Drei hochkarätige Produktionen des Neuen Zirkus holt Festivalintendant Werner Schrempf nach Graz. Von der Sehnsucht des Zirkus, der Silvesterparty im Theater in der Stadthalle und was es bedeutet, die heimische Szene ernst zu nehmen – davon erzählt er im Interview mit „Achtzig“.
Text: Natalie Resch
Beim diesjährigen Cirque Noël gastieren drei höchst unterschiedliche Stücke des zeitgenössischen Zirkus in Graz. In welchem Verhältnis stehen diese zueinander?
Der Cirque Noël hat sich im Laufe der Jahre zu dem entwickelt, was er heute ist: ein Grazer Festival. Um die Vielfalt des Genres des Neuen Zirkus zu zeigen und das besondere Festivalflair zustande zu bringen, wollten wir mehr als nur eine einzelne, losgelöste Produktion zeigen. Eingeladen sind neben der herausragenden Compagnia Baccalá und dem wunderbaren Cirkus Younak die unserem Publikum bereits bestens bekannten Zirkusvirtuosen der kanadischen Compagnie The 7 Fingers, mit denen uns seit vielen Jahren eine Freundschaft verbindet. Unser gemeinsames Interesse liegt im Aufspüren neuer, aktueller Geschichten und diese in Produktionen einfließen zu lassen.
Die Compagnie The 7 Fingers hat das Publikum bereits mit „Sequence 8“, „Traces“, „Cuisine and Confessions“ und „Réversible“ begeistert. Was erwartet das Publikum bei „Passagers“?
Wie kaum einer anderen Compagnie gelingt es den 7 Fingers, eine Erzählung zu kreieren, bei der die verschiedenen Persönlichkeiten der Artisten auf der Bühne zur Geltung kommen. Die Geschichten der Künstler werden zur Grundlage der Produktion, die ganz viel von uns erzählt: Wie gehen wir miteinander um? Passagers nimmt die verschiedenen Motive des Reisens als Ausgangspunkt der Erzählung auf der Bühne. Jeder kennt diesen Moment, wenn sich am Beginn einer längeren Zugreise Gedankenwelten auftun. Den inspirierenden Perspektivenwechsel, der sich beim Blick auf die vorbeibewegende Landschaft eröffnet. Das sind die Bilder, die das Publikum im Theater in der Stadthalle erleben kann. Wir betrachten Menschen, die körperlich in Dimensionen vordringen, zu denen wir normalerweise keinen Zugang haben. Es ist die Form der Körperbeherrschung des einzelnen Artisten, aber auch das, was im Miteinander entsteht, das mich bewegt. Das Faszinierende am Neuen Zirkus sind die Bilder und Emotionen, die er erzeugt. Er berührt im Innersten durch seine akrobatischen Höchstleistungen und seine Erzählkunst, dem Gespür für Themen. Der Neue Zirkus holt uns hinein in die Geschichte und nimmt uns mit auf eine Reise. Poetisch und leidenschaftlich zugleich.
Für die Produktion der 7 Fingers erschaffen Sie eigens ein Theater in der Stadthalle. Was hat Sie zu diesem Standortwechsel bewegt?
Wir greifen auf unsere langjährige Erfahrung in der Zusammenarbeit mit dem Team der Grazer Stadthalle zurück und teilen mit diesem die Begeisterung für Produktionen des Neuen Zirkus. Das Theater in der Stadthalle baut auf einem Raum-in-Raum-Konzept auf, das es schafft, eine stimmungsvolle Atmosphäre zu erzeugen. Die Konzeption des Theaters ermöglicht es dem Publikum, sehr nahe am Geschehen zu sein.
Zur Silvesterparty im Theater in der Stadthalle treffen internationale ZirkuskünstlerInnen auf heimische MusikerInnen. Was erwartet die Gäste?
Die generelle Sehnsucht des Cirque Noël war es, immer möglichst viel von der Musik, die eigens für die Produktionen kreiert wird, direkt auf der Bühne zu zeigen; die Musiker sichtbar zu machen. Das gelingt beim diesjährigen Programm sehr gut. Die Silvesterparty gestalten die virtuosen Musiker einer steirischen Familie, die für mich Sammler jener qualitätvollen Musik ist, die es in Europa zu entdecken gibt. Das sind die Geschwister Härtel, mit denen wir schon viele Jahre zusammenarbeiten und die wir nun im Rahmen der Silvesterparty mit der Barcode Circus Company aus Kanada auf die Bühne bringen. Diese junge Zirkustruppe ist auch durch die Schule der 7 Fingers gegangen und wird mit ihnen um Mitternacht auf der Bühne sein. Bei der Silvesterparty kommen sich Künstler und Gäste sehr nahe (lacht). Da muss man schon damit rechnen, dass sich Teile der Musik oder Artistik inmitten der Gäste abspielt.
Apropos langjährige Zusammenarbeit und Publikumsliebling: Adrian Schvarzsteins Stück „Cirkus Younak“ ist zu Gast im Orpheum. Es soll dabei ja ganz schön leidenschaftlich rund gehen auf der Bühne …
Mit Adrian verbindet uns eine viele Jahre andauernde Freundschaft. Gemeinsam haben wir an Straßenkunstprojekten gearbeitet, haben koproduziert und mit Seasons eine eigene Zirkusproduktion in Graz zur Uraufführung gebracht. Uns verbindet die Leidenschaft, Dinge einem anderen Blickwinkel zu betrachten, durchaus frech und immer wieder aus einer Spontanität heraus. Er ist jemand, der Lust am Neuen und der Herausforderung hat, aber genauso gern junge Künstler bei ihrer Entwicklung unterstützt. Cirkus Younak ist unter seiner Regie mit jungen, engagierten Künstlern entstanden. Was das Publikum auf der Bühne erlebt, ist leidenschaftliche Musik, aus dem Herzen Europas, mit der wir uns sicher alle verwandt fühlen, und natürlich tolle Akrobatik. Es ist ein humorvolles, lustvolles Stück für die ganze Familie.
Das gilt aber auch gleichermaßen für die dritte Cirque-Noël-Produktion Pss Pss der Compagnia Baccalá, ein mit zahlreichen Preisen ausgezeichnetes Stück von zwei ganz großartigen Künstlern. Sie zeigen herrliche, zeitgenössische Clownkunst und das Orpheum ist das perfekte Theater dafür, weil es dem Publikum ermöglicht, so nah dran zu sein am Stück. Es wird die Mimik der Darsteller, ihre Körpersprache hautnah erleben – von hochsensiblen Clownsszenen dieses Paars bis hin zu erstaunlichen, akrobatischen Leistungen. Wir freuen uns insbesondere, dass wir dieses Stück nach Graz holen konnten, nachdem es bereits an allen relevanten Zirkushäusern dieser Welt zu Gast war. Eine ganz besondere Empfehlung meinerseits.
Nach Cirque Noël ist bekanntlich vor La Strada. Können Sie uns jetzt schon verraten, woran Sie arbeiten?
Aktuell arbeiten wir als Ko-Produzenten gemeinsam mit der Stanford University of California und der Major Festivals Initiative in Australien an der Realisierung von Leviathan. Ein Community Projekt, das 18 Top-Artisten von CIRCA Contemporary Circus mit 18 heimischen Performern auf einer Bühne vereint. Die europäische Uraufführung findet im Rahmen der nächstjährigen Eröffnung von La Strada in der Oper Graz statt. Die 18 heimischen Performer werden Jugendliche, Tänzer und Zirkusakrobaten sein – nicht nur aus Graz, sondern aus ganz Österreich. Der künstlerische Leiter von CIRCA, Yaron Lifschitz, ist einer der bekanntesten Neue-Zirkus-Regisseure weltweit, der mit Top-Leuten zusammenarbeitet, auf allen Gebieten. Owen Belton zeichnet sich bei Leviathan für die Komposition verantwortlich, Lee Curran für das Lichtdesign. Mit der aktuellen Produktion hat er sich selbst einen Traum verwirklicht, indem er 18 Artisten aus der CIRCA-Werkstatt mit Menschen aus der Region, dem Aufführungsort zusammenbringt. Das Wesen der Produktion wird in einem gemeinsamen Prozess entwickelt. Vor der Premiere im Juli nächsten Jahres werden zwei teaching artists von CIRCA mit 18 lokalen Performern über zwei Monate zusammenarbeiten. Es entsteht eine eigene Erzählung für den Ort der Aufführung. Die Erlebnisse der sechs Jugendlichen, Tänzer und Zirkusakrobaten, die mitwirken, sind die Basis für die Entwicklung der Geschichte. Für uns ist das Interessante, das wir eine Verbindung herstellen können – zwischen der heimischen und der internationalen Szene. Die Produktion fragt, auf Basis von Hobbes philosophischem Text, nach den Prozessen gesellschaftlicher Entwicklung, danach, welche Verträge wir miteinander schließen und wie wir in Zukunft zusammenleben können. Das perfekte Herzstück des kommenden La-Strada-Jahres, das Teilhabe und demokratische Prozesse in den Fokus rückt; nicht nur im Festivalprogramm, sondern auch bereits ab 1. Jänner mit unserem Kulturjahrprojekt The Graz Vigil am Grazer Schloßberg und dem Dorf in Reininghaus.
Passagers von The 7 Fingers
21. Dezember 2019 bis 2. Jänner 2020 im Theater in der Stadthalle (Messeplatz 1)
Pss Pss von Compagnia Baccalá
23. bis 29. Dezember 2019 im Orpheum Graz
Circus Younak
2. bis 5. Jänner 2020 im Orpheum Graz
Das Cirque-Noël-Silvesterprogramm im Theater in der Stadthalle mit Dinner und anschließender Party!