schneller und nachhaltiger. Ein weiterer Aspekt ist die Karikatur, als Teil der Meinungs- oder Pressefreiheit und als eine große Errungenschaft, der abendländischen Kultur. Dinge überzeichnen zu dürfen, um sie umso ernster zu nehmen. Und das obwohl man darüber lachen kann … Für „Redaktionsschluss“ konnten wir den langjährigen Kleine-Zeitung-Karikaturisten Petar Pismestrovic gewinnen. Ich wollte ihm unbedingt ein kleines Denkmal setzen…

Redaktionsschluss!
Premiere: Do., 12. Jänner, 19.30 Uhr
Schauspielhaus Graz, HAUS EINS

 


 

Das Halbzeit-Abo des Schauspielhauses

Mit dem Halbzeit-Abo alle Frühjahrs-Inszenierungen in HAUS EINS um – 25 % sehen! Gültig für insgesamt 4 Produktionen an einem Wunschtermin zwischen Jänner und Juni 2017 (ausgenommen Premieren). Enthalten sind Sandy Lopicic´s Redaktionsschluss!, Daniel Glattauers erstes Theaterstück Die Wunderübung, das thematische Herzstück der Spielzeit Der Auftrag: Dantons Tod mit Puppen von Michael Pietsch sowie Johann Nestroys Talisman mit Couplets von Ferdinand Schmalz (Edmond Rostands Liebesdrama Cyrano de Bergerac auf den Kasematten ist zusätzlich optional im „Abo Plus“ buchbar). Und als Zuckerl gibt es zu jedem gekauften Abo eine weitere Karte um € 5 für eine Inszenierung in HAUS ZWEI.

Tickets und Infos unter 0316 8000 bzw. tickets@ticketzentrum.at
www.schauspielhaus-graz.at