Start Kunst & Kultur Ausstellung „Last & Inspiration“: Flügel der Vergangenheit

Ausstellung „Last & Inspiration“: Flügel der Vergangenheit

Josephinischer Klappsarg, Sparsarg 1784, Leoben-Göß.

Hinter den Mauern des Priesterseminars, ­unter dem Titel „Last & Inspiration“, blickt die ­Diözese Graz-Seckau auf ein Jahrtausend sakraler Kunst zurück.

Text: Julia Braunecker

Wer feiert, soll auch feiern: „Natürlich kann man auf sehr vieles stolz sein, was die Kirche diesem Land gegeben hat. Man denke sich nur all das einmal weg, die Schönheit der Kirchen mit ihrer Kunst, die gelebten Werte von Solidarität, unbedingter Nächstenliebe oder Würdigung der Schwachen. Die Kirche hat nicht nur dunkle, sondern auch sehr helle Seiten“, sagt „Jubiläumskurator“ Johannes Rauchenberger. Dennoch sind beide Seiten in der kulturgeschichtlichen Schau verankert. „Gerade aus den Schnittschnellen könnte man lernen“, sagt Rauchenberger. Strukturiert ist die imposante Schau anhand von Fragen: Wie viel Macht hat eine schwache Kirche? Muss ich heute Angst haben? Wollen wir noch selbst denken? Wer hat die richtige Religion? Rettet Schönheit die Welt? Was würdest du morgen zurücklassen?

Zeugen der Vergangenheit

Zentrales Ausstellungsstück ist das Priesterseminar selbst. Es wurde inmitten des Religionskonflikts am Ende des 16. Jahrhunderts als Jesuitenkollegium gebaut. Einmalige Ausstellungsobjekte aus der Vergangenheit machen die religiöse Geschichte des Landes nachvollziehbar, da­runter ein Fragment des Gesichtes der ­Mariensäule am Eisernen Tor in Graz, die 1664 anlässlich des Sieges gegen die Türken errichtet und beim Einmarsch der ­Nazis 1938 als rote Pyramide verkleidet wurde. Oder ein „Sparsarg“, den Kaiser Joseph II. im 18. Jahrhundert eingeführt hat. Er stellte die Kirche damals unter den Optimierungszwang der Nützlichkeit und der Sparsamkeit. Um 1.000 Jahre Sakralkunst in einer Ausstellung zu bündeln, ging ­Johannes Rauchenberger neue Wege: Mit Kamera und Drohne ausgestattet ließ er sich die Schätze von den Experten vor Ort erzählen: „So bekommt Geschichte eine Färbung, ein Fleisch. Sie werden nun in Form kleiner Miniaturen zum Ausstellungsstück.“ Am Ende findet sich ein Kreuzraum mit einem romanischen Kruzifix und zahlreichen Kreuzannäherungen aus der Gegenwartskunst.

Die Ausstellung „Last & Inspiration“ findet im Diözesanmuseum, dem Priesterseminar und im Grazer Mausoleum statt.

Die Macht der Gottesmutter

Durchaus ungewöhnlich ist auch der Blick auf die Gottesmutter Maria: „Sie ist in der Steiermark viel stärker als anderswo verbreitet. Maria wurde hier politisch geschickt vereinnahmt – vor allem im Schnittfeld von Türkenbedrohung und Konfessionsstreitigkeiten.“ Zahlreiche Gnadenbilder in der Ausstellung geben Aufschluss über diese turbulente Zeit. In der umfangreichen Schau findet sich damit auch Platz für Kritik. Denn wenn auch kaum ein zweites Land mehr Ortsnamen hat, die mit „Sankt“ beginnen, so zeigen acht Jahrhunderte der Diözese Graz-Seckau auch die Schattenseiten der Religionsgeschichte: Hexenverbrennungen, Türkenkriege, (Gegen-)Reformation, mehrfache Judenvertreibung, staatlich verordnete Toleranz von religiösen Minderheiten, Judenvernichtung im Nationalsozialismus. Neben den historischen Objekten finden sich aber auch zeitgenössische Kunstwerke. So schaufelt sich etwa der kroatische Künstler Zlatko Kopljar im Video K16 ein Loch in die Erde, bis er für immer darin verschwindet. Die Orgelmusik gibt dem Werk am Ende eine sakrale Note.

 

Last & Inspiration

kuratiert von Heimo Kaindl, Alois Kölbl, Johannes Rauchenberger

Diözesanmuseum Graz, Bürgergasse 2

13. April – 14. Oktober 2018 (Di–Fr, 10–17 Uhr / Sa, So und Feiertag: 11–17 Uhr)

 

Eröffnung: 12. April 2018, 20 Uhr Priesterseminar

Öffentliche Führungen: samstags um 15 Uhr

Kontakt für Führungsanmeldung (für Gruppen): Diözesanmuseum Graz, 0316 804 18 90

Führung in der Ausstellung: frei

 


Ein Gespräch mit Kurator Johannes Rauchenberger

„Alles beginnt mit einer starken Idee“

Die Diözese Graz-Seckau feiert ihr 800-jähriges Jubiläum. Kunst und Kultur spielen dabei eine zentrale Rolle. „Achtzig“ sprach mit dem ­Kurator des Jubiläumjahres Johannes Rauchenberger.

Text: Stefan Zavernik

Es sind zahlreiche Ausstellungen geworden, mit denen das Jubiläum thematisch aufgearbeitet wird. Gibt es trotz der unterschiedlichen Themen so etwas wie einen roten Faden durch das Ausstellungsprogramm?

Dass die Geschichte einer 800 Jahre alten „Organisation“ ins Heute und in die Zukunft leuchten muss, sonst ist alles verstaubt und vertrocknet. Begeht die Kirche ein derartiges Jahr, ohne kritisch die Geschichte zu befragen, ist sie eine Flachwurzlerin. Agiert sie aber mit Leichen im Keller, hat sie irgendwann ein Problem. Und die Kirche hat bekanntlich einige Probleme … (schmunzelt). Seckau, Schloss Seggau, Stift Admont, das Priesterseminar und frühere Jesuitenkollegium, die Minoriten, ja selbst das Kunsthaus: Vor fast 1.000 oder erst vor 15 Jahren begann etwas mit einer starken Idee. Diese ist aber öde, wenn nicht irgendetwas davon unser gegenwärtiges Leben, unsere Gesellschaft inspiriert. Und in der Tat habe ich an jedem dieser Orte manchmal nur eine Nische, dann wieder einen ganzen Kosmos gefunden. Aber das Grundkonzept ist, historisch starke Orte (neu) zu befragen oder auch zu verändern – mit alter und mit neuer Kunst.

Jubiläumskurator Johannes Rauchenberger.

Die Ausstellung „Glaube Liebe Hoffnung“ findet in zwei Locations statt: im Kunsthaus und im KULTUM. Worin unterscheiden sich die beiden Teile der Ausstellung?

Gar nicht. Es ist eine gemeinsame Ausstellung auf drei Flächen – zwei Ebenen im Kunsthaus und die Ausstellungsfläche des Kulturzentrums. Die Ausstellung selbst strukturiert sich in Form von Leitbegriffen: Abstraktion und Körperlichkeit, Liebe und Schutz, Wunder und Übertragung, Schuld und Macht, Opfer und Ritual, Zugehörigkeit und Ausschluss oder Schmerz und Identifikation. Die besonderen Highlights bei den Minoriten sind eine ganz neue Arbeit von Berlinde de ­Bruyckere, ein sehr, sehr wertvoller Gesichtszyklus von ­Marlene Dumas oder eine berührende Videoarbeit von ­Adrian Paci, wo Kinder in Albanien kollektiv alte Gräber waschen. Das geht durch Mark und Bein, ähnlich wie Artur Zmijewskis Film Singing Lesson, wo Gehörlose Bachkantaten singen. Dieses Werk hat Barbara Steiner vor 15 Jahren als junge Kuratorin in Leipzig ermöglicht. Die Zusammenarbeit mit dem Kunsthaus gehört für mich übrigens wirklich zu den schönsten Erfahrungen dieses Mammutprojektes. Wir als Kuratorinnen und Kuratoren haben wirklich oft am Ende um jede Formulierung gerungen, als wir über unsere eigene Ausstellung nachgedacht haben. Das war und ist ganz fantastisch. Eine tolle Erfahrung.

Neben „Glaube Liebe Hoffnung“ läuft auch noch eine zweite Ausstellung im Zuge des Jubiläumsjahres in Graz. Im Priesterseminar, im Diözesanmuseum. Was gibt es dort zu sehen?

Das jetzige Priesterseminar wurde vor 450 Jahren als Jesuitenkollegium gebaut, mit dem Zweck, dieses Land wieder katholisch zu machen. Damit sind wir eigentlich mitten im Religionskonflikt, den dieses Land am Ende des 16. und am Beginn des 17. Jahrhunderts sehr intensiv geführt hat. Die erste Universität wurde dafür gestiftet. Sie ist unmittelbar angrenzend. Ganz in der Nähe das erste Gymnasium. Insofern ist das Objekt selbst schon das zentrale Ausstellungsstück. 150 Jahre vorher wiederum wurde der spätere Dom und gleichzeitig die Grazer Burg (aus-)gebaut, da war Graz Residenz seines einzigen Kaisers Friedrichs III. Je mehr man sich darin verliert, desto interessanter wird eigentlich der Blick auf Kirche und Politik. Und dann dieser ganze Konflikt mit den Osmanen: das Mausoleum Kaiser Ferdinands II. – eine einzige Manifestation des Triumphes der Katholiken sowohl den Protestanten wie den Türken gegenüber. Die Mariensäule am Eisernen Tor wurde auch Türkensäule genannt! Und überhaupt: Wie ausgerechnet die Gottesmutter ­Maria in dieser Zeit in der Steiermark wie die Schwammerln aus dem Boden wächst … Schließlich: Wie der Aufklärungskaiser ­Joseph II. im Handumdrehen fast alles, was kirchliches Leben bislang ausgemacht hat, vernichtet … Sein „Sparsarg“, den er in seinem Reich einführen wollte, hielt nur für fünf Jahre: Der einzige davon, der noch erhalten ist, ist im 2. Ausstellungsraum zu sehen.

Das war jetzt ein ziemlich rascher Geschichtsrap … all das ist zu sehen?

Ja, mit ziemlich tollen Leihgaben!

Die Ausstellung im Priesterseminar trägt den Titel „Last&Inspiration“. Wie kam es dazu?

Das ist doch alles ziemlich schwer, wenn man das ernst nimmt, oder? Und es formt unseren Begriff von Religion im Grunde mit. Noch etwas: Oft begegne ich Menschen, die die herrlichste Sakralkunst – vor allem den Barock, der bei uns doch allgegenwärtig ist – als Last empfinden. Ich kann das ja gut verstehen. Aber in meiner jahrelangen Beschäftigung mit Bildtheologie habe ich bei meinem hochverehrten Lehrer Alex Stock einmal einen Satz des Dichterphilosophen Philippe ­Jaccottet gefunden, der mein Denken diesbezüglich radikal verändert hat. Er lautet: „In Wirklichkeit, und dem entgegen, was viele heutigen Tages verkündigen, sind die Werke der Vergangenheit, die unsere Kultur ausmachen, nur in dem Maße vorhanden und mächtig, als dass sie uns überschatten, uns erleuchten und, statt eine Last zu sein, uns beflügeln.“ Daher kommt der Titel!

Der Maler Luc Tuymans wählte die Gruftkammer des Grazer Mausoleums für sein Fresko: eine genmutierte Blume.

Wo also sind die Flügel, wenn man so fragen darf?

Beginnen wir dabei vielleicht doch beim Dunklen. Einer der gefragtesten (und damit teuersten) Künstler der Gegenwart ist der belgische Maler Luc Tuymans. Er war vor einigen Monaten in Graz, sah sich mögliche Orte an, wo er gerne ausstellen würde und gab am Ende seinen Lieblingsort bekannt: ein derzeit leerer Raum in der Gruftkammer des Grazer Mausoleums. Dort, wo es niemand beachtet und wo keiner jemals war, würde er gern ein Fresko malen … Das war ein Spießrutenlauf, wie Sie sich vorstellen können. Dort malt er eine vielsagende, irgendwie genmutiert veränderte Blume, die sich diesem Raum, diesem Ort, jener Zeit, merkwürdig widersetzt … Aber um bei Ihrer Frage zu bleiben: Besonders beflügelnd fand ich die Beschäftigung mit der Sakralkunst dieses Landes. Ich bin anfangs als ein ziemlicher ­Analphabet durch das Land gefahren und habe mir all die Schätze erklären lassen, die im 1. Stock in Form von Video-Miniaturen zu sehen sind. All das ist in unserem kollektiven Wissen leider nicht so präsent.

Ein Beispiel?

Einer der schönsten Momente, die ich dabei erlebt habe, war die zweistündige Führung durch die Johanneskapelle in Pürgg durch Pfarrer Peter Schleicher vor diesen unvergleichlichen romanischen Fresken. Völlig unaufgeregt sprach er im Nachmittagslicht vor diesen Bildern von einem „Gott, der ist, der war und der kommen wird“. Ich habe es ihm wirklich geglaubt. Da ist mir eine Bezeichnung eines anderen von mir sehr geschätzten Lehrers, Karl Matthäus Woschitz, eingefallen, den dieser – völlig aus der Zeit gefallen – anlässlich seines 80. Geburtstages fallen gelassen hat: Er nannte das wichtigste Wissen das „Heiligkeitswissen“. Wenn die Kirche dieses (wieder) lernen würde, glaube ich übrigens auch an ihre Zukunft.