Am 5. Juni 2019 ist an der Oper Graz ein Sonderkonzert mit der russischen Ausnahmesopranistin Elena Pankratova zu erleben. Es ist eine Liebeserklärung an die Stadt und ihre Kunstuniversität, an der Pankratova seit 2015 eine Professur hat.
Graz im Jahr 2003: Das Projekt „Kulturhauptstadt Europas“ macht die Murmetropole zur Kulturmetropole, Veranstaltungen aller Genres beleben den Stadtraum, Kunst hat eine noch nie da gewesene Präsenz. Just damals, vor mehr als 15 Jahren, gibt eine russische Sopranistin ihr Grazer Debüt in der Titelrolle von Cilèas Adriana Lecouvreur: Elena Pankratova, die als junge Sängerin über ein Engagement in Hamburg nach Westeuropa gekommen war, ist 2003 noch gute sieben Jahre von ihrem großen internationalen Durchbruch entfernt. Dieser gelingt ihr 2010 in der Rolle der Färberin (Die Frau ohne Schatten) beim Maggio Musicale Fiorentino – dieselbe Partie singt sie später mit überwältigendem Erfolg an der Mailänder Scala (2012), sowie am Teatro Colon in Buenos Aires (2013), gibt damit ihr fulminantes Debüt an der Bayerischen Staatsoper in München (2013), am Covent Garden in London (2014), an der Royal Danish Opera in Kopenhagen (2015) und an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin (2018). Ihren Graz-Auftritt hat Pankratova jedoch nicht vergessen. Die Stadt hat sie angelacht. Noch heute erzählt sie von der Freude, die sie erfasste, als sie hier aus dem Opernhaus tretend direkt zwischen Gemüseständen am Bauernmarkt stand: So unvermittelt, wie ihr dort Äpfel, Kürbisse, frische Steinpilze, Bachforellen und Paradeiser entgegenleuchteten, hat sie die Murstadt in ihr Herz geschlossen.
Spitzenrollen rund um die Welt
Und so nimmt sie, als sie 2015 berufen wird, an der hiesigen Kunstuniversität eine Gesangsprofessur an – und findet eine schöne Wohnung, gleich beim Bauernmarkt um die Ecke. Eine kleine Sensation! Denn Pankratovas Karriere ist nicht auf die „Färberin“ beschränkt geblieben. Ganz im Gegenteil! Die in Jekaterinburg am Uralgebirge geborene Sängerin feiert heute Rekorderfolge in Serie und zählt inzwischen zu den ganz großen ihres – des hochdramatischen – Fachs. Dank ihrer außerordentlichen stimmlichen Fähigkeiten konnte sich Elena Pankratova gleichermaßen im deutschen und im italienischen dramatischen Fach international etablieren. 2016 gab sie als erste russische hochdramatische Sopranistin in 140-jähriger Geschichte der Bayreuther Festspiele ihr sensationelles Debüt als Kundry (Parsifal) und wiederholte ihren Erfolg 2017 und 2018. Die Deutsche Grammophon, das Klassik-Label schlechthin, veröffentlichte diese Produktion auf DVD und Blu-ray. 2019 warten in Bayreuth gleich zwei Rollen auf sie: Kundry und Ortrud (Lohengrin). Aber Pankratova sang auch Odabella (Attila) an der Mailänder Scala und am Mariinksi Theater, Elektra an der Semperoper in Dresden, an der Wiener Staatsoper, im Concertgebouw, in Lyon, in Neapel, beim Enescu-Festival in Bukarest, und am Mariinsky Theater, Turandot in Bonn, Bologna, Florenz, Neapel, Zhuhai (China), Tel Aviv, am Mariinksi Theater, an der Wiener und der Bayerischen Staatsoper, Fidelio-Leonore in Genf, in Sevilla und in Bilbao, Forza-Leonora am Mariinksi Theater und in Mannheim und Bremen, Senta (Der fliegende Holländer) in Köln, Frankfurt, St. Petersburg, an der Semperoper Dresden und in Savonlinna (Finnland), Tosca an der Oper Frankfurt, in Stuttgart, in Oslo und in Savonlinna, Ortrud an der Deutsche Oper Berlin und am La Monnaie in Brüssel, Alice (Falstaff) in Basel, Karlsruhe und Buenos Aires, Elisabeth (Tannhäuser) in Basel und Bremen, Venus (Tannhäuser) in München und in der NHK-Hall Tokio, Abigaille in Holland, an der Bayerischen Staatsoper und in Mexico City, Sieglinde in Florenz, am Mariinksi Theater und an der Semperoper Dresden … und nein, damit ist ihr Repertoire noch lange nicht erschöpft. Genauso eindrucksvoll liest sich die Liste der Dirigenten, mit denen sie arbeitete und arbeitet: Da ist Zubin Mehta, da ist natürlich Valery Gergiev, da sind Kirill Petrenko, Christian Thielemann, Kent Nagano und viele, viele mehr.
„Nimm dir Freiheit!“
Den Weg, der sie als Künstlerin bis hierher geführt hat, versucht Pankratova nun auch als Orientierungshilfe ihren Studierenden zu zeigen. „Ich singe die größten, schwersten, die dramatischsten Rollen der Opernliteratur, die nur sehr wenige Frauen überhaupt schaffen“, betont sie in ihrem KUG-Antrittsinterview ohne falsche Bescheidenheit. „Und ich nehme mir die Freiheit, sie so zu interpretieren, wie ich sie sehe und verstehe. So versuche ich das auch meinen Studierenden beizubringen: Zeige deine eigene Persönlichkeit, finde deinen eignen Weg und überzeuge damit … Nimm dir Freiheit.“ Zu den wahrscheinlich eindrucksvollsten Arbeiten Elena Pankratovas zählt eine CD-Einspielung, die sie auf neue andere Wege abseits der Opernpfade führte – und zurück zur großen romantischen Musikkunst ihrer russischen Heimat. Der Tonträger nennt sich Pure Mussorgsky und wurde von der Sängerin gemeinsam mit dem in Deutschland lebenden russischen Pianisten Andrej Hoteev aufgenommen. Hoteev interpretiert Modest Mussorgskys berühmte Bilder einer Ausstellung und – gemeinsam mit Elena Pankratova seine Lieder und Tänze des Todes.
Mussorgsky neu entdeckt
Seit seiner Entdeckung von Tschaikowskys 3. Klavierkonzert in unverfälschter Gestalt ist Hoteev bekannt dafür, den Quellen auf den Grund zu gehen. Er bekam Gelegenheit, Mussorgskys Handschriften einzusehen, und wurde auch hier fündig: Sowohl bei den Bildern einer Ausstellung als auch den Liedern und Tänzen des Todes fanden sich zahlreiche Abweichungen zu den herkömmlichen Notenausgaben. Besondere Faszination entfaltet diese neue, dem alten Text nahe Interpretation in Bezug auf die von Pankratova interpretierten Lieder: Diese werden hier ohne die übliche Transponierung in den tatsächlich vorgesehenen Tonarten gesungen. Das ist nur möglich, weil Elena Pankratova über einen eindrucksvollen Stimmumfang verfügt, der Sopran und Mezzosopran vereint. Für eine Ausnahmestimme wie die ihre sind diese Lieder geschrieben. Nur in dieser Interpretation sind sie in den richtigen Tonartenverhältnissen und mit dem Ausdruck der verschiedenen Stimmlagen zu erleben, die dem entsprechen, was einst dem Komponisten vorschwebte.
Ein Wiedersehen an der Grazer Oper
Diese einzigartige Entdeckung steht im Zentrum eines Konzertes, mit dem Pankratova nun auch auf die Bühne der Oper Graz zurückkehrt. Am 5. Juni gibt die Wahlgrazerin unter dem Titel Lebenslinien ein Konzert mit den Grazer Philharmonikern unter Oksana Lyniv. Düster-exotische und hochromantisch-kraftvolle Klänge wechseln einander bei diesem Abend ab, der das menschliche Leben von der Geburt bis zum Tode musikalisch beleuchtet. Im ersten Teil des Programmes besingen Richard Strauss in den Mutterliedern und Richard Wagner im Siegfried-Idyll das Wunder der Geburt, bevor Franz Liszt in seinem Spätwerk Von der Wiege bis zum Grabe den Lebenszyklus des Menschen reflektiert. Der zweite Teil ist dann ganz dem Tod gewidmet. Neben Mussorgskys Liedern und Tänzen ist Rimski-Korsakows Osterouvertüre zu hören. „Ein Programm voller Gefühl, Kraft und Poesie zu den großen Themen des Lebens!“, schreibt die Oper in ihrer Ankündigung. Elena Pankratova gibt mit diesem einmaligen Graz-Auftritt – spät, aber umso eindrucksvoller – ihr Antrittskonzert als Professorin an der Kunstuniversität Graz. Ihre Gage spendet die Künstlerin deren Fonds für bedürftige Studierende. Und wenn sie nach der Probe über den Markt nach Hause geht, lächeln sie die Äpfel und Paradeiser an (die Kürbisse noch nicht, die kommen erst später).
Lebenslinien
Werke von Richard Wagner, Richard Strauss, Franz Liszt, Modest Mussorgsky und Nikolai Rimski-Korsakow
Musikalische Leitung: Oksana Lyniv
Gesang: Elena Pankratova
Grazer Philharmoniker
Mi, 5. Juni 2019, 19.30 bis ca. 22 Uhr Opernhaus, Hauptbühne