„Es reicht nicht mehr, nur gute Texte zu schreiben“, weiß Anita Keiper. Mit ihrem Verlag edition keiper ist sie Kennerin und fixer Bestandteil der vielseitigen Grazer Literaturszene. Ein Gespräch über aktuelle Schreibweisen sowie Chancen und Hürden für Autorinnen und Autoren.
Text: Pia Moser
Seit Gründung Ihres Verlags im Jahr 2008 legen Sie einen Schwerpunkt auf steirische Literatur. Wie sehen Sie die Entwicklung speziell der Grazer Literaturszene in den vergangenen Jahren?
Ich könnte sagen: Die Texte werden frecher und mutiger. Doch vor dreißig Jahren hat man das wohl auch gesagt und was damals als frech und mutig galt, erscheint heute manchen eher langweilig. Jedenfalls hat die Grazer Literaturszene das Freche und Mutige beibehalten. Vorreiter wie Alfred Kolleritsch haben einen guten Boden für die heutige Szene bereitet, die ein lebendiges und starkes Netzwerk hat. Was sehr junge Autorinnen und Autoren angeht, ist heute doch eines auffallend: Sie überschreiten alle Grenzen, sie nehmen ihre eigenen Themen selbst in die Hand und scheuen sich nicht, einen eigenen Stil und Jargon zu entwickeln. Manchmal bleibt einem bei der Lektüre das Lachen im Hals stecken. Denn wir haben ja die Political Correctness verinnerlicht, ich muss mich daher mehrfach fragen: Darf man das sagen? Darf ich das als Verlegerin überhaupt drucken?
Wie treffen Sie Ihre Entscheidung für oder gegen eine Veröffentlichung, wenn diese Grenzen zu fallen drohen?
Jedes Buchprojekt ist ein Abenteuer. Und ich kann im Grunde genommen schon vorab ausloten, von wem man dafür kritisiert und von wem man gelobt werden wird, wer es besprechen und wer es ignorieren wird. Bei jedem Projekt muss ich mich selbst fragen, ob ich daran glaube. Letztlich muss ich die Bücher ja auch verkaufen. Die zentrale Frage lautet also: Kann ich meine Zielgruppe erreichen?
Welche Rolle spielt die Außenwirkung, die Performance von Autorinnen und Autoren selbst in diesem Zusammenhang?
Es reicht heute definitiv nicht mehr, einen guten Text zu schreiben. Es ist die Gesamtpackung, die zählt. Ich finde es auch sehr bedauerlich, wenn Autorinnen und Autoren aufgrund ihres Alters oder der fehlenden Performance abgelehnt werden. Ähnlich verhält es sich mit Lesungen, die heute verstärkt mit einem szenischen oder musikalischen Programm einhergehen müssen, um das Publikum zu erreichen. Oft ist die Sprache sogar einem performativen Aspekt angepasst. Es ist schön, so einem bunten Literaturabend beizuwohnen, auch wenn mancher sich fragen mag: Braucht es das wirklich?
Wie viele Manuskripte erhalten Sie durchschnittlich pro Monat?
Es sind sehr viele, im Schnitt drei bis fünf pro Woche. Das meiste erreicht uns per E-Mail. Postsendungen sind uns aufgrund der Filterfunktion viel lieber, was wir auch immer wieder betonen. Schon ein persönliches Anschreiben kann eine Einsendung von der anderen abheben. Oder wenn ich merke, dass sich der Autor, die Autorin bereits mit dem Verlag auseinandergesetzt hat und die Einsendung dementsprechend begründet.
Wann schafft es ein Text nicht in Ihr Programm?
Wenn ich merke: Da hat sich jemand einfach etwas von der Seele geschrieben, ohne jeden literarischen Anspruch. Was natürlich legitim ist, denn Schreiben hat ja auch eine therapeutische Funktion. Jedoch weiß ich oft bereits nach ein paar Seiten, dass gewisse Texte einfach nicht zu unserem Verlag passen. Natürlich muss ich als Verlegerin immer auch einschätzen, welche Werke die breitere Masse interessieren und in den Buchhandlungen guten Absatz finden. Nur von elitärer Literatur können wir nicht leben. Interessanterweise sind es in der Regel jene Titel, die unser Überleben sichern, für die man in der Buchbranche und in der Szene kritisiert wird.
Die Veröffentlichung des ersten eigenen Buches ist der Traum vieler Schreibender. Wie verläuft der Weg dorthin?
Es gibt viele Angebote, die bereits sehr früh ansetzen, wie etwa die Jugend-Literatur-Werkstatt Graz. Gerade für Junge sind derartige Schreibwerkstätten sehr wichtig. Aber für alle Autorinnen und Autoren gilt: schreiben, schreiben, schreiben. Zumal das Schreiben eine einsame Beschäftigung ist, ist auch der Austausch mit anderen über das eigene Schreiben umso wichtiger.
Welche Rolle spielen Literaturzeitschriften auf diesem Weg? Mit fünf Zeitschriften ist Graz hier ja sehr gut aufgestellt.
Für junge oder unbekannte Autorinnen und Autoren besitzen diese Zeitschriften eine ungemein wichtige Funktion. Denn hier beschäftigt sich ein professionelles Redaktionsteam mit den Texten und gibt Feedback. Zum einen kann es also das Selbstwertgefühl stärken. Zum anderen bringt jede Veröffentlichung in einer Literaturzeitschrift Renommee. Als Verlag werden wir oftmals auch über die Zeitschriften auf Autorinnen und Autoren aufmerksam.
Welche Finanzierungs- und Fördermöglichkeiten gibt es konkret für Schreibende?
Eine Vielzahl von Arbeitsstipendien und Förderpreisen gibt es etwa vonseiten des Bundeskanzleramts. Viele scheuen vor den Förderanträgen zurück. Ich finde diese Hürde jedoch sehr sinnvoll, da man sich hier wirklich mit der eigenen Arbeit auseinandersetzen muss. Zudem bieten auch die Stadt Graz sowie das Land Steiermark Fördermöglichkeiten. Über Netzwerke wie die IG Autorinnen und Autoren oder die Literar-Mechana erfährt man regelmäßig von Ausschreibungen. Schreibende, die wirklich wollen und sich in das Netzwerk einklinken, können sehr viel erreichen. Letztendlich braucht es auch einen Verlag, wobei sich dies im Zeitalter der Digitalisierung durchaus relativiert.
Inwiefern hat sich die Szene durch die Digitalisierung verändert?
Es betrifft vor allem die Abhängigkeit von Verlagen. Viele Bestseller erscheinen heute über Book-on-Demand oder im Eigenverlag. Das sehe ich mit Blick auf die zahlreichen Manuskripte, die uns erreichen, sehr positiv. Pro Jahr müssen wir als kleiner Verlag sicherlich dreißig Autorinnen und Autoren, die gute Werke in der Hand haben, aus Ressourcengründen ablehnen. Im digitalen Zeitalter gibt es mehr Möglichkeiten.
Lässt es sich vom Schreiben also ganz gut leben?
Das würde ich so nicht sagen. Rein von Literatur zu leben, ist sicher nicht einfach. Und bei einem Großverlag unterzukommen, ist wie ein Sechser im Lotto. Auch wenn man einen Bestseller schafft: Es ist keine Autobahn, nicht einmal ein Netz. Sondern bestenfalls eine Slackline, auf der man sich bewegt und hoffen muss, dass es einen nicht runterhaut. Gerade bei jungen Leuten ist es mir als Verlegerin wichtig, dass sie abseits des Schreibens eine Perspektive haben. Nicht um das Schreiben zu schmälern, sondern um ein böses Erwachen zu verhindern.
Sehen Sie sich als Verlegerin damit in einer fördernden Rolle, geht es speziell um den literarischen Nachwuchs?
Wir haben schon sehr früh begonnen, junge Autorinnen und Autoren zu verlegen. Angesichts der allgemeinen Leseunlust – die mich wirklich sehr trifft – habe ich irgendwann erkannt, wie förderlich es sein kann, wenn Jugendliche für Jugendliche schreiben. Ein aktuelles und sehr erfolgreiches Beispiel ist der 17-jährige Colin Hadler. Sein Romandebüt Hinterm Hasen lauert er ist im Jänner erschienen und bereits in der 3. Auflage. Er schafft es zu überraschen und seine Alterskollegen wie auch Erwachsene wirklich zu packen. Colin Hadler liest derzeit wöchentlich an Schulen. Das ist es, worum es mir geht. Im deutschsprachigen Raum gibt es derzeit 200 Neuerscheinungen pro Tag. Ich mache Bücher, um die Leserinnen und Leser, vor allem auch die jungen, zu erreichen, und nicht um einfach nur das nächste Buch rauszubringen.
Literatur in Graz hat viele Seiten
Traditionell gilt Graz als Literaturhauptstadt. Spürbar ist das nach wie vor: Neben den Autorinnen und Autoren selbst wirken auch Verlage, Zeitschriften und Literaturstätten für eine lebendige und vielfältige Szene.
edition keiper
Das Verlagsprogramm ist offen für die deutschsprachige Gegenwartsliteratur mit Schwerpunkt Österreich – in all ihren Facetten, Spektren und Genres.
www.editionkeiper.at
Literaturverlag Droschl
Droschl widmet sich der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur sowie einzelnen markanten AutorInnen aus unterschiedlichen Sprachräumen.
www.droschl.com
manuskripte
1960 von Alfred Kolleritsch gegründet, erschienen die manuskripte zum ersten Mal zur Eröffnung des Forum Stadtpark und zählen mittlerweile zu den wichtigsten Literaturzeitschriften Österreichs. Im vierteljährlichen Erscheinen werden nur Erstveröffentlichungen gedruckt.
LICHTUNGEN
Die Zeitschrift für Literatur, Kunst und Zeitkritik erscheint seit 1979. Neben der Publikation international renommierter
AutorInnen werden auch unbekannte, meist junge Talente gefördert.
schreibkraft
schreibkraft wurde 1998 vom Literaturreferat des Forum Stadtpark als Zeitschrift für literarisches Feuilleton ins Leben gerufen. Jedes Heft behandelt ein Thema, zu dem alle AutorInnen eingeladen sind, Essays, Feuilletons, Betrachtungen einzuschicken.
Sterz
Die Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kulturpolitik versteht sich als Forum für alle abdruckbaren Äußerungen diverser Gattungen. Seit 1977 widmet sich Sterz vor allem der Förderung aufstrebender Talente und der Betreuung kulturell unterversorgter Gebiete.
perspektive
Die Literaturzeitschrift mit Sitz in Graz und Berlin legt seit 1977 Wert auf gesellschaftskritisches Formbewusstsein in literarischen und essayistischen Texten.
Literaturhaus Graz
Im Kulturhauptstadtjahr 2003 gegründet, präsentiert das Literaturhaus Graz in mehr als 100 Veranstaltungen pro Jahr steirische, österreichische, deutschsprachige und internationale AutorInnen.
KULTUM Literatur
Das Ressort Literatur im Kulturzentrum bei den Minoriten fokussiert auf lokale wie internationale zeitgenössische literarische Tendenzen. Mit dem Lesefest „Neue Texte“ werden jährlich steirische AutorInnen vorgestellt.