Schauspielhaus Graz-Intendantin Iris Laufenberg über zeitgenössische Dramatik und die Suche nach dem „Wir“.
Text: Wolfgang Pauker
Das Schauspielhaus Graz legt den Fokus auf zeitgenössische Dramatik und wurde heuer zum Heidelberger Stückemarkt und den renommierten Autorentheatertagen nach Berlin eingeladen. Eine Bestätigung für den eingeschlagenen Weg?
Wir freuen uns über beide Einladungen sehr. Seit unserem Beginn in Graz steht die Zusammenarbeit mit zeitgenössischen, auch ganz neuen AutorInnen im Zentrum unserer Arbeit. Das birgt aber auch immer ein Risiko, denn bei Ur- und Erstaufführungen ist oft schwierig abzuschätzen, wie sie vom Publikum aufgenommen werden. In dieser Spielzeit haben wir z. B. Philipp Löhles Die Mitwisser oder Götterspeise des amerikanischen Autors Noah Haidle im Programm – tolle Texte, die auch großen Zuspruch in Graz gefunden haben, aber sicher kann man vor der Premiere nie sein. Erinnya von Clemens J. Setz war zudem eine Auftragsarbeit, die er eigens für das Schauspielhaus Graz geschrieben hat. Die Einladung zum Heidelberger Stückemarkt, einem der wichtigsten Festivals im deutschsprachigen Raum, mit diesem Text ist natürlich eine große Bestätigung. Wenn man erfährt, dass das Stück auch in Deutschland nachgespielt werden wird, umso mehr! Dasselbe gilt für die Autorentheatertage in Berlin: dass wir gleich mit zwei Produktionen vertreten sind, macht uns sehr stolz. Mit der Uraufführung von Eleonore Khuen-Belasis Stück ruhig Blut präsentieren wir einen interessanten neuen Text einer jungen Südtirolerin und mit dem Gastspiel von Die Revolution frisst ihre Kinder! bringen wir eines unserer Herzstücke dieser Saison auf die große Bühne des Deutschen Theaters. Solche Gastspiele sind wichtig, um Graz und das Schauspielhaus auch über die Grenzen der Stadt und des Landes hinaus sichtbar zu machen, um KollegInnen und JournalistInnen, die vielleicht nicht den Weg nach Graz finden, zeigen zu können, was wir künstlerisch entwickeln – und letztlich auch, um wieder mit neuen AutorInnen in Kontakt zu kommen.
Geballte Gegenwartsdramatik gibt es auch beim internationalen Dramatiker*innenfestival. Nach „Grenzen“, „Privatsache“ und „Rede!“ steht die vierte Ausgabe unter dem Motto „Wir?“. Ein Thema, das sowohl gemeinschaftlich als auch abgrenzend gelesen werden kann. Gibt es eine Vision von Solidarität jenseits aller Wirs?
Das internationale Dramatiker*innenfestival, dass wir zusammen mit dem DRAMA FORUM von uniT und dem Deutschen Literaturfonds veranstalten, ist seit vier Jahren ein wichtiges Highlight am Ende der Spielzeit. Hier kommen internationale AutorInnen, RegisseurInnen, Theaterleute und Publikum zusammen. Das Festival versteht sich als ein Ort, an dem wir den Zustand unserer Gesellschaft wie in einer Momentaufnahme durch die Augen der AutorInnen und ihrer aktuellen Texte betrachten und diese sichtbar, hörbar, erlebbar machen. Dieses Jahr steht das Festival unter der Überschrift „Wir?“. Dieses „Wir“ wird ja ständig beschworen – mal solidarisch, mal inklusiv, mal völkisch. So verbindend das Wort „wir“ erstmal daherkommt, es schließt auch immer aus. Das heurige Festival macht sich auf die Suche nach neuen Stimmen und thematisiert Hoffnung und Utopie, aber auch Frustration und Wut auf der Suche nach etwas, das sich wieder „wir“ nennen ließe.
Das Festival prägen auch internationale Gastspiele. Welche Highlights darf man sich 2019 erwarten?
Passend zum Thema freuen wir uns über ein Gastspiel des Burgtheaters, das zur Eröffnung am 12. Juni mit Alles kann passieren. Ein Polittheater in einer Collage von Doron Rabinovici und Florian Klenk den nationalistischen Populismus in Reden unterschiedlicher EU-Politiker untersucht. Außerdem hat das Festival dieses Jahr einen Schwerpunkt mit AutorInnen aus Holland und Belgien: Mit dabei ist u. a. die spektakuläre Arbeit The Automated Sniper von Julian Hetzel, in deren Zentrum eine bewegliche, automatische Waffe steht und die sich mit unserem Umgang mit Gewalt und der Verantwortung des Publikums auseinandersetzt, sowie das berührende Kammerspiel Gespräch mit dem Regen von Stijn Devillé aus Belgien.
Internationales Drama|tik|er|innen|fest|ival von 12. bis 16. Juni
Fünf Tage voll Gastspielen, szenischen Lesungen, Inszenierungen, Performances, Installationen und Werkstattgesprächen im Schauspielhaus Graz.
Festivaleröffnung & Verleihung des Ernst Binder-Stipendiums 2019
Mi, 12.6., 17 Uhr, Redoutensaal, Eintritt frei
Alles kann passieren. Ein Polittheater Gastspiel des Burgtheater Wien
Mi, 12.6., 19 Uhr, Redoutensaal
Gespräch mit dem Regen
Gastspiel des Het Nieuwstedelijk Theater Leuven
Mi, 12.6., 21 bis ca. 22.50 Uhr, HAUS EINS
schlammland gewalt von Ferdinand Schmalz
Österreichische Erstaufführung, Mi, 12.6., 21 bis ca. 22 Uhr, HAUS DREI, Gespräch mit Ferdinand Schmalz im Anschluss
Menschen mit Problemen, Teile I bis III von Sibylle Berg
Do, 13.6., 19 bis ca. 22 Uhr, HAUS ZWEI, Publikumsgespräch im Anschluss
The Automated Sniper
Gastspiel des Frascati Theater Amsterdam, Do, 13.6. und Fr, 14.6., jeweils um 20 bis ca. 21 Uhr, HAUS EINS
Erinnya von Clemens J. Setz
Uraufführung, Auftragswerk, Fr, 14.6., 20 bis ca. 21.15 Uhr, HAUS ZWEI
Erstes Wiener Heimorgelorchester & Clemens J. Setz
Fr, 14.6., 21.30 Uhr, HAUS DREI
Die Revolution frisst ihre Kinder!
Sa, 15.6., 18 bis ca. 20.40 Uhr, HAUS EINS, Gespräch mit Jan-Christoph Gockel, Komi Mizrajim Togbonou, Simone Dede Ayivi und Fiston Mwanza Mujila im Anschluss
Die Mitwisser von Philipp Löhle
Österreichische Erstaufführung
Sa, 15.6., 21 bis ca. 22.35 Uhr, HAUS ZWEI