Das Gedenkjahr 2018 birgt zahlreiche „runde“ Jahrestage, die für Österreich von hoher Relevanz sind. Ein Gespräch über Erinnerungskultur.
Text: Wolfgang Pauker
Ingeborg Bachmann meinte: „Die Geschichte lehrt dauernd, aber sie findet keine Schüler.“ Braucht es Initiativen wie das Erinnerungsjahr?
Ja, die braucht es. Ich halte Initiativen wie das Gedenkjahr für sehr wichtig. Gerade in unserer schnelllebigen Zeit bieten sie einen wohltuenden Ausgleich, denn sie lenken den Fokus auf bedeutende Aspekte unserer Vergangenheit, bieten die Möglichkeit, aus Fehlern zu lernen, und schärfen damit den Blick für die Zukunft. Das heurige Gedenkjahr ist ja durch die Vielfalt der Anlässe, von der Republiksausrufung über den Anschluss an Hitler-Deutschland bis zum 100. Todestag von Peter Rosegger, besonders umfangreich.
Sie haben es angesprochen, 1918 wurde die Republik Österreich ausgerufen. Welche Lehren müssen wir aus den letzten 100 Jahren ziehen?
Eine der Lehren, die wir daraus ziehen können, ist sicher jene, dass Österreich immer dann stark ist, wenn das Miteinander und der Zusammenhalt in der Gesellschaft im Mittelpunkt stehen. Das ist mir auch persönlich ein großes Anliegen. Als Österreich nach dem Krieg in Trümmern lag, haben die Leute gemeinsam dieses Land wiederaufgebaut. Den Wohlstand, in dem wir heute leben, verdanken wir der Zusammenarbeit. Da hat sich auch die Sozialpartnerschaft Verdienste erworben.
Neben der Ausrufung der Republik wurde 1918 auch das Frauenwahlrecht eingeführt. Von Gleichbehandlung sind wir aber auch heute noch weit entfernt …
… leider. Diese Ungleichbehandlung ist aus der Zeit gefallen. In meinem direkten Einflussbereich im Landesdienst gibt es auch keine Unterschiede mehr, etwa beim Gehalt. Als Industrie- und Forschungsland geht es aber auch darum, Frauen für technische Berufe und für die Wissenschaft zu begeistern. Und auch die Vereinbarkeit von Familie und Karriere ist da ein großes Thema, dessen wir uns als Landesregierung annehmen. Auf Bundesebene ist jetzt mit Juliane Bogner-Strauß eine engagierte Mutter und Wissenschaftlerin Frauen- und Familienministerin. Ich bin überzeugt, dass sie in diesem Bereich viel weiterbringen wird.
1938 folgte die wohl dunkelste Stunde unserer Geschichte: der Anschluss an Hitler-Deutschland. Es scheint, man müsste sich gerade mehr denn je der Verantwortung stellen.
Wir merken ja in der tagespolitischen Diskussion, dass manche dunklen Stunden der österreichischen Vergangenheit nicht gründlich aufgearbeitet wurden und dass ein bestimmtes Gedankengut immer noch da ist. Das betrifft nicht nur die FPÖ, sondern auch SPÖ und ÖVP. Ich habe daher vorgeschlagen, eine überparteiliche Kommission einzusetzen, um dieses dunkle Kapitel aufzuarbeiten. Wir müssen als Republik mit unserer Vergangenheit im Reinen sein, um uns mit aller Kraft der Zukunft zuwenden zu können.
Auch heute werden weltweit wieder zahlreiche Demokratien ausgehöhlt. Wie sicher ist Österreichs Demokratie?
Unsere Demokratie ist sicher nicht in Gefahr. Was ich aber spüre, ist, dass scheinbar die Fähigkeit zum Diskurs, zum Austausch von Positionen und die Fähigkeit zur Reflexion abhandenkommt. Es bräuchte mehr Adenauer, von dem überliefert ist, dass ihn nichts daran hindern könne, über Nacht klüger zu werden. Viel zu oft scheint heute aber der Spruch „Ich habe meine Meinung, bitte verwirren Sie mich nicht mit Fakten“ zu gelten.
Heuer feiern wir auch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (1948). Sollte man sich angesichts der Flüchtlingsbewegungen und auch des von Ihnen beobachteten Verlusts der Diskursfähigkeit nicht wieder mehr auf den Geist der Brüderlichkeit besinnen?
Die Deklaration der Menschenrechte ist die Grundlage des Zusammenlebens und Basis für das Miteinander in der Gesellschaft. Das sollte nicht nur anlässlich des Jubiläums außer Streit stehen. Gerade die Steiermark – als Land im Herzen Europas – hat da eine besondere Verantwortung als Brücke zwischen Ost und West, Nord und Süd. Im Hinblick auf die Flüchtlingsbewegungen ist aber auch klar, dass wir nicht alles Leid dieser Welt alleine schultern können. Dafür braucht es internationale Zusammenarbeit. Es muss uns gelingen, den Menschen vor Ort zu helfen und ihnen in ihrer Heimat Perspektiven für ein erfülltes Leben zu bieten.
Ebenfalls in der Entwicklungszusammenarbeit engagiert ist die Diözese Graz-Seckau, die heuer auch ein Jubiläum feiert. Gibt es da Berührungspunkte?
Das 800-Jahr-Jubiläum der Diözese Graz-Seckau wie auch jenes der evangelischen Kirche anlässlich 500 Jahre Reformation im vergangenen Jahr machen die Verdienste der Glaubensgemeinschaften sichtbar. Die Kirche ist ja auch eine Bewahrerin vieler kultureller Schätze unserer Steiermark. Persönlich freut mich aber, dass in der Steiermark aus dem Gegeneinander der Glaubensgemeinschaften ein Miteinander geworden ist. Ein Miteinander, das unser Land bereichert und zum sozialen Frieden, in dem wir leben, beiträgt.
2018 ist weiters das Gedenkjahr für Peter Rosegger, einen steirischen Visionär. Wie wird man das literarische Universalgenie heuer würdigen? Viele seiner Thesen, etwa zu Umwelt und Ressourcen, sind auch 100 Jahre nach seinem Tod brandaktuell.
Peter Rosegger war ein Vor- und Querdenker, der für viele zu den bedeutendsten und verdienstvollsten steirischen Persönlichkeiten zählt. Insbesondere seine Beschäftigung mit gesellschaftspolitischen Themen wie beispielsweise dem Umweltschutz macht seine Arbeit auch heute noch aktuell. Wir gedenken ihm nun mit einer Vielzahl an Ausstellungen, Veranstaltungen und Projekten aus den unterschiedlichsten Bereichen. Wir haben es uns zum Ziel gesetzt, sein Wirken ins Heute zu transferieren. Das Rosegger-Jahr soll damit einen neuen und ganzheitlichen Blick auf sein Leben eröffnen. Mit der Homepage peter-rosegger.at haben wir auch eine Plattform eingerichtet, die über alle Aktivitäten rund um dieses Jubiläum informiert.