Mit 23 Jahren verließ Pippo Pollina seine Heimat, um gegen die sizilianische Mafia aufzutreten. Heute liegen 22 Alben und tausende Auftritte hinter ihm. Im Vorfeld seines mit Spannung erwarteten Konzerts am Red Bull Ring traf „Achtzig“ den Weltmusiker zum Interview.
Mit Ihrer Österreich-Premiere nehmen Sie das Publikum mit auf eine Reise. Was erwartet die Menschen in Spielberg?
Kein klassisches Konzertformat. Neben der akustischen Komponente wird die Dimension des Erzählens und des Visualisierens eine große Rolle spielen. In dieser Formation aufzutreten ist auch für mich eine ganz neue Erfahrung. An diesem Abend werde ich verschiedenste Instrumente spielen und drei junge sizilianische Sängerinnen werden mich begleiten. Ich werde aus meiner ersten eigenen Buchveröffentlichung Die zwei Inseln lesen.
Was bewegte Sie dazu, Ihr erstes Buch zu schreiben?
Meine Intention war es, die Erinnerungen der letzten Jahrzehnte festzuhalten, bevor sie verloren gehen. Der biografische Aspekt macht aber nur einen Teil der 500 Seiten aus. Ich beschreibe vor allem auch die Veränderung der westlichen Welt durch die Augen eines Künstlers, der sein Leben lang durch diese Welt gereist ist.
Wie wichtig ist Ihnen die Nähe zum Publikum bei Ihren Konzerten?
Auf eine individuelle Auseinandersetzung mit dem Publikum lege ich größten Wert, da ich von der Atmosphäre einer Massenveranstaltung wegkommen möchte. Daher versuche ich immer, in ein persönliches Gespräch mit meinen Gästen zu treten. Egal ob ich vor 10.000 Zuhörern spiele, wie in der Arena von Verona, oder in kleinen, persönlichen Locations wie in Spielberg.
Der Red Bull Ring ist keine klassische Umgebung für Weltmusik. Passen wertige Musik und Motorsport zusammen?
Warum sollte es nicht funktionieren? Ich bin ein neugieriger Mensch und davon überzeugt, dass eine außergewöhnliche Umgebung ein Event einzigartig machen kann.
Was macht Weltmusik generell für Sie aus?
Ich lasse mich bei meiner Musik von den Klängen und Instrumenten verschiedener Länder dieser Erde inspirieren. Mit Weltmusik verbinde ich auch klangliche Erinnerungen an jene Orte, die ich selbst bereist habe. Jedes Mal wenn ich ein neues Land entdecke, besuche ich ein Musikgeschäft und nehme Platten von dort mit nach Hause. Musik ist für mich der Schlüssel zu einer Kultur. Die Liebe zum Reisen bedeutet für mich die Neugierde auf fremde Länder, Menschen und ihre Kulturen. Wenn man stets am selben Ort sesshaft ist, betrachtet man die Welt immer nur von seinem eigenen Fenster aus. Durch das Reisen hingegen beginnt man, Fragen zu stellen, und materielle Dinge relativieren sich.
Vor Ihrer Musikkarriere arbeiteten Sie als Journalist. In dieser Zeit wurde der Chefredakteur Ihrer Zeitschrift von der Mafia ermordet. Haben Sie deshalb Ihre Heimat verlassen?
Italien ist ein wunderschönes Land, wenn man es als Tourist besucht. Als Gast ist die Spontaneität der Menschen fantastisch. Aber man kann sich nur bedingt auf die Rechtsstaatlichkeit in diesem Land verlassen. Italien ist leider nicht für alle Bürger gleichermaßen da. Das ist auch ein Grund dafür, wieso sich die Mafia etablieren konnte. Wenn rechtliche Institutionen schwach sind, übernehmen andere Mächte die Funktionen des Staates. So entsteht zuerst Armut, dann Kriminalität und in weiterer Folge Gewalt. Aus diesem Grund habe ich Italien nach meinem Jus-Studium mit nur 23 Jahren verlassen. Auch Berlusconi, der Italien zwanzig Jahre lang regierte, spielte bei meiner Entscheidung eine Rolle.
Ihre Journalistenkarriere haben Sie mittlerweile an den Nagel gehängt. Ist es einfacher, die Menschen durch Musik zu erreichen?
Ja, mit der Musik kann man tatsächlich mehr Menschen erreichen. Sie berührt die Hörer im Herzen, während der Journalismus seine Leser vor allem intellektuell erreicht. Musik ist für mich eine ganzheitliche Erfahrung, die sowohl körperlich als auch emotional glücklich macht. Wenn wir mit der Musik verreisen, sind wir weniger regional gebunden und können leichter Beziehungen zu verschiedenen Völkern knüpfen. Musiker zu werden war daher die beste Entscheidung, die ich treffen konnte.
Ist die Mafia nach wie vor ein Thema in Ihrer Musik und wie gefährlich ist es, darüber zu singen?
Früher war ich tatsächlich in der Anti-Mafia-Bewegung aktiv. Im Laufe der Zeit begann ich aber auch andere Themen musikalisch aufzugreifen. Nach wie vor handeln meine Songs von der Sehnsucht nach Freiheit. Über die sizilianische Cosa Nostra zu schreiben war damals gefährlicher als heute. Im Moment ist die Mafia eher mit ihrem eigenen Kampf gegen Justiz und Behörden beschäftigt.
Für tausende Flüchtlinge ist Sizilien der letzte freie Zugang zur Festung Europa. Was sagen Sie als gebürtiger Sizilianer zur Migrationskrise?
Ich bin stolz darauf, wie meine sizilianischen Landsleute auf zwei Millionen Menschen in den letzten sieben Jahren reagiert haben. Die 20 km² kleine Insel Lampedusa hat zehntausenden Bootsflüchtlingen das Leben gerettet. Wenn ich beobachte, wie sich Österreich im Vergleich dazu politisch verhält, finde ich das bedauerlich.
In Ihrem Buch beschreiben Sie, wie sich die Welt im Laufe der Zeit verändert. Wie sehr haben Sie sich selbst als Künstler verändert? Dank meiner rauen Stimme war ich anfangs im Rockgenre aktiv und habe mich beim Schreiben meiner Songs von den 70er-Jahren inspirieren lassen. Heute finde ich Begegnungen spannend: Weltmusik, aber auch elektroakustische Musik. Ich versuche unterschiedliche Klänge zu einer Synthese zu führen.
Wovon handelt Ihr neues Album, das den Namen „Il sole che verrà“ trägt, was so viel bedeutet wie „Die Sonne, die scheinen wird“?
Ich habe die gegenwärtigen Krisen zum Anlass genommen, Songs zu schreiben, die den Menschen Hoffnung geben. Wobei Zuversicht aber nicht mit Optimismus gleichzusetzen ist: Hoffnung bedingt Handlung. Von alleine wird die Welt nicht besser, es liegt an uns, etwas zu verändern. Das bedeutet Hoffnung für mich.
Wie zuversichtlich blicken Sie in Ihre Zukunft?
Ich lebe jeden Tag sehr bewusst und schätze mich glücklich, solange ich einigermaßen gesund bin. Es existieren leider zu viele Krankheiten, was mit unserer Ernährung zu tun hat, aber auch mit der Umweltverschmutzung. Ich bin mir dessen bewusst, dass auch mich jeden Tag das Schicksal treffen und aus der Bahn werfen kann. Daher macht es keinen Sinn, allzu viel über die Zukunft zu grübeln.
Gibt es einen bestimmten Anlass für diese Lebenseinstellung?
Ich habe immer schon sehr intensiv in der Gegenwart gelebt. Ich versuche einfach, das Jetzt zu genießen, denn das ist es, was am Ende zählt. Letztendlich kann immer alles anders kommen. Und das Leben kommt oft anders, als man denkt.
Pippo Pollina: Donnerstag, 22. Februar 2018 im voestalpine wing am Red Bull Ring, Red Bull Ring Straße 1, 8724 Spielberg. Beginn des Konzerts: 19.30 Uhr (Einlass ab 18.30 Uhr), Preis pro Ticket: 26,– Euro
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