Start Kunst & Kultur „Ugly“: Kino, das unter die Haut geht

„Ugly“: Kino, das unter die Haut geht

Angela Gregovic Foto: Thimfilm / Novotny Film

Ein Boot am Neusiedlersee. Ein Krankenhaus in der Ukraine. Ein brennendes Feld. Eine Krankheit und das große Vergessen. Irgendwo wartet der Tod. Und das Leben. All das zusammen ergibt einen der einprägsamsten Filme des Jahres.

Text: Wolfgang Pauker

„Ugly“, ein Film des in Wien lebenden ukrainischen Regisseurs Juri Rechinsky, feiert am Mittwoch, den 7. März (18.30 Uhr) im KIZ Royal seine Grazer Kinopremiere und fühlt sich in etwa so an, wie das präpubertäre „Brennessel-Spiel“, als ein Peiniger die Haut am Unterarm umschloss und mit beiden Händen in entgegengesetzte Richtungen drehte. Die Stiche spürt man noch nach dem Übergriff, und ebenso verhält es sich mit „Ugly“, einem Film, der mit Bildern besticht, die sich statt in den Arm tief in die Magengrube bohren. Und dort bleibt „Ugly“ auch nach dem Abspann wie ein Stein liegen. Schwere Kost für Cineasten, die hungrig sind nach dem Besonderen und von leichter Unterhaltung nicht satt werden.

Raimund Wallisch
Foto: Thimfilm / Novotny Film

The only way is down

Der Film entführt in den Alltag zweier Paare, wobei „entführen“ hier nicht romantisch konnotiert ist. Eher kidnappt der Movie seine Zuseher auf brutalste Weise. Und auch das Wort „Alltag“ ist gar keine Kategorie für die Abwärtsspirale, in der die Protagonisten sich befinden und die mit jeder Minute Fahrt aufnimmt. Und den Zuseher unweigerlich mitreißt. So sehr, dass man nicht einmal mehr in die Tüte Popcorn greifen möchte, um die Stille, die phasenweise schwer wie Blei über dem Geschehen liegt, nicht zu stören. Und weil man irgendwann auch schon so tief drinnen steckt in den Leben der anderen, dass es pietätlos wäre, sich an so profanem Kinoklamauk wie Popcorn zu erfreuen. Lieber den Atem anhalten und auf den Moment warten, an dem alles wieder besser wird. An dem das Dunkel sich verzieht, das Leid ein Ende nimmt und die Liebesgeschichte, die sich irgendwo in diesem Plot versteckt, endlich aus dem feuchten Keller findet, in dem sie sich verirrt hat. Doch dieser Moment kommt nicht. Und irgendwann findet man Gefallen an dem schaurig-schönen Wahnsinn, den Rechinsky auf die Leinwand bringt, und der – wie der Titel des Films schon erahnen lässt – alles andere als schön ist. Nein, dieser Film ist ugly. Hässlich. Widerspenstig. Und genau deshalb so fantastisch. Denn er bleibt im Gedächtnis. Wie eine Narbe auf der Haut. Hässlich oder schön liegt eben im Auge des Betrachters.

Dmitriy Bogdan
Foto: Thimfilm / Novotny Film

Ein Film wie eine Naturgewalt

In knapp 90 Minuten erzählt Rechinsky von den Mühen des Daseins und erspart seinem Publikum nichts. Ebensowenig wohl seinen Schauspielern (ein grandioser Cast, angeführt von der fantastischen Maria Hofstätter), denn nach einem Spaziergang am Set sieht das Ergebnis keineswegs aus. Und auch seinen Produzenten (Maxim Asadchiy, Alexander Glehr, Franz Novotny und Ulrich Seidl) dürfte so pechschwarzes Kino vor so manche Aufgabe gestellt haben. „It’s actually a very funny story“ sagt Rechinsky. Der Film hatte ein perfektes Drehbuch, poliert, bis es glänzte. Er war ausfinanziert. Der Dreh in Österreich und der Ukraine gesichert. Die fantastischen Schauspieler an Bord. Wolfgang Thaler, Haus- und Hoffilmer von Rechinskys Helden Ulrich Seidl und Michael Glawogger, und sein Sohn Sebastian Thaler waren gestellt. Und dann kam alles anders. Nichts funktionierte. Die Geschichte wurde zum räudigen Straßenköter und suchte sich ihre ganz eigenen Wege. Und erst, als kein Stein mehr auf dem anderen war, konnte sie ihren richtigen Anfang nehmen. Aber davon erzählt der Regisseur besser selbst …

Maria Hofstätter
Foto: Thimfilm / Novotny Film

Was war die erste Idee für diesen Film?

Alles begann mit Flashbacks und Träumen. Ich habe vor zehn Jahren eine ähnliche Krankenhaus-Geschichte erlebt. Das war eine ziemlich schmerzhafte Angelegenheit. Eigentlich habe ich SICKFUCKPEOPLE (eine Doku über obdachlose Teenager mit diversen Drogenabhängigkeiten) gedreht, um davor davonzulaufen.

Eine seltsame Art der Flucht…

Naja, es hat immerhin geholfen (lacht)! Und dann war SICKFUCKPEOPLE fertig und wir warteten auf ein Festival, das ihn zeigen wollte und ich hatte nichts zu tun. Nach einer Weile begannen diese Flashbacks, Szenen aus dem Krankenhaus. Ich war damals ungefähr 21 Jahre alt. Das war damals eine ziemlich weltbewegende Erfahrung für mich. In dem Alter sollte man ja schon sowas wie ein echter Mensch sein, aber man ist es natürlich noch nicht. Das war schon ein heftiger Winter. Und dann kam dieser Winter plötzlich wieder zu mir zurück in diesen Flashbacks, die mich sehr verstörten. Ich hatte immerhin drei Jahre lang mit Junkies im Untergrund verbracht, um das zu vergessen, aber es hat nichts genutzt. Also habe ich begonnen, die Geschichte aufzuschreiben und hatte dann eine Reihe von Szenen, die langsam wie eine Story aussahen. Franz Novotny hat mich gefragt, was ich als nächstes tun will und ich hatte diese Story und hab sie einfach gepitched, und die sagten: Passt, machen wir das! Dann ist SICKFUCKPEOPLE angelaufen und all die Festivals, auf denen der Film lief, waren perfekt getimed. Jedes Mal, wenn ich bei einer Forderungsentscheidung auftauchte, konnte ich sagen, gestern haben wir mit dem Film einen Preis in Sarajevo gewonnen, und oh, gestern haben wir zwei Preise auf der Viennale erhalten. Also war es plötzlich soweit, dass ich den Film tatsachlich machen musste. Und das war ziemlich beängstigend: Ich kannte ja keine Ahnung, wie man einen Spielfilm mit Schauspielern dreht (lacht).

Regisseur Juri Rechinsky und Hauptdarstellerin Angela Gregovic
Foto: Roland Ferrigato / Thimfilm

Wie lief das dann tatsächlich?

Die Probleme haben schon beim Casting-Prozess begonnen (lacht). Die Hauptdarstellerin war keine Österreicherin, sondern Serbin. Sie hatte einen Akzent. Sie war zehn Jahre älter, als sie sein hätte sollen. Und ich war schon mittendrin, mich in sie zu verlieben. Ich habe keine Ahnung, warum sie mich geheiratet hat und mit mir zusammenlebt. Ich kann es mir nur so erklären: Sie ist der Typ Frau, deren Rache einfach Zeit braucht.

Zusammenarbeiten, während man sich verliebt: macht das die Sache leichter oder viel komplizierter?

Es macht alles völlig paranoid. Ich habe sie in ein echtes Spital in der Ukraine gesteckt, sie musste dort eineinhalb Monate als Patientin leben. Sie war völlig abgeschnitten von der Außenwelt, hatte kein Internet und ich habe ihr eineinhalb Monate verboten, sich zu waschen. Ich habe sie echt gequält. Und es war ein echt unheimlicher Ort. Und ich wusste gleich von Beginn an, dass ich „method acting“ will. Das hat bedeutet, dass eine Schauspielerin eine Weile im Krankenhaus verbringen musste, sich eine andere in das Thema Alzheimer einarbeiten musste und ein dritter zwei, drei Wochen lang durchgesoffen hat. Aber ich ticke so: Wenn man einen Film macht und es ist ein Dokumentarfilm, dann muss man wohin gehen, wo die Lage kritisch ist. Und wenn es sich um einen Spielfilm handelt, dann muss man für Umstände sorgen, die eine kritische Situation erschaffen, nur dann bringt der Mensch schöpferisch etwas Relevantes hervor.

Der Soundtrack ist etwas ganz Besonderes. Hatten Sie da vorab schon eine konkrete Vorstellung?

Ich arbeite mit dem Komponisten schon seit vielen Jahren zusammen. Das schwierigste bei so einer langfristigen künstlerischen Zusammenarbeit ist, eine gemeinsame Sprache zu finden. Wir haben das Glück, dass wir inzwischen völliges Vertrauen ineinander und sehr viel Verständnis füreinander haben. Ich habe den Film ursprünglich völlig ohne Musik gemacht. Ich wollte ihn so perfekt polieren, bis er das Stadium erreicht hatte, wo er keine Musik mehr brauchte. Die Grundidee war, ihn dann einem Komponisten zu übergeben, der dann damit machen sollte, was er für richtig hielt. Er hätte sagen können, das braucht keine Musik und das wäre für mich auch völlig in Ordnung gewesen. Was tatsachlich passiert ist, nach einer Schnittphase von zweieinhalb Jahren und einer depressiven Phase: Mein Komponist hat mich wortwörtlich aus dem Bett geschmissen. Wir haben ein paar Drinks gekippt und dann beschlossen, einfach wieder ganz von vorne zu beginnen. Das war schon eine ziemlich abwegige Erfahrung, als wir begonnen haben, den Film zu schneiden, und das waren eben nicht nur ich und der Cutter, sondern auch der Komponist. Es ist jetzt ein völlig anderer Film. Viele Szenen funktionieren wegen seinem Sinn für Tempo und Rhythmus und seinen Ideen von Musik. Ich denke, ich habe da ein ziemliches Glück, was die Leute um mich herum betrifft. Ich habe eigentlich keine Ahnung, wie ich das verdiene.

Maria Hofstätter
Foto: Thimfilm / Novotny Film

Haben Sie mit zwei Geschichten begonnen, die irgendwie einen Weg zueinander fanden oder war es genau andersherum?

Ich habe mit einem perfekt ausgefeilten Drehbuch für einen völlig anderen Film begonnen. Aber wenn ich es geschafft hatte, diesen Film wie geplant zu drehen, wäre ich kein glücklicher Mensch mehr.

Wie ist Maria Hofstätter an Bord gekommen?

Ich bin ein Riesenfan von ihr. Sie ist wie ich, sie hat eine extreme Angst am Set. Das macht ihre Arbeit so außergewöhnlich. Sie ist eine völlige Spinnerin von der Art her, wie sie arbeitet. Sie verbringt unfassbar viel Zeit mit der Vorbereitung auf ihre Rolle. Sie hat jedes Wochenende eine Einrichtung für Alzheimerpatienten besucht. Wäre sie eine Dokumentarfilmerin, hätten wir jetzt einen fantastischen Film. Sie hatte alles: Sie hat Zugang zu dem Heim bekommen, zu den Leuten, ihren Verwandten, sie hat Interviews bekommen, es war völlig verrückt, was sie alles gemacht hat.

Wie lief das bei Raimund Wallisch?

Wir haben uns tatsachlich zufällig in einem Cafe getroffen. Ursprünglich gab es nur diese Idee von Marias Gefährten. Und dann haben wir Raimund Wallisch gefunden und dann ist da diese Idee aufgepoppt und er wurde nicht nur eine volle Figur, sondern auch gleich eine fantastische. Ich liebe diesen Typen. Die Art, wie er improvisieren kann, ist der völlige Wahnsinn.

Der erste Satz im Dialog fällt im Film nach circa 15 Minuten und wird beinah geflüstert. Absicht?

Nein. Als ich begonnen habe, den Film zu drehen, den, den keiner jemals sehen wird, diesen perfekten Film, wurde mir sofort klar, dass ich ein echtes Problem habe. Ich habe weder gemocht noch geglaubt, was ich im Frame gesehen habe. Ich musste eine andere Lösung finden. Wir haben verschiedene Herangehensweisen ausprobiert. Am siebten Tag gingen mir die Ideen aus, wie das klappen konnte. Dann haben wir den Schmerzanfall mit einer möglichst kleinen Crew gefilmt, alle mussten sich verstecken, und die Schauspieler durften einfach nicht aufhören. Nach beinahe acht Stunden durchgehendem Dreh, nachdem wir fast aus dem Krankenhaus geschmissen wurden, wussten wir, wir hatten gefunden, wie wir diesen Film machen werden. Klarerweise ist das Drehbuch sofort im Mistkübel gelandet. Weil diese Art zu drehen eine andere Story und andere Szenen brauchte. Ich hatte keine Zeit, das Drehbuch umzuschreiben. Wenn man zu drehen begonnen hat, steckt man mitten in einer Maschinerie. Was einem am meisten fehlt während dieser Zeit, sind ein paar Minuten, wo man allein ist und nachdenken kann, was man als nächstes macht. Den Rest der Zeit verbringt man damit, Leuten den Eindruck zu vermitteln, man wüsste, was man tut. Wir haben komplett bei null angefangen.

Was ist Ihr Lieblingsfilm? Oder der, der Ihnen die Liebe zum Filmemachen beibrachte?

Es gab bei mir tatsachlich den richtigen Film zum exakt richtigen Zeitpunkt. Ich war noch in der Schule und hatte dort ziemlich viel Gewalt erlebt. Nach dem ersten Ausbruch war ich im Krankenhaus und dann zwei Monate zuhause, um wieder gesund zu werden. Ich habe darüber nachgedacht, was ich tun sollte. Zurück an diese Schule gehen? Diesen Kreislauf der Gewalt weiterfuhren, selbst jemanden schwer verletzen? Es fühlt sich alles ziemlich ernst an, wenn man 14 Jahre alt ist. Einfach auch, weil es eine ziemlich ernste Angelegenheit war. Auch für meine Eltern. Sie hatten keine Ahnung, was sie tun sollten. Ich weiß noch genau, wie ich eines Abends mit meinem Vater dasaß. Wir haben den Fernseher aufgedreht, weil er nicht wusste, was er zu mir sagen sollte. Und ich war dieser völlig unkommunikative, in sich eingeschlossene Teenager. Und da lief plötzlich „American History X“ über diesen Kreislauf der Gewalt und was passiert, wenn man Gewalt mit Gewalt beantwortet. Das war das erste Mal, dass ich nach einem Film geweint habe. Seither ist mir das oft passiert. Wenn’s ums Filmemachen geht, hatten die Filme von Michael Glawogger einen riesigen Einfluss auf mich. Ich habe einen Film von ihm gesehen, als ich im Zug von Kiew nach Odessa saß, auf dem Weg zu meinem ersten Filmdreh. Ich war völlig hin und weg. Ich wusste nicht, dass man so Filme machen kann. Er ist ein wichtiger Mensch in meinem Leben. Noch immer. Und dann gab es noch Victor Kossakovsky. Ich liebe ihn und seine Filme. In der ganzen Kunstgeschichte stehen wir auf den Schultern von Riesen. Und es ist sehr wichtig, seinen eigenen Riesen zu finden. Für mich waren solche Riesen Glawogger, Kossakovsky, Ulrich Seidl, Lars von Trier.

UGLY-CAST:

Hanna – Angela Gregovic / Jura – Dmitriy Bogdan / Martha – Maria Hofstatter / Joseph – Raimund Wallisch / Mother – Larisa Rusnak / Father – Vlad Troitskiy /  Grandfather – Valeriy Bassel / Katya – Vika Filyuk

Trailer: