Zeitgenössische Interpretationen biblischer Geschichten: von März bis Juli zeigt das Dommuseum Mainz die Sonderausstellung „VERTRAUT UND FREMD. VULGATA 77 zeitgenössische Zugriffe auf die Bibel“. Der Großteil der gezeigten Arbeiten stammen aus der Sammlung des KULTUMdepots Graz.
Text: Lydia Bißmann
Anlass für die Ausstellung in der Domstadt Mainz ist das 30-jährige Jubiläum der Stiftung Bibel und Kultur. Die ökumenische Initiative verleiht Preise und Ehrungen an zeitgenössische Kunstschaffende, die sich in ihren Werken mit dem Erbe der jüdisch-christlichen Bibel auseinandersetzen. Die Schau war in Graz bereits im Lutherjahr 2017 unter demselben Namen zu sehen. Kuratiert, umgestaltet und für das Dommuseum teils neu gedacht wurde sie von Kultum-Leiter Johannes Rauchenberger und Co-Kuratorin Birgit Kita (Dommuseum Mainz). Gegenwartskunst trifft dort auf zwei Etagen im historischen Dom- und Diözesanmuseum Mainz auf Werke aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit.
Die Bibel für das Volk
Vulgata bedeutet übersetzt „volkstümlich” und ist auch der Name für eine einfache lateinische Bibelübersetzung aus dem 4. Jahrhundert. Überliefert wurden die biblischen Texte in aramäischer und griechischer Sprache. Der Kirchenvater Hieronymus fasste sie für das Volk in einer einheitlichen, leicht verständlichen Fassung in Latein, der damals üblichen Volkssprache, zusammen. Jahrhundertelang war sie die zentrale Inspirationsquelle der abendländischen Kunst. In einer noch sehr bildarmen Welt waren die Darstellungen der Bibel umso wichtiger und brachten den Gläubigen die Figuren, Ereignisse und Schlüsselszenen näher. Auch wer die Bibel nicht gelesen hatte oder sie gar nicht lesen konnte, wusste so über ihren Inhalt Bescheid. Die sakrale Kunst hatte sowohl illustratorische wie pädagogische Aufgaben. Die Bibel erklärt aber nicht nur und schreibt vor, sie erzählt vor allem von Menschen im Umgang mit ihren Mitmenschen, mit sich selbst und mit Gott. In einer säkular geprägten und multimedialen Welt wie heute hat sich dieser Zugang in den Grundzügen verändert, manches ist aber gleichgeblieben. Bilder haben auch nichts von ihrer Faszination, ihrer Funktion als Eyecatcher verloren. Die Religion ist nicht mehr alleiniger Bezugspunkt für moralische und ethische Fragen, bietet aber nach wie vor Antworten – vor allem in Zeiten von Krisen oder gesellschaftlichen Umbrüchen.
Gegenwart und Glaube
Die Ausstellung VERTRAUT UND FREMD. VULGATA 77 geht der Frage nach, was zeitgenössischen Künstlernnen und Künstler heute an der Bibel interessiert. Zu sehen sind unter anderem Collagen der Künstlerin Dorothee Golz, die Köpfe von Madonnendarstellungen großer Meister wie Raffael auf Fotos von Models in einem komplexen Malverfahren montiert hat oder die Gottesmutter in Alltagshandlungen wie der Hausarbeit inszeniert. Die filigrane Dornenkrone aus Glas von Claudia Schink ist zugleich kostbar anmutendes Schmuckstück, steht aber auch für die Kritik einer Überhöhung des Leids. Eine Hommage an die Schöpfungsszene Michelangelos in der sixtinischen Kapelle ist Mark Wallingers Ego, wo die gemalten Hände von Adam und Gott, durch eine Fotocollage menschlicher Hände ersetzt wurden. Die zeitgenössischen Exponate treten in der Ausstellung auch in einen fruchtbaren Dialog mit der Sammlung des Dommuseums Mainz. Guillaume Bruères Kreuzigungen ragen in dieser Gegenüberstellung besonders hervor. Der steirische Künstler Alois Neuhold hat im kostbaren Domschatz sogar eine eigene Installation angefertigt, die aus 70 „Unnützbarkeitsgefäßen“ besteht. Noch ein weiterer Steirer ist vertreten: Werner Reiterer zeigt ein „Propellerkreuz“ und warnt vor Fundamentalismus.
Die Schau ist in sieben Bereiche gegliedert. Von „Glauben und Wissen“, „Schöpfung, Schrift und Gottesnamen“, „Fundamentalismus und Politik“ bis hin zum „Nachdenken über die zentrale Message“ und dem „Jetztrausch in der Bilderzählung“ reichen die Themenfelder. Ein starkes Exportstück steirischer Kuratorenarbeit, die sich das KULTUM unter Johannes Rauchenberger in den letzten Jahren erobert hat.
Vertraut und fremd. VULGATA 77. Zeitgenössische Zugriffe auf die Bibel
Bischöfliches Dom- und Diözesanmuseum Domschatzkammer, Domstraße 3, 55116 Mainz, 6.3. bis 7.7. 19, Di. bis Fr. 10–17 Uhr, Sa., So. und Feiertage 11–18 Uhr