Seit 2013 ist Josef Pesserl Präsident der AK Steiermark. „Achtzig“ sprach mit ihm anlässlich der aktuellen Kampagne „Wie soll Arbeit?“ über die Arbeitswelt der Zukunft und darüber, welche Herausforderungen und Einflussfaktoren es dabei gibt.
Text: Vanessa Roi / Stefan Zavernik
Die Kampagne „Wie soll Arbeit?“ mit dem ÖGB gilt als größte Kontaktoffensive der Arbeitnehmer in den letzten Jahrzehnten. Welche Chancen möchte man hier ergreifen?
Unser großer Anspruch ist es, die Arbeitnehmer in die Diskussion darüber einzubinden und zu erfahren, welche Themenbereiche aus ihrer Sicht besonders relevant sind. Wir wollen also wissen, wo der Schuh drückt und was so bleiben soll, wie es jetzt ist. Die Schwerpunkte, die angesprochen werden, sind sehr breit gefasst, von gerechter Bezahlung für Frauen über Wohnen, Pensionen oder soziale Sicherheit für Arbeitslose bis hin zu Lohn- und Sozialdumping. Auch die aktuell immer wieder aufkommenden Fragen über Arbeitszeiten, also z. B. über den 12-Stunden-Tag oder die 60-Stunden-Woche, sind in die Umfrage integriert. Die Möglichkeiten mitzumachen, sind sehr vielfältig, denn es gibt nicht nur die Fragen selbst, sondern es kann auch ein eigener Kommentar sowohl auf der Papierversion als auch auf der Homepage der AK abgegeben werden.
Auch wenn die Kampagne noch bis 31. Mai läuft, ist sich die AK schon vieler Themen bewusst, die den Arbeitsmarkt beeinflussen. Was sind die zentralen Herausforderungen, vor denen man zur Zeit steht?
Die Themenpalette ist sehr mannigfaltig. Das bestätigen auch meine Erfahrungen aus den unzähligen Betriebsbesuchen, die ich fast täglich durchführe. Dabei erlebe ich, dass vor allem der Arbeitsdruck eine große Belastung für die Arbeitnehmer darstellt. Während wir es in der Vergangenheit überwiegend mit körperlicher Belastung zu tun hatten, ist es heute der psychische Druck, der die Menschen krank macht. Hinzu kommen Überstunden und die Frage nach der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, sodass sich viele innerlich zerrissen fühlen, was wiederum zu Leistungsverlust führt. Auch das Stichwort Flexibilität ist anzuführen, denn im realen Arbeitsleben ist es die Ausnahme, dass Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit selbst einteilen können.
Ebenso betrifft die fortschreitende Digitalisierung die Arbeitswelt. Wie sehr nimmt die AK diese Entwicklung für sich selbst zum Anlass, die Beratungstätigkeit zu verändern?
Wir bieten bereits jetzt zahlreiche Beratungsangebote über das Internet an. Dieser Bereich wird sich möglicherweise künftig noch erweitern, aber dass er das persönliche Gespräch face-to-face zur Gänze ersetzt, glaube ich nicht. Gerade wenn es um Verträge aus dem Arbeits- und Sozialrecht oder um Steuerbelange geht, tauchen viele spezifische Fragen und Rückfragen auf, die über den elektronischen Weg nur schwer oder unter wesentlich größerem Zeitaufwand gelöst werden können. Auf YouTube bieten wir Erklär-Videos an, die von unseren Mitgliedern sehr gerne angenommen werden.
Weil Sie gerade das Thema Steuern erwähnt haben: Einer der großen Erfolge der AK sind die Steuerspartage, die 2018 zu einem Rekordergebnis führten. Welche Idee steckt hinter dieser Initiative?
Eine wesentliche Aufgabe der AK besteht darin, die Arbeitnehmer bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche zu unterstützen. Darum bieten unsere Experten bei den Steuerspartagen ihre Beratung und Hilfe an, um Aufwendungen, die von der Steuer abgesetzt werden können, bei der Finanzbehörde formal geltend zu machen.
Und wieso kommt es überhaupt so weit, dass die Arbeitnehmer sich selbst darum bemühen müssen, nicht zu viele Steuern zu zahlen?
Nun ja, die jeweilige Steuerleistung wird abhängig von der Höhe des Gehalts oder des Lohns automatisch einbehalten und durch den Arbeitgeber an die Finanzbehörde abgeliefert. Im Leben werden aber darüber hinaus Aufwände getätigt, die von der Steuer abgesetzt werden können, ohne dass die meisten Betroffenen das wissen. Allerdings weiß auch der Arbeitgeber zu dem Zeitpunkt, an dem er die Steuer einbehält, noch nichts davon, sodass diese Ansprüche erst nachträglich zurückgefordert werden können.
Dass ein Großteil aller Arbeitnehmer in der Steiermark auf die AK vertraut, zeigen aktuelle Studien. Dennoch wurde sie bei den letzten Nationalratswahlen als eine Art Zielscheibe verwendet. Hat die Kritik das Standing bei den Mitgliedern beeinflusst?
In der Zwischenzeit hat es wieder österreichweite Befragungen gegeben, die zeigen, dass diese Kritik die Bedeutung der Einrichtung in den Augen der Mitglieder in keiner Weise beeinflusst hat. Das Vertrauen, die Zustimmung und die Zuordnung von Kompetenz und Glaubwürdigkeit sind ungebrochen hoch. Hinter diesen Versuchen, solche Einrichtungen in der Öffentlichkeit zu diskreditieren und ihnen zu unterstellen, dass sie ineffizient wären, steckt ein gewisses Kalkül. Die AK, und auch die Wirtschaftskammer, sind gesetzliche Interessenvertretungen, die meiner Meinung nach einen hohen Beitrag zur Entwicklung unseres Landes geleistet haben und leisten. Einzelnen Gruppen ist dieser Interessenausgleich allerdings ein Dorn im Auge und sie versuchen, solche Einrichtungen generell in Frage zu stellen.
Vor allem die Pflichtmitgliedschaft war ein großes Thema. Warum braucht es diese, um die Interessen der Arbeitnehmer effektiv vertreten zu können?
Das ist relativ einfach erklärt. Sie gewährleistet, dass alle Betroffenen einen Beitrag leisten, wodurch die Kammerumlage mit 0,5 % des Bruttolohns sehr moderat gehalten werden kann. Nun gibt es zwar Einwände, dass, wenn die AK so gut sei, wie sie immer behauptet, ohnedies alle freiwillig Mitglied wären. Der Mensch ist aber so programmiert, dass er sich in der Regel erst dann eine Unterstützung holt, wenn er sie unmittelbar benötigt. Die wesentliche Voraussetzung, um mit Vertretern aus Politik und Wirtschaft auf Augenhöhe kommunizieren zu können, ist allerdings die Expertise in den unterschiedlichsten Bereichen. Um das zu ermöglichen, müssen die Experten permanent und nicht nur fallweise beschäftigt werden, damit sie laufend neue Entwicklungen mitverfolgen können. Außerdem fallen Kosten für die Erarbeitung von Studien, Untersuchungen etc. an.
Wie wird dieses Budget, das 2016 bei mehr als 58 Millionen Euro lag, neben der Expertise noch eingesetzt?
Insgesamt achten wir natürlich darauf, dass die Mittel effizient eingesetzt werden und für die Mitglieder einen Mehrwert entfalten. Wir führen beispielsweise über 220.000 Beratungen pro Jahr durch, vertreten unsere Mitglieder vor Ämtern, Behörden und Gerichten. Auch Informationsveranstaltungen, Betriebsräteausbildungen und die Unterstützung von Projekten im Bildungs- und Gesundheitswesen zählen zu unseren Leistungen.
Ein solches Projekt ist wohl seit März auch der Neubau der Volkshochschule, in die über 15 Millionen Euro investiert werden. Warum hat das Thema Bildung einen derart großen Stellenwert für die AK?
Besonders im Zusammenhang mit technologischer Weiterentwicklung spielt Bildung eine große Rolle, denn im Gegensatz zu früher gibt es heute kaum noch einfache manuelle Tätigkeiten, die ohne eine bestimmte spezifische Ausbildung ausgeführt werden können. Mit der VHS ist die AK Eigentümerin einer der größten steirischen Erwachsenenbildungseinrichtungen. Das Angebot für die circa 63.000 bis 65.000 Hörer pro Jahr ist sehr breit, angefangen bei der Basisbildung, um etwa einen Pflichtschulabschluss nachzuholen. Bildung sollte für jeden erschwinglich sein, deshalb bieten wir zweimal im Jahr mit dem Bildungscheck eine zusätzliche finanzielle Förderung an. Das neue Bildungszentrum wird eines der modernsten der Steiermark. Zudem wird es barrierefrei sein, damit alle die Möglichkeit haben, Bildungsveranstaltungen ganz unkompliziert besuchen zu können.
Ein weiteres Thema, das für die AK eine Rolle spielt, ist die Kunst. Es gibt immer wieder Ausstellungen und in den Büroräumen finden sich Kunstwerke. Wo liegt die Schnittstelle zwischen Kunst, Kultur und Arbeit?
Kultur, Kunst und Arbeit greifen aus meiner Sicht total ineinander und sind untrennbar miteinander verbunden, denn daraus können andere Menschen wiederum Ideen und Inspiration schöpfen! Ich halte es für sehr wichtig, dass wir als öffentlich-rechtliche Körperschaft den Künstlern den Raum geben, ihre Werke zu präsentieren, und sie, wo es geht, unterstützen. Egal ob sie freischaffend oder unselbstständig arbeiten, sie sind genauso Arbeitnehmer.
Wie ist die Nachfrage von Seiten der Künstler nach Ausstellungen in der AK?
Die ist sehr groß! Ich glaube, wir sind zwei Jahre im Voraus ausgebucht, obwohl wir geschätzt sieben oder acht Ausstellungen pro Jahr haben. Jede davon hängt etwa eineinhalb Monate, dann kommt schon die nächste. Teilweise zeigen wir wirklich prominente Künstler oder solche, die von ganz prominenten gefördert und unterstützt werden. Jeder hat die Möglichkeit, sich bei uns für eine Ausstellung anzumelden. Ich würde bewusst nicht von „bewerben“ sprechen, denn wir vermeiden es zu sagen, jemand wäre es nicht wert, seine Kunst bei uns zu zeigen. Es ist uns wirklich ein Anliegen, bei Ausstellungsanfragen den Platz zur Verfügung zu stellen. Zum Thema Kunst äußerte sich Karl Valentin einst folgendermaßen: „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit.“ Und wir beteiligen uns gern an dieser Arbeit, indem wir Künstler unterstützen, wo wir können.