Klaus Kastberger, seit 2015 Chef des Literaturhauses, über seine Programmatik, den Literaturbetrieb und die heimliche Literaturhauptstadt.
Text: Wolfgang Pauker
Zufrieden mit der Positionierung des Hauses unter Ihrer Federführung?
Ich bin ja von außen gekommen und angetreten unter anderem mit der Idee, das Literaturhaus zu öffnen. Nicht mein eigenes Programm und meine eigenen Interessen abzuspielen, sondern herauszufinden, was die Grazer an Literatur interessiert, und ihnen dann ein möglichst breites Angebot zu machen. Ich habe das Gefühl, dass das auch zusehends ankommt, das Haus aber auch von den heimischen Autorinnen und Autoren als Ort gesehen wird, an dem sie sich wohlfühlen und eine Möglichkeiten sehen, sich und ihre Literatur an den Mann und an die Frau zu bringen. Bei den Besucherzahlen haben wir in den letzten beiden Jahren Rekordwerte erzielt.
Neben klassischen Leseformaten legen Sie großen Wert auf Diskurs und binden hier auch die Uni mit ein.
Mir geht es darum, breit aufgestellt zu sein und vor allem nicht nur die Präsentation, sondern auch die Diskussion zu forcieren und Gespräche in Gang zu bekommen. Die Kombination aus Nabl-Institut und Literaturhaus bietet sich natürlich an, um hier Synergien zu finden. An der Uni mache ich die Erfahrung, dass die erstsemestrigen Germanistikstudenten immer weniger Ahnung von Gegenwartsliteratur haben. In der Mittelschule wird das nicht mehr in dem Ausmaß wie früher vermittelt, aber es ist dann doch relativ einfach, ihr Interesse zu wecken. Studenten sind aber sicher nicht das Hauptpublikum eines Literaturhauses. Dieses ist sehr vielschichtig.
Wie stehen Sie zu Quoten?
Man sollte den Erfolg einer Veranstaltung nicht ausschließlich an der Quote messen, aber ich denke, dass Veranstaltungen, wo so wenige Besucher sind, dass Autorinnen oder Autoren „angefressen“ sind und Besucher sich einsam fühlen, nicht zielführend sind. Einen gewissen Grundstock an Besuchern braucht jede Veranstaltung. Die alte Dichotomie jedenfalls, der zufolge das Qualitätsvolle automatisch keine Besucher findet, und das Unpopuläre automatisch qualitätsvoll ist, stimmt so nicht mehr. Das ist heute vielfach gebrochen, weil die literarische Szene eben nicht mehr nur aus einem Gegensatz von Avantgarde und Mainstream besteht, sondern es hier unglaublich viele Zwischenformen gibt. Das Literaturhaus ist für mich auch keine Anstalt, die in jeder ihrer Veranstaltungen ein Qualitätsurteil trifft. Wir machen ein breites Programm, um möglichst viele Publikumsschichten zu interessieren. Natürlich gibt es im Programmkonzept auch ganz klar eigene Konturen, aber ohne Blick auf Vermittlungsmöglichkeiten kommt man nicht aus.
Die in den neuen Formaten besprochenen Bücher sind oft hoch politisch. Sehen Sie es als Auftrag der Literatur, sich „einzumischen“?
Sicher. Das müssen vor allem aber auch die Autorinnen und Autoren definieren. Lange Zeit hat es geheißen, die österreichische Literatur sei so unpolitisch. Dann gab es, beginnend mit Waldheim, eine Politisierungswelle. Heute mache ich die Erfahrung, dass es eigentlich recht wenige Autorinnen und Autoren gibt, die gewillt oder in der Lage sind, in ihrem Schreiben einen gesellschaftspolitischen Anspruch zu formulieren. Natürlich muss es auch Möglichkeiten des Schreibens jenseits dieser Politisierungs- und Einmischungsstrategien geben, aber politische Relevanz hat Literatur in jedem Fall. Das heißt aber nicht, dass man in jeder einzelnen Veranstaltung gleich die ganze Welt verbessern muss. Wichtig ist, vielfältige literarische Positionen zuzulassen und die Qualitäten von jedem dieser Ansätze zu sehen.
Neben Neuerscheinungen beschäftigt man sich stark mit der historischen Vielfalt literarischen Schaffens.
Der Literaturbetrieb, und das ist ein Prozess von mehreren Jahrzehnten, ist heute zusehends auf Neuerscheinungen und Aktualitäten hin konzentriert. Da steht natürlich eine ganze Industrie dahinter. Je stärker der Druck auf Aktualisierung wird, desto größer wird umgekehrt aber auch das Bedürfnis, sich mit dem zu beschäftigen, was vor zehn, zwanzig Jahren war. Es gibt hier immer wieder Wellen des Wiederentdeckens und manchmal sieht man ja auch tatsächlich erst Jahre später etwas an Büchern, was man vorher gar nicht bemerkt hat. Hier wollen wir auch in unserem Programm punktuell Akzente setzen. Das Franz-Nabl-Institut bietet dabei natürlich besondere Möglichkeiten, weil es darüber geballtes Wissen und entsprechende Kompetenzen gibt.
Dennoch schafft das Programm auch den Spagat zum Kommerz. Wie viel Platz lassen Sie der Show in Ihrer Jahresplanung?
Es ist schwierig, hier eine Quantität anzugeben. Was heißt auch Show? Ist Erika Pluhar Show? Ist Alf Poier Show? Ist Dirk Stermann Show? Tex Rubinowitz? Doris Knecht? Ist es Show, wenn der Schlagzeuger der Einstürzenden Neubauten zu Werner Schwab performt? Ich wehre mich gegen Schubladen, aber wahrscheinlich machen wir zumindest ein, zwei Mal im Monat auch Dinge, die es nicht unbedingt in den Olymp der Literatur schaffen werden.
Apropos Show: Was macht ein ausgewiesener Literaturforscher wie Sie in der Jury des Bachmannpreis?
Der Bachmannpreis ist für mich interessant aufgrund dessen, was man im Fernsehen nicht sieht. Man kann unglaublich viel lernen in Klagenfurt. Wie die Vermarktung, die mediale Aufmerksamkeit rund um Literatur funktioniert. Man bekommt am Anfang 14 Texte, ist noch unentschieden, was ist gut und was weniger. Plötzlich aber kommt dann eine ganze Maschinerie in Gang. Da sieht man sehr schnell, was in den Medien ankommt. Oft gibt es weit bessere Texte als die Gewinnertexte, aber den Autoren fehlt die Möglichkeit, sich selbst und diese Texte auch entsprechend zu popularisieren und dem ganzen Paket einen entsprechenden Drive zu geben. Andere Texte wieder sind nur Drive und sonst nichts.
Auch Stefanie Sargnagel – von Ihnen früh im Literaturhaus Graz präsentiert – kommt im Herbst wieder hierher. Wo beginnt für Sie Literatur, wo hört sie auf?
Das ist schwierig zu beantworten und führt mich zurück zu einer der ersten Veranstaltungen, die mir hier in Graz wichtig waren. Wir haben damals gefragt: „Was wird Literatur?“ Es ging darum, wohin sich Literatur in den Formen der neuen Medien, Facebook usw. entwickeln wird. Ich persönlich habe hier einen sehr pragmatischen Ansatz und einen sehr weitgefassten Literaturbegriff. Als Stefanie Sargnagel vor einigen Jahren angefangen hat, als Schriftstellerin tätig zu werden, wusste man nicht, ob sie eine Facebook-Autorin ist und das überhaupt als Buch funktioniert. Abseits all der Skandale und Skandalisierungen, denen sie ausgesetzt ist, hat sie sich seither prächtig entwickelt. Mittlerweile ist klar: Sargnagel ist Teil des Literaturbetriebes, allein schon deshalb, weil das Feuilleton sie und ihre Bücher so behandelt.
Der Herbst steht generell im Zeichen österreichischer Literatur …
Richtig. Ich persönlich habe heuer auch so viele österreichische Bücher gelesen wie nie zu vor, was daran liegt, dass ich in der Jury des österreichischen Buchpreises bin. Das Beste aus all dem haben wir im Herbst im Literaturhaus zu Gast. Robert Menasse präsentiert seinen neuen Roman, eine lang erwartete Auseinandersetzung mit Europa. Restlos begeistert war ich von Doron Rabinovici, der mit Die Außerirdischen eine politische Allegorie geschrieben hat, an der man nicht vorbeikommt. Gleiches gilt für die Bücher von Olga Flor, Günter Eichberger oder Manfred Mixner, die wir allesamt im Herbst präsentieren.
Graz hat einen ausgezeichneten Ruf als Stadt der Literatur. Woran liegt das?
Außergewöhnlich an Graz ist, dass Künstler und Autoren diese Stadt nicht sofort verlassen, wenn sie Karriere machen. Kaum ein Mensch bleibt in Linz, Bregenz oder Klagenfurt. In Graz aber gibt es offenkundig gewisse Gründe, warum angehende Literatur-Stars wie Clemens Setz, Valerie Fritsch und viele andere, die ich hier nicht alle nennen kann, noch immer da sind, und Leute wie Dževad Karahasan oder der großartige Fiston Mwanza Mujila in die Stadt kommen und gerne hier leben. Graz war immer eine offene Stadt und hat eine lange Tradition einer liberalen Kulturpolitik. Eine Zeit lang galt Graz gar als heimliche Hauptstadt der deutschsprachigen Literatur. Die Verantwortlichen sollten sich jederzeit bewusst sein, welchen Schatz sie an diesem Image bis heute und auch international haben. Graz als Stadt einer lebendigen Literatur- und Kulturszene ist eine Marke, die nach wie vor stark wirkt. Das muss auch für die Zukunft gehegt und gepflegt werden.
Starker Herbst im Literaturhaus Graz – Einige Highlights
Eva Rossmann am 19. September (Moderation: Ute Baumhackl)
Nationalismus, Terror, Hass, die Angst in Europa sind Themen in Patrioten, dem neuen Spannungsroman der Erfolgsautorin Eva Rossmann.
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Veit Heinichen am 21. September (Moderation: Christoph Hartner)
Der neue Heinichen-Krimi ist da! Doch in Scherbengericht macht Commissario Laurenti einen Fehler – bedeutet das das Ende des Triestiner Ermittlers?
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Stefanie Sargnagel am 5. Oktober
Radikal subjektiv und sehr gescheit schreibt Stefanie Sargnagel in ihrem neuen Buch Statusmeldungen über das sogenannte einfache Leben, über Feminismus, über Aussichtslosigkeit und Depression und sprengt dabei alle Genregrenzen.
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Paulus Hochgatterer am 6. November (Moderation: Klaus Nüchtern)
Eine berührende Geschichte über Angst, Sehnsucht und Alltag im Krieg: Autor und Psychiater Paulus Hochgatterer liest aus seiner neuen Erzählung Der Tag, an dem mein Großvater ein Held war.
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Oswald Wiener am 5. Dezember
Einer der Gründerväter der österreichischen Avantgarde, der heute in der Oststeiermark lebt: Oswald Wiener hält einen Vortrag über Dandysme in der Globalisierung.
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Michael Köhlmeier am 11. Dezember
In Der Mann, der Verlorenes wiederfindet erzählt Michael Köhlmeier, einer der vielseitigsten Schriftsteller deutscher Sprache, seine ganz eigene Geschichte vom Heiligen Antonius.
Das gesamte Programm unter: www.literaturhaus-graz.at
Kartenreservierungen online (bei der jeweiligen Veranstaltung) oder Kartentelefon +43 (0)676 6710166 (Band).
Eintrittspreise (wenn nicht anders angegeben): € 6.- Vollpreis bzw. € 4.- ermäßigt.
Veranstaltungsbeginn (wenn nicht anders angegeben): 19 Uhr