Aufregungen, Skandale, Diskussionen. Der steirische herbst blickt auf 50 Jahre bewegte Festivalgeschichte zurück. Kurt Jungwirth prägte ihn 30 Jahre lang als Präsident. In „Achtzig“ spricht er über konfliktreiche Anfangsjahre, öffentliche Erregungen und Offenheit.
Text: Stefan Zavernik
Seit über 50 Jahren sind Sie in maßgebenden Positionen in der steirischen Kulturszene aktiv. Ihr Resümee: Wie viel kann Kunst verändern?
Das ist wirklich eine Preisfrage. Es gibt innerhalb der Kunst sicherlich das Bestreben, zu verändern. Doch damit Kunst etwas verändern kann, muss vieles zusammenwirken. Die Gesamtsituation muss dafür reif sein. Kunst kann in den Köpfen der Menschen zwar ein Umdenken bewirken, ob dieses aber umgesetzt wird, hängt letztendlich von gesellschaftspolitischen Entwicklungen ab.
Auch für ein Festival wie den steirischen herbst musste vieles zusammengewirkt haben, speziell in den Anfangsjahren. Wie hat alles seinen Anfang genommen?
Die 60er Jahre waren die Zeit der Hippies, der Studentenrevolten und der Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg. Diese gesellschaftlichen Entwicklungen schwappten von den USA nach Europa über. Eine junge Generation war am Vormarsch, die ihre eigene Sicht der Dinge hatte. Auch in Graz gab es viele Persönlichkeiten, die mit viel Talent und Intellekt ihre Meinung als Kulturschaffende vertreten haben. Als der steirische herbst im Jahre 1968 gegründet wurde, herrschte in der steirischen Kulturszene Aufbruchsstimmung. Es gab zum Beispiel das neu gegründete Forum Stadtpark, die Trigon Ausstellung oder die Neue Galerie unter der Leitung von Wilfried Skreiner. Der damalige Kulturlandesrat Hanns Koren wollte all diese Strömungen zusammenfassen und konzipierte mit maßgebenden Kulturschaffenden eine interdisziplinäre Serie von Veranstaltungen unter dem Titel der steirische herbst. Er verkündete, dass man die Besten der Besten des Landes dazu einladen möchte, ihre Kunst zu präsentieren. Bald hat sich aber herausgestellt, dass es nicht einfach werden würde, die sogenannten Besten des Landes überhaupt zu definieren.
Was sprach gegen eine klassische Leistungsschau?
Auf der einen Seite wollte man urtraditionelle Kunst zeigen und aufführen, zum Beispiel eine Oper von Johann Josef Fux im Schloss Eggenberg. Auf der anderen Seite gab es mit dem musikprotokoll erstmals ein Format, das sich mit sehr moderner Orchestermusik auseinandergesetzt hat. Das hat alles nicht wirklich zusammengepasst und ist sich auf gewisse Weise im Weg gestanden. Die Atmosphäre in der Steiermark war damals noch alles andere als offen für Neues. Dementsprechend konservativ waren auch die Medien, bis auf wenige Ausnahmen. Dennoch hat sich der Wunsch der Kunstszene nach Veränderung und nach Neuem mit den Jahren durchgesetzt. Ab den 70er Jahren wurde damit begonnen, vorranging moderne Kunst zu zeigen. Ich habe die Zeit als junger Kulturlandesrat erlebt.
Haben Sie sich mit dem Festival in ihrer Zeit als Kulturlandesrat stets identifizieren können?
Ich wurde immer gefragt, ob mir das eigentlich gefällt, was da passiert. Doch was mir gefällt, kann nicht das einzige Kriterium sein, wenn es um Kulturpolitik geht. Gefallen reicht nicht. Künstler brauchen Freiheiten, Kunst ist Versuch und Irrtum. Die Kunst braucht eine Versuchsbühne, und eine solche sollte der herbst sein. Das haben schlussendlich auch viele Kritiker irgendwann einsehen müssen.
Skandale wurden über die Jahre zu so etwas wie einem Markenzeichen des Festivals …
Eine erste große Erregung gab es im Jahre 1972. Auslöser war das offizielle Plakat des Festivals, das auch heute noch so manchen in Erinnerung sein wird. Ich hab sogar gehört, es wird als Rarität am Kunstmarkt gehandelt. Es zeigt einen massiven Typen von hinten, der sich die Hose hochzieht. Zu lesen war „Auf zum steirischen herbst!“. Kritiker vermuteten jedoch, dass sich der Mann die Hose runterzieht, um sein Geschäft auf den steirischen herbst zu verrichten. Ein erster kleiner Skandal.
Seinen ersten richtig großen Skandal hat das Festival Wolfi Bauer zu verdanken.
In der Tat. Sein Stück „Gespenster“ führte zu heftigen Auseinandersetzungen. Es wurde auch im ORF ausgestrahlt, sodass es für so gut wie niemanden aus mangelndem Interesse zu ignorieren war. Für die damalige Zeit war das Stück einfach zu viel. Alleine schon die Sprache war skandalös. Da gab es dann eine Unterschriftenaktion zur Rettung des steirischen herbstes. Auch ich persönlich wurde immer wieder angegriffen. Es war eine Zeit der Konflikte. Es wurde darüber diskutiert, was Kunst eigentlich kann, muss oder darf. Eine Diskussion, die ich heute kaum mehr finden kann und die mir abgeht.
Heute meinen einige Kritiker, der steirische herbst sei zu brav geworden. Es fehlen die Skandale. Fehlen sie ihm? Und wenn ja, wer trägt die Schuld, dass es keine mehr gibt?
Es liegt an der Zeit, in der wir leben, in der eine große Beliebigkeit an der Tagesordnung steht. Es stellt sich die Frage, was denn heutzutage überhaupt noch einen Skandal erregen kann? Was könnte ein Stein des Anstoßes sein? Heute ist so etwas kaum mehr möglich. Durch den erweiterten Kunstbegriff erst recht nicht in der Kunst. Es kann ja mittlerweile alles Kunst sein. Man könnte einen Skandal vielleicht berechnen, aber ob dieser stattfindet, weiß schlussendlich niemand. Vom Lichtschwert des Künstlers Harmut Skerbisch habe ich zum Beispiel erwartet, dass es mehr Aufregung geben würde. Gebaute, bewusst konstruierte Skandale braucht das Festival in meinen Augen nicht, denn diese Strategie geht selten auf. Wünschenswert bleibt für den steirischen herbst das Echo. Provokation sollte im Festival niemals fehlen.
Aber auch zu provozieren wird immer schwieriger.
Das stimmt. Es gibt einfach Grenzen. Man kann auf der Bühne niemanden erschießen.
Eine fehlende Aufbruchsstimmung in der steirischen Kulturszene wird auch gerne ins Spiel gebracht …
Damals in den 70er Jahren waren Aufbrüche und Umbrüche in der Welt bereits im Gange. Die Kunst hat diese wiedergespiegelt. Heute regiert die Beliebigkeit. Einzelne Kunstinstitutionen tragen hier wenig Schuld an der Gesamtsituation.
Wohin soll sich das Festival in ihren Augen zukünftig hinentwickeln?
Es darf auf keinen Fall austauschbar werden und muss ewig neu bleiben. Und es sollte seine Fühler mehr in Richtung östliches Europa ausstrecken. Manchmal kommt es mir vor, als leben wir noch immer hinter dem eisernen Vorhang.
Das Motto des diesjährigen Festivals trägt den Titel: Where are we now? Sie haben das Festival als Politiker und als sein Präsident jahrelang begleitet und mitgestaltet. Wo ist es nach 50 Jahren in ihren Augen nun gelandet?
Das Festival ist heute eine große Plattform für den neuen Versuch, für die neue Idee, für das neue Werk. Es hat dazu beigetragen, Offenheiten entstehen zu lassen. Die bringen Vorteile mit sich, nämlich dass man sich nicht mehr so leicht provozieren lässt. Die Steiermark hat dem Festival viel zu verdanken, auch das, was man heute Kulturtourismus nennt. Genauso wäre das Kulturhauptstadtjahr ohne die Reputation, die ein solches Festival verleiht, nur schwer möglich gewesen.
Welchen Erwartungen haben Sie selbst, als Konsument, wenn Sie es heute besuchen?
Ich bin kein Kunstwissenschaftler, aber neugierig. Ich möchte wissen, was sich in der Kunst aktuell abspielt. In dieser Hinsicht habe ich durch das Festival schon viel Neues kennengelernt. Wenn ich mir das aktuelle Programmheft anschaue, weiß ich, dass ich wieder einiges finden werde. Es ist ja auch kein „Heft“, sondern ein Buch. Das Programm ist wunderbar vielfältig. Da ist für viele Stoff dabei.
Stichwort „viele“. Hat sich das Festival mehr Zuseher verdient?
Alles hat seine Grenzen. Auch der steirische herbst. Ein Festival wie dieses kann nie als eine Massenveranstaltung funktionieren, wie es zum Beispiel ein Konzert von Andreas Gabalier zustande bringt.
Auf welche Programmpunkte freuen Sie sich im Rahmen des diesjährigen Festivals besonders?
Ich freue mich auf den Block über Jelinek im Festivalzentrum im Palais Attems.
steirischer herbst 2017
22.9. – 15.10.2017
Programm : www.steirischerherbst.at
[…] Jungwirth, der den „herbst“ 30 Jahre als Präsident beiwohnte, sagte kürzlich in einem Interview: ,,Man kann auf der Bühne niemanden erschießen.“ Ganz schön richtig, ganz schön schwer. […]