Kleidung kennzeichnet den Menschen, Mode vielleicht die Gesellschaft. Das Buch KLÄÄSCH entstand nach 30 „Modeshows“ innerhalb eines Vierteljahrhunderts, in denen Lisa D. & Co. den Laufsteg zur Bühne und Mode (samt aller tieferen Bedeutung) zum Detektor ihrer Zeit verwandelten. Die Buchpräsentation am 6. Juni im Literaturhaus Graz wird von Burgschauspielerin Petra Morzé pointiert.
Eines der Markenzeichen von Lisa D. waren Shows und Performances, in denen sie mit KollegInnen, KünstlerInnen, MusikerInnen, SchauspielerInnen, SchriftstellerInnen und Laienmodels die Mode und die Modenschau aus den Händen der Profis befreite und sie – mal kulturell wichtigtuerisch, mal anarchisch-aufmüpfig – zum Erzählen lustvoller Gegengeschichten vergatterte. Dabei kollidierte sie mit einer Reihe sehr unterschiedlicher, teils höchst illustrer Milieus und Persönlichkeiten: vom Literatur- und Kunstbetrieb der Avantgardestadt Graz bis zum Schaustellermilieu diverser Rummelplätze, von der Halbwelt verblichener Stripteaselokale bis zur Glitzerwelt des Playboy-Magazins, von der Undergroundszene Berliner Hinterhofkeller bis zu mehr oder minder ehrwürdigen Hochkulturtempeln, von Hans Gamperl und Sister über Lucas Cejpek und Jörg Schlick bis zu Elfriede Jelinek, von Fiona Bennett über Lena Braun und Mani Matschke bis zu Otto Sander. So sieht es der Designmonat, in dessen Rahmen diese Gelegenheit heuer ein weiteres Mal Aufnahme fand.
Eine ästhetische Freibeuterin
Zwischen ausgiebigen Bildstrecken von 30 Shows lässt Lisa D. diese Begegnungen und Zusammenstöße aus der Sicht ihres halbfiktiven ehemaligen Models Alice Daddledale wieder aufleben. Dabei entsteht nicht nur eine Geschichte von den eigensinnigen Streifzügen einer lustvoll dilettierenden, sich ihr eigenes Genre erschaffenden ästhetischen Freibeuterin, sondern auch das Panorama einer Zeit, in der sich die Grenzen zwischen Ost und West, Kunst und Kommerz, männlich und weiblich, Beherrschung und Selbstbeherrschung auflösen. Im Hintergrund werden Logen gegründet, Paraden erfunden, Weltgeschichte versäumt, Partys gesprengt, Freunde verraten und Genies geboren. Dass Mode und ihre Präsentationsformen auch zu den historischen Hilfswissenschaften gezählt werden sollten, war in der Auffassung von Lisa D. sowie einer fest verschworenen Schar von aktiven BegleiterInnen sicher nicht so wichtig. Die Steirische Kulturinitiative, die 1995 bis 2010 coproduzierend eintrat, sah im Zuge dieser Serie mehrere Kunstgriffe. Jedenfalls verlangten sie nach insgesamt sieben „Modeschauen“, die auch Theater in seiner umfassenderen Art waren, die Vergegenwärtigung dieser Leistung als Anschub in einer dahingehend brachen Gegenwart.
Soziale und kulturelle (Anti-)Muster
Obwohl in allen diesen „Modeschauen“ der Charakter der Haute Couture sehr ernst genommen wurde, ist in ihr auch eine Art von Mantel zu sehen, der übergeordnete, wichtige Aspekte in verschiedenen Künsten, in gesellschaftspolitischen Entwicklungen und Zeiterscheinungen umhüllte – sie jedoch nicht verbarg. Für viele Menschen in Graz, wo dieses Unterfangen seinen Ausgang nahm, wird das deutlich erkennbar sein. Für die LeserInnen in anderen Regionen kann es von geringerer Bedeutung bleiben, weil sie ohnedies evidenten sozialen und kulturellen (Anti-)Mustern folgten. Jedenfalls wurde mit diesem Medium aus heutiger Sicht eine Reihe von wesentlichen Entwicklungsphasen erlebbar gemacht. Damals wurden sie jedoch fast in Echtzeit skizziert, beschrieben und dramatisiert! Und auf Laufstege gebracht, wo diese Botschaften nicht immer erwartet wurden. Immerhin wurden elf dieser „Modeshows“ an verschiedenen, auch heute noch wichtigen Grazer Orten präsentiert, aber viele waren auch in anderen Städten Österreichs (Wien, Salzburg, Klagenfurt u. a.), Deutschlands (Berlin, München, Hamburg) und darüber hinaus zu sehen. Neben den visuellen Reizen, wenn man will, neben der Hipness, entstand eine weitere, spielerische Art von Wahrnehmung dieser Zeit und ihrer Läufe. Es wäre also falsch, das Buch als historische Nachhut zu verstehen, noch weniger als Nachruf. Es ist eine ernsthafte und dennoch lockere Reflexion eines Panoramas und noch mehr ein Lackmustest für unsere Gegenwart, von der gerne gesagt wird, dass sie so weit fortgeschritten sei und deshalb mit dem lebhaftesten Teil der (steirischen) Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts nicht mehr vergleichbar. Die Zeit um diese intensive Serie kann man auch als zweiten Höhenflug nach der Gründung von Forum Stadtpark und steirischer herbst verstehen.
KLÄÄSCH – eine Art Bildband
Lisa D. erinnert sich an den Ausgangspunkt dieser Buchproduktion so: Brigitte Bidovec, meine treue und engagierte Managerin und Freundin, schlug 2015 Herbert Nichols-Schweiger, dem Leiter der Steirischen Kulturinitiative und Förderer vieler meiner Produktionen, vor, eine bereits existierende Modeperformance von mir zu übernehmen. Dieser konterte mit dem Gegenvorschlag, eine Art Bildband über eine Auswahl meiner Shows und Performances zu machen, den Brigitte unvorsichtigerweise sofort begeistert aufgriff. Offenbar war den beiden nicht klar, was die nächsten drei Jahre auf sie zukommen würde. Geduldig und ohne zu murren haben sie sich gefühlte hundert Mal mit mir und Wilfried (Prantner, dem dramaturgischen Mastermind von Anbeginn) getroffen, sich immer wieder neue Konzepte angehört, die, kaum hatten sie sich damit angefreundet, erneut verworfen wurden.
Ganz wichtig für den Charakter dieses Buches war, dass so viele andere ihre Archive in Schuss gehalten haben. Insbesondere gilt das für die Fotografen und Fotografinnen, die für mich ihre alten Negative hervorgeholt und digitalisiert haben: Helmut Tezak, der „Von Herzen von hinten“ fotografierte, Karin Schabhüttl und Gerald Navara, die „Wo tanzt die Gans“ dokumentierten, Joachim Gern, der viele Jahre lang das gesamte Geschehen in Berlin begleitete, wenn nötig auch als Model, sowie Annett Hauschild und François Cadiere, die bei „Gans in Weiß“ und „Siegfrieds Lust“ fotografierten. Einzig zu „Servus Kaiser“ waren keine Fotografien aufzutreiben; vielen Dank an den ORF, dass er mit Videomaterial eingesprungen ist. Ein wunderbares Fotoshooting mit Gerhard Maurer, für das Christine Lanschützer wagemutig Model stand, war ausschlaggebend für die Titelfindung.
Petra Morzé präsentiert „KLÄÄSCH“ von Lisa D.
Danach Talk mit Lisa D., Petra Morzé, (Mitglied des Burgtheaters), Barbara Lichtblau (ehemaliges Model der Modedesignerin Lisa D.), und Herbert Nichols-Schweiger (Steirische Kulturinitiative)
6. Juni 2019, 19 Uhr im Literaturhaus Graz, Elisabethstraße 30
Steirische Kulturinitiative
Im Programm-Mittelpunkt der Steirischen Kulturinitiative stehen Künstlerinnen und Künstler, die über ihre künstlerische Begabung hinaus der sie umgebenden Gesellschaft mit ihrer Arbeit das vermitteln, was diese an neuer Kunst und an ihrer eigenen Wirklichkeit interessieren sollte. Karl-Heinz Herper, Vorsitzender
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