Um Kunst und Kultur zu genießen, nimmt man von Zeit zu Zeit gerne längere Anreisen in Kauf. Doch manchmal liegt Gutes auch sehr nahe. Die Region Südweststeiermark um die Bezirkshauptstadt Deutschlandsberg ist der beste Beweis dafür.
Text: Wolfgang Pollanz
Ich reise gerne und möglichst oft. Erst kürzlich bin ich ein paar Tage in Madrid gewesen und war hellauf begeistert. Geärgert habe ich mich, dass ich diese großartige Stadt nicht schon früher besucht habe. Vielleicht lag es daran, dass ich in jungen Jahren Charles de Costers Roman Thyl Ulenspiegel gelesen habe, in dem der bigotte König Philipp II. zur Zeit der Inquisition im Escorial residiert und Madrid eine freudlose Stadt der Selbstgeißelung ist – das hat wohl mein Bild auf viele Jahre geprägt.
Aber Reisen bildet ja bekanntlich, nicht nur wenn man wie etwa in Madrid den Prado, das Reina Sophia und das Museo Thyssen-Bornemisza besuchen kann, es lässt einen immer wieder, und man verzeihe mir das Klischee, die Welt ein wenig neu sehen – vor allem wenn man wie ich in der Peripherie lebt, abseits der urbanen Zentren, in denen die Dinge stattfinden, die mich mein ganzes Leben lang brennend interessiert haben: die Literatur, die Musik, die Kunst. Wahrscheinlich war das auch die Antriebsfeder für die Kulturarbeit, die ich seit vier Jahrzehnten in meinem Wohnort Wies und in der Region zu leisten versucht habe: ein wenig von dieser weiten Welt hierher zu bringen, zu ermöglichen, dass die Menschen am Land mit aktuellen künstlerischen Positionen konfrontiert werden, auch wenn sie oft sehr schwer zu erreichen sind.
Da das einheimische Potenzial an Kulturkonsumenten naturgemäß ein beschränktes ist, sind die regionalen Kulturinitiativen auch darauf angewiesen, Publikum anzusprechen, das kein Problem damit hat, eine Stunde von Graz Richtung Süden zu fahren, um etwa eine Inszenierung des Theaters im Kürbis zu sehen. Und weil man nach der Vorstellung im malerischen Ambiente der Schlosstenne in Wies eventuell an einem lauen Sommerabend einen heimischen Weißburgunder oder ein Glas Schilchersekt genießen möchte, hier ein kleiner Tipp: Es gibt in der Region auch Übernachtungsmöglichkeiten. Gezeigt wird in Wies diesen Sommer ein Klassiker des Boulevard-Theaters, die Komödie Mein Freund Harvey in einer Inszenierung der jungen Regisseurin Julia Krasser. Weltweit bekannt wurde das Stück, in dem ein unsichtbarer Hase eine tragende Rolle spielt, in der Hollywood-Verfilmung mit dem unvergesslichen James Stewart.
Großartiges gibt es auch immer wieder im Theaterzentrum Deutschlandsberg, immerhin haben sich dort u. a. der Regisseur und Nestroy-Preisträger Felix Hafner oder die Autorin Irene Diwiak ihre ersten künstlerischen Sporen verdient. Konnte man da zuletzt Bonnie & Clyde in Love sehen, hat man sich für diesen Juli auf ein ganz anderes Thema gestürzt. Die Schilcher-Metropole feiert 100 Jahre Stadterhebung und dazu gibt es einen „Faktencheck Deutschlandsberg“, einen theatralischen Spaziergang voller Überraschungen und mit neuen Erkenntnissen, wie so ein Kleinstadt-Kosmos in Wahrheit funktioniert – eine völlig neue Sicht auf die Stadt, auf historische Figuren und auf Zeitgenossen und bislang unbekannte Drahtzieher im Hintergrund, wie es auf der Homepage der Theatergruppe heißt. Dort findet man auch noch den Hinweis, dass das Ganze bei jeder Witterung stattfindet, also bei tropischer Hitze ebenso wie bei Hagelschlag und Unwetter. Entsprechende Kleidung ist also gefragt – und von Graz nach Deutschlandsberg ist es nun wirklich bloß ein Katzensprung!
Auf dem Weg dorthin sollte man unbedingt einen Zwischenstopp in Groß St. Florian machen – nicht weil es auf dem Weg nach Deutschlandsberg einer Pause bedürfte, nein, dort steht bekanntermaßen das Steirische Feuerwehrmuseum, offizieller Zusatz im Namen: Kunst & Kultur. Dort wird nicht nur Feuerwehrgeschichte sichtbar gemacht, es werden auch hochkarätige Ausstellungen gezeigt. So gab es im letzten Jahr eine Schau mit Werken von Werner Berg, für die man sonst in das kärntnerische Bleiburg reisen muss, und dieses Frühjahr Werke von Herbert Brandl aus der Sammlung Thomas Angermair. Die aktuelle Sommer-Ausstellung ist Werner Augustiner gewidmet, dem „Maler des zeitlosen Expressionismus“. Der Kuratorin und Museumsleiterin Anja Weisi-Michelitsch gelingt es immer wieder, spektakuläre Ausstellungen in den kleinen Markt zu bringen und damit auch überregional Aufmerksamkeit zu generieren.
Herbert Brandl stammt übrigens aus der Region, aus Schwanberg, wo er jüngst in der dortigen Rondell Gallery unter dem Titel Keine Panik im Dialog mit seiner Partnerin Edelgard Gerngross einige seiner Bilder gezeigt hat. Den Sommer über kann man dort jedoch Arbeiten von Flora N. Galowitz sehen, wie sich die Künstlerin Flora Neuwirth derzeit nennt, ergänzt durch einen Abend Anfang Juli mit Music for films von Olga Neuwirth, die weltweit zu den bedeutendsten Komponistinnen der Gegenwart zählt. Beide Schwestern stammen ebenso wie Brandl aus dem Ort, den man sonst seines Moorbades wegen kennt. Aber wenn man schon dort ist, sollte man sich auch noch das Innere der Josefi-Kirche ansehen – diese birgt „als Geheimtipp einen der größten Schätze österreichischer Pop-Art“, wie Werner Schandor, Autor des Falter-Reiseführers „Steirisches Wein- und Hügelland“ über das Lebenswerk des Malers Jakob Laub schreibt.
Ebenfalls unweit von Deutschlandsberg liegt Frauental mit seiner bluegarage, wo Bernd Sackl und seine Mitstreiter unbeirrt die Fahne der Live-Musik hochhalten und Rock und Pop in eine Region bringen, in der sonst die Lederhosen-Fraktion den Ton angibt. Gern gesehener Gast ist dort immer wieder Georg Altziebler alias Son Of The Velvet Rat, der übrigens auch auf dem Tonträger Nummer 100, einem Doppelvinyl-Album von pumpkinrecords vertreten ist, das ab Juli über die Homepage der KI Kürbis erhältlich ist. Auf dem Label, herausgegeben vom Autor dieser Zeilen, erscheinen seit 1998 Tonträger, die man in einem weiten Feld zwischen Rock, Folk und Experimentellem verorten kann, zuletzt auch verstärkt wieder auf Vinyl. Erst jüngst ist dort auch eine Platte mit Aufnahmen von Johannes Silberschneiders Alter Ego Johnny Silver aus den frühen 80er Jahren erschienen.
„Im Zentrum der Peripherie“ sieht sich selbst das Greith-Haus, das seit seiner Eröffnung im Jahr 2000 das Angebot an Kultur westlich der Mur um Ausstellungen, Lesungen und Konzerte bereichert, eine Aufzählung all der prominenten Namen, die hier schon gastiert haben, wäre müßig. Auch diesen Sommer ist die Ausstellung im Haus wieder eine Anreise wert. Gezeichnete Menschen, natürlich in der doppelten Wortbedeutung, ist der Titel der Schau von Österreichs wohl bedeutendstem Karikaturisten der Gegenwart, Gerhard Haderer, die in St. Ulrich im Greith bis zum 19. August läuft.
Aber auch hier kann man den Besuch mit weiteren Events verbinden. Gleich um die Ecke vom Greith-Haus im Buschenschank der Familie Mathans zeigen die Vitamins of Society wie jedes Jahr Steiermarks schrägstes Hoftheater. Da kann es schon vorkommen, dass in der Inszenierung von Wolfi Lampl alias Jimi Lend der Haushahn vom Dach des Stalls über die Köpfe der Schauspieler hinwegfliegt, die Glocken der Dorfkirche den Soundtrack komplettieren oder in Sommernächten die Blitze im Hintergrund über das Weinland zucken. Natürliche Auslese heißt das diesjährige Stück des Grazers Johannes Schrettle, mit u. a. Harry Lampl, der auch schon im Tatort oder in Landkrimis zu sehen war, Annette Holzmann, bis 2015 Ensemblemitglied am Volkstheater Wien, und Simone Leski, die im TZ Deutschlandsberg begonnen hat und zurzeit am Stadttheater in Klagenfurt engagiert ist.
Aber möglicherweise wagen Besucher sich noch weiter hinein in die üppig grüne Wildnis des südweststeirischen Hügellandes nach Untergreith. Dort betreibt seit mehreren Jahren die Avantgarde-Geigerin Mia Zabelka ihr Klanghaus, wo sie zwischen internationalen Auftritten von Moskau bis New York auch selbst performt und zu ihren Klangfesten Sound-Artists aus aller Welt einlädt. Die nächste Ausgabe gibt es am 25. August, mit dabei ist auch der in Wies lebende Künstler Wolfgang Temmel, Grenzgänger zwischen unterschiedlichen Medien, der unter dem Titel Sound In The Eyes“ Ton-Arbeiten der letzten Jahre sowie live mit seinen Ukulelen Aktuelles aus seinem Laboratorium präsentieren wird.
Wolfgang Pollanz lebt in Wies, für sein kulturelles Engagement erhielt er 2013 den Hanns-Koren-Preis. Jüngste Veröffentlichung: „Einsamkeit hat viele Namen“
(Erzählungen, Edition Keiper, 2018).
www.pollanz.com