„Achtzig“ sprach mit styriarte-Intendant Mathis Huber über die Faszination lebendiger Barockmusik, die Wiedereroberung von Johann Joseph Fux und das Mysterium der Nacht.
Text: Bettina Leitner / Stefan Zavernik
Johann Joseph Fux wird auch in der dritten Ausgabe der styriarte nach der Ära Harnoncourt im Zentrum des Festivals stehen. Sie sprachen einmal von einer Wiedereroberung seiner Werke. Wie schwierig ist es, sich seinem nahezu verschollenen Gesamtwerk zu nähern?
Man bemüht sich schon sehr lange, Johann Joseph Fux wieder ins Leben zu rufen, doch bis heute ist es noch nicht ausreichend gelungen – nicht zuletzt, weil ihm der üble Ruf nachhängt, ein etwas langweiliger Komponist zu sein. Dies hat jedoch mit dem Umstand zu tun, dass er nicht nur der bedeutendste österreichische Komponist seiner Zeit war, sondern auch der größte Musiktheoretiker. Offensichtlich traut man bis heute einem Theoretiker nicht zu, auch ein genialer Komponist zu sein. Somit gestaltet es sich als eine hochschwierige Herausforderung, den Opernkomponisten Fux gebührend zu präsentieren. Um diese Aufgabe zu bewältigen, haben wir die Vorarbeit von Nikolaus Harnoncourt gebraucht, der uns gelehrt hat, wie man einer barocken Partitur Leben einhaucht. Erschwerend kommt hinzu, dass die Musik der damaligen Zeit eine ganz andere soziale Stellung hatte und die Werke von Fux niemals in einem bürgerlichen Musikbetrieb zur Geltung gekommen sind, weshalb wir auch auf keine Aufführungstradition zurückgreifen können. Doch ich bin mir sicher, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, Fux in die Herzen der Menschen zu holen, denn die Musikwelt ist aktuell im Aufbruch und sucht nach neuen Konzepten. Johann Joseph Fux ist der bedeutendste österreichische Barockkomponist und machte eine im 18. Jahrhundert atemberaubende Karriere von einem armen Bauernsohn zu einem der größten Künstler seiner Zeit.
Wie konnte so eine Berühmtheit als Komponist in der Versenkung verschwinden?
Zuerst einmal muss man sagen, dass es kein Zufall ist, dass Fux in der Versenkung verschwunden ist, sondern ein Regelfall. Alle Komponisten damals schrieben für irgendeinen Zweck, sei es für eine Hochzeit, eine Angelobung oder zu Ehren eines Adeligen, so auch die besagte Fux-Oper. Es war zur Zeit des Johann Joseph Fux demnach normal, ein Werk zu komponieren, das nur für eine einzige Aufführung bestimmt war, und trotzdem wurden sorgfältig für dieses eine Mal Kostüme geschneidert, ein Theater errichtet und eine Bühne erbaut. Es wurden auch Sänger extra aus Italien engagiert, die ihren Text nur für diese eine Aufführung lernen mussten. Das kann man ironisch etwa mit der Queen vergleichen: Sie würde auch niemals denselben Hut zweimal tragen. Wenn er einmal getragen wurde, dann kommt er ins Archiv; dasselbe passierte mit den musikalischen Stücken damals.
Mit der Oper „Die Geschenke der Nacht“ bringt die styriarte ein Werk zur Aufführung, das seit 1709 nicht mehr gespielt wurde. Welche Wege geht man bei so einem Vorhaben, um das Stück so authentisch wie möglich umzusetzen?
Wir sind vor der Herausforderung gestanden, quasi aus dem Nichts das Stück wieder zu rekonstruieren. Das ist uns einerseits deshalb gelungen, da wir selbst Experten auf diesem Gebiet sind und musikwissenschaftlich fundiert ausgebildet sind, und zum anderen haben wir auch die Experten der Österreichischen Akademie der Wissenschaften als Partner, die sich auf Fux spezialisiert haben. Wir ziehen die Noten aus der Nationalbibliothek heran und machen daraus moderne Editionen, sodass die heutigen Musiker das spielen können.
Wird das Stück, wie es jetzt im Rahmen der styriarte 2020 aufgeführt wird, so klingen wie im Jahr 1709?
Unbedingt, denn die Ideen der Komponisten realisieren sich nur dann, wenn man mit den Originalen arbeitet und den aufführungstechnischen Möglichkeiten so nahe wie möglich kommt; das gilt für die Instrumentierung wie für die Noten. Wir haben heute ja wieder die Möglichkeit, auf einem historischen Instrumentarium zu spielen. Erst durch diese Authentizität erschließt sich uns, was Fux genau wollte. Es ist zwar viel Wissen verloren gegangen, aber dank Nikolaus Harnoncourt haben wir viel davon wiedergefunden. Jede Notation ist wie eine Art Stenographie. Wenn man jedoch eine Art der Stenographie gelernt hat, dann impliziert das nicht automatisch, dass man mit einer anderen auch zurechtkommt; das gilt auch für die damaligen Notenaufzeichnungen. Dennoch können wir den Klang des Johann Joseph Fux mittlerweile gut rekonstruieren.
Steckt hinter den „Geschenken der Nacht“ eine konkrete Erzählung oder eine Geschichte?
Es gibt keine Handlung im modernen Sinn. Wie in anderen Werken und Opern, die aus der Feder des Johann Joseph Fux stammen, gibt es auch hier mythologische Szenen beziehungsweise eine Diskussion zwischen allegorischen Figuren, respektive Göttinnen und Göttern über die Frage, was man mit der Nacht machen darf. Die Geschenke der Nacht ist eine höfische Oper, in der am Ende des Stückes stets einer Person gehuldigt wird, hier die tugendhafte Kaiserin Wilhelmine Amalia, zu deren Namenstag dieses Stück komponiert wurde: Es reicht der Tag nicht aus, um ihr Lob zu singen, und deshalb tritt die Göttin der Nacht samt ihrem Gefolge auf, unter dem sich die personifizierte Architektur befindet, die ihr ein Theater baut. Alle sind sich einig: Es muss fortan auch die Nacht verwendet werden, um die Kaiserin gebührend zu feiern, da der Tag hierzu nicht ausreicht. Doch dann gesellt sich die allegorische Figur des Schlafes hinzu, der die gewohnte Nachtruhe einfordert. Als die Nacht jedoch argumentiert, dass es zum Wohle der Kaiserin sei, wird auch der Schlaf einsichtig und gestattet das lustige Treiben.
Wieso haben Sie sich dazu entschlossen, die Handlung des Stückes mit einem Ballettensemble zu realisieren?
Hinter der Geschichte der Nacht steht kein Inhalt, den man leicht erzählen kann. Deshalb haben wir uns entschieden, die Handlung mit einem Ballett zu unterstreichen. Die Stimmungen werden somit nicht primär von sich bewegenden Schauspielern getragen, sondern von Balletttänzern. Ich denke, dies ist auch eine interessante Zugangsweise, vor allem in Kombination mit der Partitur. Wir haben den Inhalt des Stückes auch selbst zum Anlass genommen, diesen im Programm umzusetzen: Auch wir wollen die Nacht nützen, um eine Opernvorstellung zu präsentieren, da die Menschen in der Nacht besonders empfänglich sind, auch für Kunst; es ist quasi eine Diskussion über unser eigenes Metier.
Wenn man sich mit einem ganzen Programm der Nacht widmet, welche Erkenntnisse kommen da zutage?
Ich würde sagen, die Nacht hat offenbar einen Einfluss auf unsere Sinneswahrnehmungen und ist daher ein idealer Moment, um besondere Erlebnisse zu gewährleisten, um etwa Tiefgang zu ermöglichen. Das ist dann auch der richtige Moment, um sich der Kunst zu öffnen. Dies ist auch schon den Komponisten und Lyrikern bewusst gewesen, weshalb quer durch alle Epochen unzählige Stücke über die Nacht geschrieben wurden. Es entstand sehr viel Musik für diese Stunden; begonnen von ganz grimmigen Nachtqualen in den Nächten der Karwoche über schauderhafte Nachterlebnisse in der deutschen Romantik bis hin zu heiteren Serenaden, die das Publikum in die Nacht hinein begleiten. Man merkt schon bei Shakespeare, wie voll von Zauberei und Hexerei die Nacht ist. Bei uns im Programm gibt es deshalb auch zwei Nächte, die diesen Zauber aufgreifen sollen. Zum einen ist dies die „Mondnacht“ und zum anderen die „Mittsommernacht“. Hier präsentieren wir die ganze Nacht als Ereignisraum, bis hin zum Sonnenaufgang.
Die zweite Opernproduktion der styriarte vertieft die Zusammenarbeit mit Andrés Orozco-Estrada. Die Aufführung „Don Giovanni“ wurde in einer Art Laborsituation neu erdacht. Was kann ein Festival wie die styriarte im Gegensatz zu klassischen Opernhäusern ermöglichen?
Die Möglichkeit des Festivals ist es, eine Produktion zu schaffen, auf die alle Beteiligten fokussiert sind. Das kann nicht so leicht in einem laufenden Betrieb geschehen, in dem die unterschiedlichsten Aufführungen ständig wechseln; das kann viel leichter dann passieren, wenn man sich auf ein Projekt fokussiert. Wir wollen Unikate bündeln und diese in einem Festivalrahmen präsentieren, in dem jedes Stück an sich einen Höhepunkt darstellt. Meine Erfahrung ist, dass sich Künstler wie Andrés Orozco-Estrada oder Nikolaus Harnoncourt auf die Arbeitssituation bei uns sehr gefreut haben und diese Laborsituation sehr schätzen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass in diesem Setting keine Ablenkungen stattfinden. Alle arbeiten längerfristig viel intensiver im Rahmen eines Projektes zusammen. Zudem gibt es keine Irritationen durch etwaige Parallelveranstaltungen. Das Festival bietet somit auch mehr Raum für Experimente als der Repertoirebetrieb.
Neben sehr alten Werken bietet die styriarte auch der Neuen Musik eine Bühne. Welche Uraufführungen wird es geben und worin sehen Sie den Mehrwert in der Kunst, die Bühne auch jungen Talenten zu überlassen? Es wird im kommenden Jahr fünf Auftragskompositionen an Komponistinnen und Komponisten geben, deren Werke wir uraufführen. Darüber hinaus werden wir sechs Werke von ganz jungen Künstlerinnen und Künstlern – dabei meine ich die 10- bis 18-Jährigen – präsentieren. Diese Stücke gehen auf die Serie „Fabrik“ zurück, in der wir den jungen Nachwuchstalenten die Möglichkeit geben, eine Musik zu erarbeiten, die wir mit professionellen Künstlern aufführen. Das halte ich persönlich auch für besonders wichtig, und viele unserer größten Komponisten wie Mozart oder Schubert waren auch nicht älter, als sie schon bedeutende Werke schufen. Unsere „Fabrik“ ist für die jungen Künstlerinnen und Künstler oftmals die erste große Chance, sich zu präsentieren und auf sich aufmerksam zu machen. Neue Musik auf die Bühne zu bringen ermöglicht auch etwas Einzigartiges, etwas, das bei den Werken der hochklassischen verstorbenen Komponisten etwa nicht mehr möglich ist: Wir stehen in engem Kontakt mit den jungen Künstlern und durch den ständigen Austausch können wir auch das individuelle musikalische Denken eines jeden einzelnen Musikers aufgreifen und dem Publikum zugänglich machen. Das ist neu und eine Facette des Festivals, die ich nicht missen möchte.