Start Kunst & Kultur Ist das Design oder kann das weg?

Ist das Design oder kann das weg?

Foto: Stephan Friesinger

Was darf die Kunst, was muss Design? Kann das eine ohne das andere überhaupt existieren? „Achtzig“ traf sich mit fünf kreativen Köpfen und sprach über das Spannungsfeld zwischen den beiden Polen.

Text: Bettina Leitner

Achtzig: Kunst und Design unterscheiden in erster Linie Zweck und Intention. Während Kunst aus sich selbst heraus entsteht, wird Design zu einem bestimmten Zweck geschaffen. Wird dann ein Künstler zu einem Designer, wenn er einen Designauftrag annimmt?

Herms Fritz: Wird ein Lyriker, der Taxi fährt, zu etwas anderem, weil er Taxi fährt? Das ist die Frage – er ist immer noch ein Lyriker! Wenn man die Rose „Scheiße“ taufen würde, würde sie dann plötzlich aufhören zu duften? Nein! Ich habe mit all diesen Fragen große Probleme, weil ich den Eindruck habe, dass diese Unterscheidungen die Künstler selbst überhaupt nicht interessieren. Ich schaffe meine Werke und der Duden soll dann entscheiden, wie man das schlussendlich nennt. Ich bin ein kreativer Mensch, habe so etwas wie einen Überschuss an Gefühlen und Gedanken über mich und die Welt; diese werden dann irgendwie formuliert und gestalterisch zum Ausdruck gebracht. Aber wie das nun heißt, was ich da mache, das ist mir egal. Ich weiß aber sehr wohl, dass es ein großes Bedürfnis nach Klarheit in diesem Bereich gibt. Wenn wir aber tiefer in das Metier eindringen, dann kommen wir schnell drauf, dass Klarheit nirgendwo herrscht, schon gar nicht in diesem Spannungsfeld. Hierzu fällt mir auch Max Bill ein, der sagte: „Kunstwerke sind Gegenstände für den psychischen Gebrauch“, dieser Bemerkung kann ich mich nur anschließen, ohne diese als den einen Maßstab anzunehmen, denn auch die Psyche ist eine Definitionssache: Ist sie etwas, das nach dem Tod wieder aufersteht oder was ist das, das Freud gemeint hat?

OchoReSotto: Wir sehen das genau gleich. Diese Unterscheidung oder auch Einteilung in Kunst und Design ist eher für den Betrachter interessant, nicht für die Schaffenden selbst. Dieses Korsett, das scheinbar von außen kommt, ist für uns überhaupt nicht wichtig. Wir setzen unsere Ideen um, manchmal im Rahmen eines Auftragswerkes und manchmal auch nur für uns selbst. Wir wollen unsere Ideen sichtbar machen und unsere Kreativität zum Ausdruck bringen. Ob das jetzt im Rahmen einer Auftragsarbeit passiert oder nicht, das spielt keine Rolle. So hatten wir beispielsweise den Wunsch, etwas riesengroß auf einen Berg zu projizieren, schlussendlich ist uns das mit einem Projekt auch gelungen. War das nun Kunst oder Design?

Bernhard Viereck: Vom architektonischen Standpunkt her möchte ich ergänzen, dass wir als Architekten keine Kunstwerke schaffen, sondern einen Wohn- und Lebensraum. Hier gibt es aus meiner Sicht sehr wohl eine sehr glatte Abgrenzung von Kunst und Design. Natürlich gibt es hier auch Ausnahmen, denken wir nur an das Kunsthaus oder andere Landmark-­Gebäude. In Bezug auf ein klassisches Wohngebäude kommt der künstlerische Aspekt eher bei der kreativen Ausgestaltung des Rauminneren oder in manchen Fällen auch der Fassade zum Tragen.

Architekt Bernd Viereck, Künstler Herms Fritz, Film- und Projektions-Kollektiv OchoReSotto
Foto: Stephan Friesinger

Achtzig: Eine Frage an OchoReSotto: Wann braucht eigentlich die Kunst das Design? Denn bei euren Installationen und Projektionen profitiert das Kunstwerk durchaus vom Design des jeweiligen Gebäudes, auf das es projiziert wird.

OchoReSotto: Der Inhalt, den wir schaffen, entsteht erst im Prozess, der sich an den Gebäuden orientiert. Angenommen wir haben ein Wohngebäude in Eggenberg, dann würden wir auf den Wohnbau nicht dasselbe hinaufprojizieren, was wir etwa im Rahmen des Klanglicht-Events auswählen würden. Man muss sich hier auch immer vor Augen halten, was funktioniert und was nicht. Wir befassen uns zudem immer auch mit der jeweiligen Geschichte des Gebäudes, der Umgebung und der Lage; wir orientieren uns auch stark an der Oberfläche und der physischen Beschaffenheit der Objekte, mit denen wir arbeiten. Also können wir sehr wohl behaupten, dass bei der Erschaffung unserer Kunst das Design eine bedeutende Rolle spielt.

Wolfgang Skerget: OchoReSotto, ihr habt vorher erwähnt, dass die Unterscheidung von Kunst und Design nur für den Betrachter wichtig ist. Kommt der Zuordnungsbedarf nicht eher von den geld­gebenden Stellen?

OchoReSotto: Ja, das sieht man auch schon bei den ganzen Wettbewerben, wenn es heißt „Alle Designer sind aufgerufen“. Hier wird man quasi selbst gezwungen, sein Tun zu klassifizieren. Wir denken schon, dass dies mit Sicherheit auch mit den zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln zu tun hat, etwa mit Förderungen durch das Land oder die Stadt.

Herms Fritz: Ich finde es absurd, dass meinem Tun ein Laut zugeordnet werden soll. Hierzu möchte ich noch hervorheben: Wenn es uns gelingen würde, die beiden Begriffe zu definieren, sodass jeder mit Sicherheit sagen könnte „Das ist zu 100 Prozent Kunst“, dann hätten wir etwas ganz Übles und Schreckliches gemacht: Wir hätten nämlich das Geheimnis, das Kunst und Design ausmacht, entzaubert! Dann hätten wir vielleicht einen Kunstweltmeister, bei dem der Grad der Kunst nachgemessen und auf einer Skala abgelesen werden kann. Aber dass Kunst bzw. Design ein Rätsel, ein Mysterium ist, darüber müssen wir uns im Klaren sein. Ich finde es schön, dass keiner so genau weiß, was Kunst oder Design ist. Das macht eben das Wesen der Kunst aus.

Foto: Stephan Friesinger

Achtzig: Wenn man heute von Design spricht, dann meint man vielleicht nicht mehr dasselbe wie noch vor etwa 15 Jahren. Inwieweit hat sich der Begriff erweitert oder in welchen Bereichen hat er neue Konnotationen dazubekommen?

Herms Fritz: Gerade in letzter Zeit kristallisiert sich immer mehr eine inflationäre Verwendung für den Begriff Design heraus. Wenn jetzt ein Unternehmer Kurse für Gruppendynamik anbietet und er diese bewerben möchte, dann wirbt er oft damit, dass der jeweilige Kurs jetzt ein neues „Design“ habe. Da wirft sich schon auch wieder die Frage auf, was dieses „Design“ überhaupt ist? Oder besser: Was überhaupt „Design“ ist. So will ich zum Beispiel auch behaupten, dass ich seit meiner Geburt mein eigenes Leben designe, indem ich tausende Handlungen selbstbestimmt durchführe, was zur Folge hat, dass diese und deren Konsequenzen Auswirkungen auf mein Leben haben und es in eine gewisse Bahn lenken. Mit all dem und durch all das definiere ich mich selbst. So kann ich auch sagen, dass meine gesamte künstlerische Tätigkeit darauf ausgelegt ist, mir zu zeigen, wer ich letztendlich bin.

Wolfgang Skerget: Tatsächlich hat sich auch der Designbegriff in den letzten 10 bis 15 Jahren extrem ausgeweitet, was auch zahlreichen Studien zu entnehmen ist. „Mind Design“, „Social Design“, „Information Design“ und Ähnliches liest man mittlerweile immer häufiger. Was aber genau Design hier meint, ist auch nicht immer eindeutig, denn keiner würde auch nur auf die Idee kommen zu sagen, er würde seinen Urlaub „designen“, wenn er ihn einfach nur plant. Das hat meines Erachtens auch damit zu tun, dass der Begriff „Design“ besonders im Bereich des Marketings zunehmend Verwendung findet. Denn wenn etwa ein Kurs neu designt ist, dann erweckt das beim Verbraucher bzw. Kunden die Assoziation, dass es sich bei diesem neuen Angebot um eine verbesserte Version von etwas Bestehendem handelt.

Herms Fritz: Hier stellt sich dann auch die Frage, ob das Wort Design wertiger ist als Kunst?

OchoReSotto: Ja, dieses Gefühl haben wir schon auch. Oft wirkt es sogar abwertend, wenn man sagt, dieses oder jenes sei einfach nur Kunst. Ganz nach dem Motto: „Ist das Kunst oder kann das weg?“ Vielleicht wird die Kunst auch deswegen niedriger bewertet, weil nicht alle jede Art von Kunst verstehen. Man kann das bei diversen Events beobachten: Wenn ein Künstler eine Ausstellung macht, zu der viele interessierte Besucher kommen, dann gibt es tatsächlich Kritiker, die dem Aussteller den Titel Künstler absprechen, denn wahre Kunst würde – und das jetzt ein wenig überspitzt gesagt – kaum so viele Menschen anlocken. Kunst ist außerdem losgelöst von jeglicher Art von Funktionalität, Design wirkt hier generell für die Betrachter brauchbarer.

Bernhard Viereck: Es gibt meines Erachtens durchaus auch funktionale Kunst, wie das Kunsthaus oder die Sydney Opera. Das eine braucht immer auch das andere. Im Großen und Ganzen kann ich dem jedoch zustimmen, denn Design ist der breiten Masse sicher besser zugänglich als Kunst, das ist auch im wörtlichen Sinne zu verstehen.

Achtzig: Ein großer Unterschied zwischen Kunst und Design ist also, dass ­Design immer oder meistens aus einem Auftrag heraus entsteht, während Kunst frei von Vorgaben ist. Kann demnach wahre Kunst nur ohne Auftrag entstehen?

Bernhard Viereck: Immer wenn der Auftraggeber eingreift, nimmt man dem Schaffenden die künstlerische Freiheit, was aber nicht immer negativ zu bewerten ist. Denn es gibt durchaus auch die Möglichkeit, dass das Endprodukt – wie auch immer es dann genannt wird: Design oder Kunst – durch dieses Nachjustieren besser wird.

Wolfgang Skerget: Ich denke, dass die Architektur hier eine gesonderte Stellung einnimmt, denn die Architekten müssen sich ständig mit dem Auftraggeber auseinandersetzen. Aufträge müssen nicht immer einen Freiheitsverlust im kreativen Prozess mit sich bringen.

OchoReSotto: Da stellt sich uns dann die Frage, wo Einengung überhaupt anfängt. Geschieht das schon bei der Vorgabe des Ortes, an dem man etwas schaffen kann. Oder bedingt das Kunstwerk tatsächlich, dass es keinen Rahmen gibt. Bei uns ist das sehr stark so, dass wir mit Orten arbeiten, die uns zur Verfügung stehen. Aber auch wenn der Ort vorgegeben ist und wir in diesem Bereich eine kleine Einengung haben, so haben wir für uns als Prinzip festgelegt, dass der Auftraggeber das Ergebnis vorab nicht sieht, kein Vorabvideo, keine Skizzen. Wir kommunizieren das klar im Vorhinein und unsere Auftraggeber wissen das. Anders würde das oft ins Unendliche abrutschen, wenn es dann hier und dort noch kleine Änderungswünsche gibt und man an allen Ecken noch nachjustiert wird, denn so kann das dann keine Kunst werden.

Herms Fritz: Ich gehe schon davon aus, dass jeder Auftrag eine Einengung darstellt. Der Künstler darf dann nicht mehr alles machen. Dem folgend ist Design durch Auftrag und Funktion ein bisschen eingeengt – das ist quasi ein Tanz in der Telefonzelle. 

Herms Fritz

Herms Fritz gilt als angesehener Graphic Designer, Maler, Zeichner und Cartoonist. Zudem fungiert er als Frontmann der Styrian-Trash-Gruppe ­„krahfeda“, in der er neben seinen kreativen grafischen auch seine musikalischen Ideen verwirklichen kann. Um seine künstlerische Ader und die Begeisterung für das kreative Schaffen auch an die junge Generation weiterzugeben, arbeitete Fritz als Lehrer an der HTL für Design und künstlerische Gestaltung sowie als Vortragender für Informationsdesign an der Fachhochschule Joanneum.

OchoReSotto

Volker Sernetz, Stefan Sobotka-Grünewald und Lia Rädler sind mittlerweile 15 Jahre als Medienkünstler tätig, schaffen Licht- und Soundinstallationen auf Fassaden oder lassen Räume buchstäblich in einem anderen Licht erscheinen. Mit ihren facettenreichen Produktionen haben sie sich bereits, national wie auch international, einen Namen gemacht. Ihre wohl bekanntesten Projekte sind die Lichtbespielungen im Rahmen des „Klanglicht“-Festivals oder diverse Projektionen bei den Salzburger Festspielen, dem Wiener Opernball oder dem Reeperbahn-Festival in Hamburg. Sie sind Gründer des strictly analog – studio for experimental progress (Graz-Triest-Tokyo) – ein Netzwerk zur Förderung von alternativen/experimentellen Arbeits- und Kommunikationsprozessen.

Bernhard Viereck

Gemeinsam mit seiner Schwester Marleen leitet Bernhard Viereck das Architekturbüro mit zwei Standorten in Österreich. Während sein Vater vor etwa 40 Jahren die ersten Architekturskizzen gezeichnet und das Büro gegründet hat, reiste Bernhard Viereck schon früh in die Welt, weil er vom Städtebau und den großen Metropolen – vor allem Asiens – fasziniert war. Nach insgesamt acht Jahren, davon vier in einem der größten Architekturbüros der Welt, ist er wieder in die steirische Landeshauptstadt zurückgekehrt, um seine gewonnenen Impressionen mit seinem eigenen Stil umzusetzen. Die wohl bekanntesten Viereck-Projekte sind das eigene boxartige Bürogebäude, das Haus der Ronald-McDonald-Kinderhilfe, die Vogelhäuser im Steirereck am Pogusch oder diverse Lounge-Möbel, die verschiedene Grazer Plätze aufwerten. Gemeinsam mit seinem Vater und seiner Schwester setzt Viereck auch weitere nationale und internationale Projekte um, von Hotels über Wohngebäude bis hin zu ­Bürobauten.