Start Kunst & Kultur Cirque Noël bringt drei hochkarätige Compagnien nach Graz

Cirque Noël bringt drei hochkarätige Compagnien nach Graz

Acrobuffos Foto: Florence Montmare

Aus dem Wunsch heraus, für das Publikum stets neue Aspekte des zeitgenössischen Zirkus zur Winterzeit auszuloten und diese Neugier mit dem Publikum zu teilen, zeigt der Cirque Noël erstmals drei Produktionen. „Das Ganze soll zu einem richtigen Zirkusfest werden“, so der Intendant Werner Schrempf im Interview mit „Achtzig“.

Text: Natalie Resch

Die australische Gruppe Gravity & Other Myths begeisterte schon im Vorjahr mit „A Simple Space“. Was erwartet das Publikum in der neuen Produktion?

Backbone ist eine sehr zeitgemäße Produktion der jungen, international höchst erfolgreichen Zirkusgruppe aus Australien. Sie erneut einzuladen, verstehen wir als Einladung an das Publikum, deren Entwicklung mitzuerleben. Ab 18. Dezember zeigen sie ihre zweite Produktion im Orpheum und arbeiten schon wieder an ihrer dritten, die wir koproduzieren und im Sommer bei La Strada zeigen wollen. Backbone ist wie ihre erste Produktion A Simple Space von der starken Gruppen­dynamik getragen, die zeigt, wie ein Team, Zusammenarbeit und blindes Vertrauen entstehen. Für Backbone haben die Australier weitere Künstler ins Boot geholt, die sich intensiv mit dem Bühnensetting, Licht und Live-Musik, auseinandersetzen. Das Lichtdesign erzeugt starke Bilder, bettet die Geschichte der Artisten in fantastische Welten ein und nimmt Anleihe in der bildenden Kunst. Die Körper der Artisten finden sich in einem artifiziellen, künstlerischen Lichtraum wieder.

„We all can be everybody“, sagt die Compagnie selbst über ihr Stück. Wie ist das zu verstehen?

Die Geschichten, die auf der Bühne erzählt werden, öffnen sich den ZuschauerInnen. Laden ein, die eigene Vorstellungskraft einzubringen, selbst Teil der Geschichte zu werden. Gedanklich mit auf Entdeckungsreise zu gehen und sich berühren zu lassen. Das ist das Schöne an den Produktionen des Neuen Zirkus. Die Geschichte ist erst dann erzählt, wenn das Publikum ganz dabei ist. Gravity & Other Myths zeigt mit den Mitteln des zeitgenössischen Zirkus, was durch die Kraft des Miteinanders möglich wird. Was gezeigt wird, kann man nicht allein tun, da muss sich jeder auf den anderen verlassen können. Es entsteht etwas Größeres – getragen von Respekt und dem Vertrauen zueinander.

Werner Schrempf
Foto: Nikola Milatovic

Was erwartet das Publikum auf der Reise in das Land der Lüfte mit dem amerikanischen Duo Acrobuffos?

Seth Bloom und Christina Gelsone sind zum ersten Mal in Graz beim Cirque Noël. Mit Air Play zeigen sie etwas, was unser Publikum in dieser Form noch nicht gesehen hat: fantastische Bilder und Clownkunst. Im Mittelpunkt steht das Imaginäre, der Zauber, sich mit den zwei Figuren in eine andere Welt zu begeben, in der sich die beiden immer wieder geschickt und fantasievoll verwandeln und in Frage stellen. Air Play ist sehr humorvoll. Eine Einladung an Familien, zu dieser besonderen Jahreszeit – von den Enkeln bis zu den Großeltern – gemeinsam Zeit zu verbringen und etwas Besonderes zu erleben. Ich bin gespannt auf die Reaktionen des Publikums. Es ist schön zu sehen, wie sehr es sich auf Neues einlässt.

Leidenschaftlich, temporeich und schräg geht es dann im neuen Jahr mit der Company 2 und Scotch and Soda weiter …

Hier geht es darum, im Neuen Jahr wieder etwas aufzubrechen. Das Musikalische und Leidenschaftliche und die große Gruppe der Company 2, die dann auf der Bühne ist – das passt für mich einfach ins neue Jahr. Die Weihnachtszeit ist eine Zeit des Besinnlichen. Der Jahresanfang steht für Aufbruch. Es ist die Zeit, Geister zu vertreiben. (lacht) Die ansteckende Leidenschaft des Stückes, das ist klasse. Das macht Spaß, da geht man gern hin. Da feiert man das Leben. Und die Musik spielt eine besondere Rolle. Beim Cirque Noël ist die Musik nicht dazu da, die Spannung im Hintergrund für irgendeinen artistischen Act aufzubauen. Es ist offensichtlich, wie viel Spaß es den MusikerInnen macht – als gleichberechtigte PartnerInnen – auf der Bühne zu sein. Artistik und Musik fließen in Scotch and Soda ineinander und werden zu einem Ganzen. Alle haben eine theatrale Funktion. Die Verbindung verschiedener künstlerischer Ausdrucksformen macht die Faszination des Neuen Zirkus aus.

Company 2
Foto: Jose Cardona

Partizipative und prozesshafte Aspekte sind beim Cirque Noël und La Strada wichtig. Wie sind diese für das Publikum wahrnehmbar?

Für KünstlerInnen ist es entscheidend, vor Leuten zu spielen. Dabei geht es um mehr als nur um Reaktionen im Theater-Raum, mehr als um Applaus oder Lacher. Vielmehr ist es die Interaktion und Auseinandersetzung mit dem Publikum selbst. BesucherInnen sollen erfahren, wie etwas entsteht und funktioniert, was dafür notwendig ist – wie in Form von Try-Outs. Natürlich auch auf die Gefahr hin, dass sie dann zu ExpertInnen werden und nicht so leicht verzeihen, wenn etwas mal schief läuft. Nicht im Sinne von „Bälle fallen lassen“, beim Jonglieren, sondern in der Form der Erzählkunst. Gelingt es uns, die Geschichte wirklich zu erzählen? Das braucht Zeit. Graz braucht im Bereich des Performativen und des Theaters die Möglichkeit, auch mal länger und konzentrierter an einer Produktion zu arbeiten, unter professionellen Bedingungen. Große literarische Werke werden auch nicht an einem Tag geschrieben. Das braucht Zeit, oft mehrere Jahre. Immer wieder daran zu arbeiten, ins Detail zu gehen, zu reflektieren, jemanden von außen zuschauen zu lassen. Das kennen wir aus zahlreichen Beispielen unserer internationalen Produktionstätigkeit bei La Strada und Cirque Noël. Ein Stück des bekannten niederländischen Puppenspielers Neville Tranter oder der Compagnie Familie Flöz braucht zwei bis drei Jahre bis zur Bühnenreife. Langfristige, präzise künstlerische Arbeit wollen wir fördern und unterstützen.

Acrobuffos 2
Foto: Florence Montmare

Im letzten Interview haben Sie von Ihrer nächsten Eigenproduktion über das Leben von Stefan Zweig gesprochen. Wird es diese geben?

Das ist ein solch gerade beschriebener langer Prozess. Anfang dieses Sommers waren wir gemeinsam mit den Regisseuren und dem Bühnenbildner der Compagnie 7 Fingers eine Woche lang auf Schloss Seggau in Klausur. Wir haben erste inhaltliche Schritte gesetzt und es sind schon Entwürfe skizziert worden, wie das Stück auf die Bühne zu bringen ist, welche Bilder entstehen können. Davon inspiriert, arbeiten nun alle Beteiligten individuell weiter. Inzwischen finden Meetings statt, zum Zeitplan, zu technischen Details und Budgetfragen. Im Mai 2019 werden wir eine ganze Woche lang einen Workshop mit den ArtistInnen, MusikerInnen und dem dramaturgischen Team in Montreal abhalten – im neu eröffneten Creation Center der 7 Fingers. Das Spannende: Es ist noch nicht klar, wohin die Reise geht. Das Leben und die Arbeit Stefan Zweigs auf die Bühne zu bringen – da geht es um mehr, als nur die dunklen Aspekte seiner Zeit zu zeigen. Die Lebensfreude, die Leidenschaft für die Kunst und das Kraftvolle in der Person dieses großen Schriftstellers herauszuarbeiten, das ist die gemeinsame Herausforderung. Und genau diese suchen wir.

Gravity & Other Myths
Foto: Carnival Cinema

Wie stellen Sie eigentlich die Finanzierung der drei Produktionen 2018 sicher?

Möglich macht es in erster Linie das Publikum; mit jedem Ticket, das es erwirbt. Dessen Offenheit, sich immer wieder auf Neues einzulassen und mit uns die Leidenschaft für die Kunstform des Neuen Zirkus zu teilen, haben uns ermutigt, in diesem Jahr drei Produktionen nach Graz zu bringen. Wir werden weiterhin unsere Zeit und unsere Ressourcen in die ­­(Ko-)Produktion langjähriger Projekte investieren. Angetrieben vom Entwicklungswunsch, ge­mein­sam mit dem Publikum zu wachsen und es immer wieder herauszufordern und zu überraschen. Die Vernetzung lokaler KünstlerInnen mit der internationalen Szene vertiefen wir stetig – so wie auch im Fall des Stefan Zweig-Projekts – auf eigene Kosten und Risiko. Insbesondere für den Aspekt dieser Produktionstätigkeit wünschen wir uns Förderungen aus den Kulturbudgets von Bund, Land und Stadt Graz. Von Anfang an hat der ­Cirque Noël Unterstützung vom Tourismusverband Graz erfahren. Aktuell wird er auch vom Land Steiermark mit einem Anteil von 1,7 % des Gesamtbudgets unterstützt. Hinzu kommen mietfreie Kulturtage in der Helmut List Halle von Land und Stadt.

Company 2
Foto: Sean Young

Backbone von Gravity & Other Myths: 18.12.2018 bis 6.1.2019, Orpheum Graz

Air Play von Acrobuffos: 21.–31.12.2018, Helmut List Halle

Scotch & Soda von Company 2: 2.–6.1.2019, Helmut List Halle

www.cirque-noel.at