Start Kunst & Kultur Hommage an die Analogie im KULTUM

Hommage an die Analogie im KULTUM

Reinhild Gerum, 632 Caravaggio Medusa Uffizien

1.000 Postkarten hat Reinhild Gerum seit fast 15 Jahren übermalt. Ab 30. November sind die Arbeiten, die jede für sich ein kleines Kunstwerk bedeuten, erstmalig komplett im KULTUM zu sehen: „Fein bist du Sicht!“

Text: Lydia Bißmann

Tausend ist auch eine biblische Zahl, die Fülle, Reichtum und vor allem „viel“ bedeutet. Seit 2005 beschäftigt sich die Pasinger Künstlerin Reinhild Gerum mit der Gestaltung von Ansichtskarten aus der ganzen Welt. „Ich hab‘ immer Ansichtskarten geschickt und geschenkt bekommen, gekauft, nicht weggeschmissen. Postkarten sind immer gut gemacht, inszeniert und beleuchtet. Das bekommt man mit dem eigenen Fotoapparat nie so gut hin.” Manche Monumente, Tiere, Landschaften oder Highlights der Kunstgeschichte lachten sie sofort am Postkartenständer an, andere mussten hundertmal angefasst werden, damit etwas daraus entstehen konnte. „Dann begann die eigentliche Auseinandersetzung mit der Karte. Manchmal hat mich etwas daran gestört – manchmal wollte ich etwas herauskehren.“ Fünfzehn Jahre sind eine lange Zeit. In diesen Jahren wurde für die Künstlerin das Übermalen der Karten zu einer Gewohnheit und Fingerübung. „Das ist eine Arbeit, die man immer machen kann. In der Früh, zu Mittag und am Abend. Die Karten haben mir das Skizzenbuch ersetzt. Ich musste dabei oft an das Adolf-­Menzel-Zitat denken: ,Alles zeichnen ist gut, ALLES zeichnen ist besser.‘ Als ich 500 beieinander hatte, hab‘ ich mir gedacht, ich mach‘ 1.000. Das ist einfach die Zahl für sehr viel.“

Reinhild Gerum,
820 UHU Venezia Ca´ Dóro

Künstler und Betrachter auf Weltreise

Die Karten kommen von überall aus der Welt – aus Brasilien, Schweden, ­Paris, Italien und Oberbayern. Reinhild Gerum, die auch als Installationskünstlerin bekannt ist, bedeckt die kleine Fläche mit weichem Ölpastell und kratzt dann mit dem Messer Flächen frei, damit das Darunterliegende zum Vorschein kommt. Die Glätte der Hochglanzfotografie bekommt einen pudrigen Auftrag. Er berührt den Betrachter sinnlich und lenkt ihn sanft auf eine Reise, die die Künstlerin im Entstehungsprozess schon beschritten hat. So werden bekannte Sujets wie der Münchner Friedensengel oder eine Skulptur Picassos aus dem Prado zu etwas Neuem, dem trotzdem Vertrautes innewohnt. Auch die Grazer Doppelwendeltreppe in der Burg findet sich darunter. Das Ergebnis ist immer anders: Da werden schöne Madonnen zu nicht weniger schönen Akten, Tiere tummeln sich plötzlich an prominenten öffentlichen Plätzen oder die Schlangen am Haupte der Caravaggio-Medusa bekommen einen bunten Anzug in Türkis oder Violett verpasst. Mal tritt die Überarbeitung streng geometrisch und als abstrahierte, an Rothko erinnernde Form auf, mal ist sie romantisch verschnörkelt und figürlich anmutig. Ein wenig erinnern sie auch an Monets Zyklus der Kathedrale von Rouen, wo in 33 Bildern dasselbe Gotteshaus zu unterschiedlichen Tages- und Jahreszeiten dargestellt ist. Das Motiv ist das gleiche, das Kleid ein anderes. Auf den 1.000 Karten ist das Ursprungsmotiv nicht nur namensgebend, es kommt auch immer in irgendeiner Form durch. Und das soll es auch.

Reinhild Gerum,
818 Schildkröte Toulouse

Der Flüchtigkeit entgegnen

Ansichtskarten und Kunstpostkarten bringen die große weite Welt in den heimischen Postkasten. Leider verschwinden sie zusehends aus unserem Alltag und werden von Selfie-Schnappschüssen abgelöst, die dann im WhatsApp-Nirvana landen. „2005 gab es diese schnelle Kommunikation noch nicht, sie war aber im Vormarsch und ich habe schon geahnt, dass es mit der Postkarte durch das Internet bald zu Ende gehen wird. Man kann jetzt alles in der Wikipedia nachschauen. Man muss keine ‚Redoute‘ an Wissen mehr zur Verfügung haben. Im nächsten Augenblick ist dann Bild und Wissen schon wieder verschwunden. Wir wissen ja noch nicht, wohin uns das führen wird. Die Kehrseite dieser Schnelligkeit ist ja, dass sich alles zu einem Brei vermischt.“

Reinhild Gerum,
909 Piero della Francesca Auferstehung Sansepolcro

Kunst und Krise

Vor drei Jahren war  Reinhild Gerum mit ihrer Schau Die Blumen der anderen schon einmal zu Gast im KULTUM. Die Ausstellung zeigte mitten in der damaligen „Flüchtlingskrise“ 2015/16 junge Männer, die im Camp mit der Künstlerin Papierblumen fertigten und diese präsentierten. Flucht und die Arbeit mit Menschen, die sich außerhalb der normativen Grenzen aufhalten oder aufhalten müssen, zieht sich durch das Leben der Pasinger Künstlerin. „Es ist interessant zu sehen, wie die bildnerische Arbeit Menschen in der Krise oder in der Situation des Eingesperrtseins Hoffnung und Begleitung geben kann. Diese Arbeit hat mich davor bewahrt, Kunst nur im Atelier und in der Galerie zu erleben. Ich habe die bildnerische Arbeit einerseits hier in meinem eigenen Schaffensprozess erlebt, aber andererseits eben auch mit anderen.“ In den 80er-Jahren, als Schlepper noch Fluchthelfer hießen, hatte sie Kontakt zu DDR-Flüchtlingen, die ihr von ihren Erlebnissen erzählten. Seit drei Jahrzehnten arbeitet Reinhild Gerum in der Psychiatrie und in Haftanstalten mehrmals die Woche als freiberufliche Kunsttherapeutin. „Dort tu ich ja nichts selbst, ich motiviere, stehe bei und habe die Position des Künstlers, der begleitet und motiviert. Es ist ja immer wichtig, dass durch die die Bildnerei das Unterbewusste und Gedanken zu ihrem Recht kommen, die sonst untergehen oder verdrängt werden. Ich sehe dort ja auch viele wenig schöne Dinge, Schicksale und Erkrankungen, die Menschen völlig ins Abseits bringen. Diese Arbeit hat mich davor bewahrt, in der ‚eigenen Suppe‘ zu gründeln. Ich denke, ich kann Gesundheit und beglückendes Tun jetzt anders wahrnehmen als andere Menschen, die das nicht kennen.“ Die Distanz zum eigenen Tun und Dasein hat den Weg als Künstlerin sehr geprägt. Für sie gehört beides zusammen. „Die künstlerische Arbeit dient aber nicht dazu, mich von meiner anderen Arbeit zu entlasten. So ist es nicht. Durch die Doppelberuflichkeit kam ich aber an die wesentlichen Inhalte des Lebens heran.”

Reinhild Gerum,
307 Hohenkammer bei Freising

Tiere und ein roter Faden

In der Weihnachtsausstellung im KULTUM, die von Johannes Rauchenberger kuratiert wurde und zu der auch ein Katalog erscheint, wird ein sprichwörtlicher „roter Faden” durch die Räumlichkeiten führen, an dem die Werke befestigt sind. Andere sind als Kollektionen gruppiert und gerahmt. Die 1.000 Artefakte sind auch in Subprojekte unterteilt, wie etwa das Tieralphabet, das von „A wie Adler“ über „B wie Bär“ und „C wie Chamäleon“ Tiere in allen erdenklichen Formen oder Orten zeigt. „Für mich war es spannend, mich mit dem Tieralphabet wieder der Tierdarstellung zu nähern. Die Zeiten der Tierskizzen im Tierpark sind ja schon sehr lange her.“ Reinhild Gerum hat in München Malerei, Architektur, Philosophie und politische Wissenschaften studiert. Sie lebt und arbeitet als freie bildende Künstlerin in München und hat verschiedene Lehraufträge im Inland und im europäischen Ausland. Ihre Werke wurden über 300 Mal ausgestellt, Stipendien führten sie nach Bulgarien, Brasilien und Tschechien.

Reinhild Gerum,
756 Arezzo San Domenici Annunciazione

FEIN BIST DU SICHT! 1.000 Kunstkarten von Reinhild Gerum

KULTUM, Kulturzentrum bei den Minoriten, Mariahilferplatz 3, 8020 Graz, 30.11.19–6.1.20, Di–Sa, 11–17 Uhr, Eintritt: 3 €, Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren frei. Schließtage 24.–26.12.19 und 1.1.20, Eröffnung und Einführung von ­Johannes Rauchenberger, Kurator der Ausstellung: Sa, 30.11., 11 Uhr

Kuratorenführung: Sa, 28.11., 11.15 Uhr

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog.
Tel. 0316 711 133 29, www.kultum.at