Der Programmbeirat hat aus 568 eingereichten 89 Projekte zum Thema „Urbane Zukunft” für das Graz Kulturjahr 2020 ausgewählt. Kleine Kulturvereine sind dabei ebenso vertreten wie große Häuser und die Universitäten.
Text: Lydia Bißmann
Vor genau zwanzig Jahren liefen die Vorbereitungen für das Kulturhauptstadtjahr 2003 auf Hochtouren. Das erfolgreiche Jahr 2003 ist auch die Inspiration für das kommende Jahr, das ganz im Zeichen von Kunst und Kultur stehen soll, wenn auch viel kleiner und kompakter. Fünf Millionen Euro Zusatzbudget stehen dafür zur Verfügung – im Kulturhauptstadtjahr waren es immerhin 55 Millionen. Bürgermeister Siegfried Nagl sieht im Themenjahr 2020 neben dem Bildungsauftrag auch wirtschaftliche Chancen für die Stadt. „Mit dem Kulturhauptstadtjahr 2003 hat man gesehen, wie Kultur die Massen begeistern kann. Und es hat sich gezeigt, wie erfolgreich das Thema Kultur als Aushängeschild unserer Stadt im internationalen Kontext funktioniert.” Unter dem Thema „Urbane Zukunft” lief bis 18. März dieses Jahres ein offener Call, bei dem Kunst- und Kulturprojekte eingereicht werden konnten. Ein Intendantenkollektiv aus 8 unterschiedlichen Experten und Expertinnen traf die Vorauswahl. Der Pool der Einreichenden ist bunt gemischt und vielfältig – er reicht von unabhängigen Künstlern über kleine Vereine und Nachbarschaftszentren bis hin zu etablierten Institutionen wie dem Grazer Schauspielhaus, dem Forum Stadtpark oder der TU Graz.
2020 – Kulturarbeit, die bleiben soll
Die Auswahlkriterien richteten sich einerseits nach der thematischen Vorgabe, andererseits wurde Wert darauf gelegt, alle 17 Grazer Stadtbezirke einzubeziehen. Von Waltendorf bis Wetzelsdorf, von Gries bis Gösting soll das Kulturjahr für alle Grazer Bewohner und ihre Gäste ganzjährig zu spüren und zu erleben sein. Wenn möglich bei freiem Eintritt, weswegen sich sehr viele Projekte und Installationen im öffentlichen Raum abspielen werden. Zusätzlich wird noch mit privaten Sponsoren verhandelt. Ein Kulturjahr will auch würdig vermarktet und kommuniziert werden. Ein Eröffnungsevent darf natürlich nicht fehlen, genauso wenig wie eine übersichtliche Projektpräsentation. Das Zusatzbudget von 5 Millionen Euro geht aber ausschließlich in die Projektförderung. Für Kulturstadtrat Günter Riegler war es wichtig, dem Programmbeirat bei der Auswahl freie Hand zu lassen. Die ausgewählten Projekte wurden überwiegend einstimmig beschlossen. „Das Graz Kulturjahr wird kein Festival sein, das rasch verpufft, sondern es wird intensiv an unserer Grazer Zukunft gearbeitet, mit dem Ziel, nachhaltige Ergebnisse zu liefern und die Grazer und Grazerinnen dazu einzuladen, mitzumachen, Dinge auszuprobieren, sich mit Kunst und Kultur zu beschäftigen.“
Das Leben von morgen durch die Brille der Kunst
Fünf Schwerpunkte kristallisieren sich bei den eingereichten Projekten heraus: Umwelt und Klima, Digitale Lebenswelt, Stadtplanung und Urbanismus, soziokulturelle Aspekte sowie wirtschaftliche Betrachtungen und Arbeit von morgen. Aktuelle Themen, die alle betreffen, egal ob kunstaffin oder nicht. Der Klimawandel und Hitzewellen sind zum Beispiel Inspiration für das Projekt „Klimakultur Pavillon 2020”. Der Verein Breathe Earth Collective hat eine Vorversion des Projektes schon bei der Mailänder Expo 2015 gezeigt. Dort wurde der österreichische Pavillon in eine künstliche, kühle Waldlandschaft auf über 500 Quadratmetern verwandelt. Überlegungen zur Kühlung des Innenstadtbereiches finden hier eine Spielwiese. Der kritische und innovative Einsatz von modernen Technologien hat in der Kunst immer schon eine sehr wichtige Rolle gespielt. Deswegen setzt sich das Programm 2020 auch mit dem Thema künstliche Intelligenz auseinander. Im Musiktheater „Nessun dorma” treffen zwei liebeskranke Roboter aufeinander.
Das Publikum bekommt bei diesem Projekt, das in Kooperation mit dem Forum Stadtpark stattfinden wird, auch eine selbstständig komponierte Arie aus der Feder eines Roboters zu hören. Das weltweit erste Theaterstück mit einem echten Humanoiden wird bei der Grazer Erstaufführung des Gastspiels Das unheimliche Tal, des Künstlerkollektivs Rimini Protokoll zu sehen sein. Mit Wohnungsnot und gleichzeitigem Leerstand beschäftigt sich das Projekt „Das ist ein öffentliches Bedürfnis”. Ganz im Sinne der Initiatoren wird sich dieses Kunstprojekt über mehrere Monate hinziehen. Unter Laborbedingungen werden dort langfristig angelegte, alternative Mietformen initiiert und getestet. Wo genau, ist noch nicht klar. Wie bei vielen der insgesamt 89 ausgewählten Einreichungen muss auch für diese Initiative noch die passende Bleibe und der finanzielle Rahmen geklärt werden. Mit 2020 möchte die Stadt nicht nur den Zugang zur Kunst erleichtern und vorhandene Berührungsängste auf behutsame Weise entfernen – das Thema Barrierefreiheit innerhalb der Kunst ist Teil des Projekts der Akademie Graz. Anhand dieser Initiative soll der Weg zur Inklusion im Kunstbetrieb nachhaltig geebnet werden. Mit im Boot bei „Kultur inklusiv” sind mehrere Grazer Partner wie die KUG oder das Kunsthaus Graz. Ganzjährig ist auch das Projekt „Das unsichtbare Handwerk” des Stadtteilprojekts Annenviertel. Mit Stadtspaziergängen und einem digitalen Stadtplan möchte man in Kooperation mit dem Wiener Eintagsmuseum den Fokus auf kleine Handwerksbetriebe und Design in Gries und Lend lenken.
Spuren, die bleiben sollen
Unter den teilnehmenden Künstlern beim Kulturjahr Graz 2020 befinden sich auch prominente Namen wie Markus Wilfling, August Schmölzer, Adina Camhy, Elisabeth Harnik und Martin Behr. Kunstschaffende, die in der Stadt schon öfter Spuren hinterlassen haben. „Diese Projektauswahl befindet sich am Puls der Zeit internationaler Beschäftigung. Es sind zahlreiche Projekte dabei, die Modellcharakter beweisen und das Potenzial haben, auch über 2020 zu wirken bzw. weiterentwickelt zu werden”, so Programm-Manager Christian Mayer.
Synergie statt Konkurrenz
Die Auswahl der Projekte war ein Meilenstein auf dem Weg zur logistischen Umsetzung des Graz Kulturjahr 2020. Bis Herbst dieses Jahres soll das komplette Jahresprogramm für 2020 stehen. Termine und geeignete Spiel- oder Installationsorte müssen gesucht und gefunden werden. Erklärtes Ziel ist dabei auch, dass das Kulturjahr tatsächlich von Jänner bis Dezember stattfindet, sich über ganz Graz erstreckt und sich gut in das bereits bestehende Kulturprogramm einfügt. Synergie statt Konkurrenz lautet dabei die Devise. Das jährliche Förderbudget der Stadt Graz für Kunst und Kultur wird für das Themenjahr 2020 nicht angerührt. Projekte, die dem vorgegebenen Thema „Wie steht es um die urbane Zukunft unserer Stadt?” nicht ganz entsprechen konnten, können sich auf diesem Weg noch einmal bewerben.