Seit einem guten Jahr steht das WIFI Steiermark unter der Leitung von Dr. Martin Neubauer. Im Gespräch mit „Achtzig“ zieht er eine erste Bilanz und gibt Einblick in seine bildungspolitischen Ansichten.
Als Sie im Juli die Stelle des Institutsleiters am WIFI Steiermark angetreten sind: Welche Dinge haben Sie erwartet, was hat Sie überrascht?
Ich kannte das WIFI natürlich. Es hat mich immer schon fasziniert, wie breit es als Komplettanbieter im Bildungsbereich aufgestellt ist und dabei eine dermaßen hohe Qualität bietet. Als ich die Stelle angetreten habe, war mir zwar klar, dass es dafür eine hohe Kompetenz braucht, mir war aber nicht klar, wie die Umsetzung funktionieren kann. Nun, ein Jahr später, weiß ich, dass diese Umsetzung sehr stark mit der Identifikation der einzelnen Mitarbeiter mit dem WIFI zusammenhängt. Die Mitarbeiter sind von Grund auf voll motiviert, das habe ich mir in dieser Form nicht erwartet und das fasziniert mich bis heute. Ich dachte auch, dass die Institution aufgrund ihrer Größe schwerfällig sein würde – hier wurde ich sehr positiv überrascht, wie dynamisch sie in Wirklichkeit ist. Es passiert viel im Bereich Produktentwicklung, man macht sich aktiv Gedanken. Negatives konnte ich in meinen Anfangsmonaten nicht erkennen. Hier ist viel meinem Vorgänger Peter Hochegger zu verdanken. Er war das Idol des WIFI und hat unglaublich viel auf die Beine gestellt. Meinen Job sehe ich also nicht darin, Dinge aus der Vergangenheit geradezubiegen, sondern auf die Entwicklungen der Zukunft optimal einzugehen. Diese betreffen uns so eklatant, dass man tagtäglich alles hinterfragen sollte.
Welche Herausforderungen werden in den kommenden Jahren maßgebend sein?
So wie viele Unternehmen von disruptiven Geschäftsmodellen bedroht sind, ist auch die Bildung im Wandel. Die Art der Wissensrezeption ändert sich, die Anforderungen an den Lehrenden genauso. Für unsere Kunden geht es heute um mehr, als Wissen nur vermittelt zu bekommen. Es geht ihnen darum, Wissen zu erwerben, zu diskutieren und schlussendlich anzuwenden. Denn Bildung sollte in einem hohen Maß anwendungsorientiert sein. Und es stellt sich die Frage: Welche Kompetenzen benötigen wir in der Zukunft?
Die Bildung erlebt in Österreich eine immer stärker werdende Akademisierung. Das WIFI hat darauf mit akademischen Lehrgängen reagiert. Auf der anderen Seite erhält auch die Lehre für viele Jugendliche einen neuen Reiz. Welchen Stellenwert hat ein akademischer Abschluss heute in der Karriereplanung eines jungen Menschen?
Mich persönlich stört es sehr, dass in Österreich noch immer davon ausgegangen wird, dass jemand, der eine Universität von innen gesehen hat, damit automatisch für höhere Weihen bestimmt sein soll. Das ist eine falsche Überlegung. Auch meine Eltern haben es als Aufgabe gesehen, dass ihr Bub die Matura macht – „Denn nur dann kann er was werden“. Heute ist das nicht mehr der Fall. Grundsätzlich stellt sich ja die Frage, entscheidet sich ein Mensch für die horizontale oder die vertikale Karriereplanung? Horizontal steht für eine Fachkarriere, vertikal für eine Führungskarriere – in beiden Systemen kann man es weit bringen. Ich halte viel von der Lehre, bin aber kein Freund davon, dass jemand erst eine Lehre macht, dann die Meisterprüfung absolviert und damit am Ende seiner Bildungskarriere angelangt ist. Auch jemand, der eine Lehre absolviert hat, muss die Chance haben, Karriere im Management zu machen – wenn er das will. Deswegen bin ich für eine Durchlässigkeit beider Systeme. Der Satz „Dafür musst du die Matura haben“ sollte in der Zukunft keine Gültigkeit mehr haben. Die Systeme sind verknüpfbar. Die WKO Steiermark fördert das System Bildung der Wirtschaft, damit Systeme noch durchlässiger werden. Nicht nur Lehre mit Matura, sondern auch Matura mit Lehre wird in Zukunft eine vielversprechende Option sein.
Wie sehr wird die Digitalisierung unsere Arbeitswelt in ihren Grundfesten verändern? Heute umfasst das Angebot des WIFI 10 verschiedene Geschäftsfelder. Werden einige davon bald der Vergangenheit angehören?
Ich glaube nicht, dass große Geschäftsfelder als solche wegbrechen werden. Weil wir Inhalte lehren, die sehr menschenorientiert sind. Das mächtigste Instrument ist das menschliche Hirn, das wird immer so sein – auch in einer Zeit, in der Roboter in der Arbeitswelt integriert sind. Vielleicht werden wir in 10 Jahren keinen Staplerfahrer-Führerschein mehr anbieten, weil es keine Stapler mehr gibt. Das ist für mich aber Evolution und keine Revolution. Der Kfz-Bereich wird zum Efz-Bereich werden. Die Antriebsmöglichkeiten ändern sich, und somit wird es E-Mechaniker geben. So wie sich Technologien weiterentwickeln, entwickelt sich auch der Mensch weiter. Gewisse Berufe sterben, andere kommen nach. Die Grundthemen werden dieselben bleiben.
Mehr als 40.000 Kursteilnehmer und über 3.500 Veranstaltungen jährlich sind das Ergebnis eines überaus breiten Bildungsangebotes. Dennoch gelingt es in vielen Bereichen, als Spezialist am Bildungssektor aufzuscheinen. Wohin wird sich das WIFI hinentwickeln, in die Breite oder in die Spezialisierung?
Ein breites Angebot wird auch weiterhin da sein müssen. Es ist der USP des WIFI geschuldet und kann nur dank des klaren Bekenntnisses unserer „Mutter“, der WKO Steiermark, so umfassend umgesetzt werden. Es soll für alle Berufsgruppen Angebote geben, das halte ich für ganz wichtig. In manchen Bereichen aber wird die Spezialisierung immer wichtiger. Manchmal ärgert mich das allerdings, denn viele Dinge, die heute noch als Spezialkenntnisse kommuniziert werden, werden in Zukunft solche sein, die jeder zu wissen hat. Es muss nicht jeder in allem ein Spezialist werden, aber gewisse Grundkenntnisse, vor allem was Zukunftstechnologien betrifft, sollten vorhanden sein. Diesen Sprung müssen wir erst schaffen.
Wie wird effektives Lernen in Zukunft aussehen. Verschwinden Hörsäle? Wandert der Unterricht komplett in den digitalen Raum?
Der Mensch ist ein soziales Wesen. Und er ist ein Herdentier. Deswegen lernt er auch in der Gruppe gut. In der Wissenschaft gibt es den Terminus des sozialen Lernens, der bis dato in der körperlichen Präsenz am besten funktioniert. Wenn man es flapsig sagen möchte: Oft lernt man bei Veranstaltung oder einem Seminar am meisten in den Gesprächen in den Pausen am Gang. Wo man sich mit Kollegen, Mitarbeitern oder Freunden austauscht. Der klassische Lehrsaal hingegen bedarf nach meiner Sicht einer massiven Revolution. Ich bin davon überzeugt, dass der Vortragende als Autoritätsperson, der auf einem Podest steht, obsolet ist. In unserer Zeit gibt es kein „Mehr-Wissen“, Wissen ist ein öffentliches Gut und überall ständig verfügbar. Es im Lehrsaal einfach nur zu reproduzieren ist falsch. Somit ist es auch nicht möglich, in einer Lehrveranstaltung etwas Neues zu vermitteln. Es geht um die Umsetzung von Wissen – hier muss der Vortragende die Menschen inspirieren.
Welchen Stellenwert wird der Bereich E-Learning am WIFI erhalten?
E-Learning-Produkte zu entwickeln, ist alleine zu wenig. Es geht darum abzustecken, wo es um Kompetenz-Erwerb geht und wo um reproduzierendes Wissen. Gewisse Parameter benötigen auch in Zukunft die Reproduktion. Werfen wir hierzu einen Blick in die Gastronomie: Wenn es darum geht zu wissen, wie die Allergenverordnung im Detail aussieht, handelt es sich nicht um Kompetenz-Erwerb, sondern um Fakten-Wissen. Hier braucht es eine andere Methodik, als wenn ich jemandem die Kompetenz vermitteln möchte, die es braucht, um ein Signature-Dish zu kreieren, das für ein Restaurant zum Aushängeschild wird. Beide Bereiche sind für ein Restaurant wichtig. Die Allergenverordnung lässt sich über ein lässiges E-Learning-Tool lehren. Wenn man aber vermitteln möchte, wie es gelingen kann, ein Restaurant zu einer Marke zu entwickeln, braucht es soziales Lernen mit Interaktion. Kompetenz braucht Menschen.
Die Leute werden immer älter, gehen später in Pension, sind länger im Arbeitsleben. Somit erhält auch das Thema „Lebenslanges Lernen“ eine neue Dimension. Welchen Stellenwert werden in Zukunft ältere Kursteilnehmer am WIFI einnehmen?
Ältere Menschen lernen anders und gehen von anderen Voraussetzungen aus. Lerntheoretisch ist es so: Je älter der Lernende, desto größer ist der Einfluss seiner Erfahrungen. Aber nicht nur bei älteren Menschen läuft der Wissenserwerb anders als bei Jugendlichen, auch bei Menschen mit Berufserfahrung. Sie fischen sich eher etwas heraus, was sie für ihren Beruf als wichtig empfinden. Das In-Frage-Stellen ist gerade bei Jüngeren viel wichtiger. Sie nehmen Dinge nicht einfach zur Kenntnis. Es gibt große Unterschiede und für diese braucht es unterschiedliche Zugänge. Ich sehe die Lösung nicht darin, Kurse für Junge und Kurse für Alte zu machen. Die Digitalisierung kann hier vieles möglich machen, um jeden Kunden individuell zu bearbeiten. In einem Lehrsaal mit 20 Teilnehmern geht das nicht. Aber im digitalen Raum, im Anschluss an eine Lehrveranstaltung. Bildung muss den Kunden punktgenau treffen. Wenn eine Veranstaltung so läuft, dass 80 % davon die Leute sowieso nicht interessieren, läuft etwas falsch.