Start Kunst & Kultur Kulturjahr 2020: „Kultur schafft urbane Zukunft“

Kulturjahr 2020: „Kultur schafft urbane Zukunft“

Foto: Tovo Jamil Krischner

Mit dem Projekt „Graz Kulturjahr 2020“ startet die steirische Landeshauptstadt eine einzigartige Initiative: Heuer steht Graz im Zeichen der Urbanen Zukunft und präsentiert 94 Projekte zu den wichtigsten Fragestellungen unserer Zeit.

Text: Bettina Leitner

Den offiziellen Auftakt des Grazer Kulturjahres macht von 23. bis zum 26. Jänner der internationale Kongress „ZEIT für Graz“ und sensibilisiert alle Interessierten mit zentralen Fragestellungen zur Zukunft unserer Städte für das kommende Programm. „Die Eröffnung zielt darauf ab, alle Menschen anzusprechen, um mit uns über die erwähnten Fragen zu reden und einen Einblick zu bekommen, was in all den Projekten steckt“, lädt der Grazer Kulturstadtrat Günter Riegler alle Kulturbegeisterten ein. Im Rahmen dieses initialen Zusammentreffens diskutieren internationale Fachleute gemeinsam mit Künstlerinnen und Künstlern wie auch Wissenschaftlern aus allen relevanten Teilgebieten über die Fragen des gemeinschaftlichen Zusammenlebens, die Städteentwicklung und die städtischen Lebensbedingungen in Zeiten stark messbarer klimatischer Veränderungen. Im Anschluss wird ein Festakt das Programm abrunden und feierlich das kommende Programm vorstellen. Nicht nur für die Steirische Landeshauptstadt erweist sich das Kulturjahr als eine wichtige Initiative, die essenziellen Fragen um unsere gemeinsame Zukunft strahlen in die gesamte Steiermark aus. Wie weit diese Initiative die Menschen erreichen soll, bekräftigt auch Programm-Manager Christian Mayer: „Wir gehen in alle Bezirke, auch in jene, die bisher noch nicht oder nicht in dieser Weise für Kultur genutzt wurden. Die Projekte sollten sich zudem auch direkt an die Menschen wenden. Das ist sehr eindrucksvoll gelungen, es wird etwa Kooperationen mit Kindergärten, Schulen und Nachbarschaftsinitiativen und Vereinen geben.“

Club Hybrid – die neue Art zu wohnen

Vielfältigste Zugänge prägen das aus insgesamt 94 Projekten bestehende Programm, die sich bereits im Auftakt im Jänner widerspiegeln. Bereits zu Jahresbeginn werden 16 ausgewählte Projekte präsentiert, wie etwa der Club-Hybrid-Bau. Bewusst widersetzt sich das neue Konstrukt dieses Gebäudes den aktuell boomenden Baukonzepten, die größtenteils von monetären und weniger von sozialen oder ökologischen Kräften vorangetrieben werden. Mit diesem Grazer Demonstrativbau setzten die Konzeptionisten Heidi Pretterhofer und Michael Rieper im Rahmen des Kulturjahres ein Zeichen: In täglichen Veranstaltungen machen wissenschaftliche, künstlerische und aktivistische Formate diverse Lebens- und Wohnformen sichtbar und diskutieren Aspekte urbanen Lebens und Konzepte zur Eroberung neuen Lebensraumes. Club Hybrid wächst außerdem sukzessive von temporär zu permanent: Statt einer kurzlebigen Struktur beziehungsweise eines rudimentären Gerüsts, welches nach der Spielzeit wieder entfernt werden müsste, bleibt das Kunstwerk als neue Ressource bestehen und wird im Laufe der Zeit zu einem permanenten Stadtobjekt transformiert. – Kultur, die bleibt!

Kulturstadtrat Günter Riegler präsentierte gemeinsam mit dem Leiter des Programmbeirats Christian Mayer, Kulturlandesrat Christopher Drexler und ausgewählten Projekteinreicherinnen und -einreichern das Programm des Kulturjahrs 2020.
Foto: Fischer

„Menschenwelten“

Das Café Jakomini richtet seinen Blick auf die „Menschenwelten“ und veranschaulicht das dabei Erlebte in einem Dokumentarfilm, in dem das Publikum den Alltag im Bezirk Jakomini erkunden kann. Ziel ist es, einen Heimatfilm der anderen Art schaffen; eine Reise hautnah zu den Bewohnerinnen und Bewohnern, zu ihren Wünschen, Sorgen und Zukunftsvisonen. Vor allem will das Café Jakomini über den gesamten Zeitraum des Jahres 2020 Menschen im Spannungsfeld zwischen der Unerbittlichkeit urbaner Alltagsrealitäten und der permanenten Flucht in die Geborgenheit ihrer ureigensten Scheinwelten und Rückzugsorte zeigen. Als Regisseur für dieses Projekt konnte der sogenannte „Grätzelverein“ den bekannten Grazer Filmer Markus Mörth gewinnen. Ein Filmprojekt, das so nahe an der Grazer Realität ist, wie wir selbst.

Geteilte Inkompetenzen

Dieses Projekt erweist sich als eine außerordentliche Kombination aus Wissenschaft, Kunst und Pädagogik. GISAlab geht davon aus, dass wissenschaftliche Erkenntnisse erst durch künstlerische Ansätze und kreative Ausgestaltung besser (be)greifbar werden. Diese Theorie, die bereits in der griechischen Antike vertreten war, machen sich heute auch große Unternehmen zu nutzen, „denn es ist eine Grundbedingung der modernen Gesellschaft, die Menschen am Wissen in einer ihnen zugänglichen Form teilhaben zu lassen“, so die Projektleiter. Doch daran muss noch gearbeitet werden, denn es gibt noch immer zahlreiche Bereiche, in denen Diskriminierung herrscht, wie etwa beim geschlechterspezifischen Zugang zu bestimmten Berufsfeldern. Mit seinem Projekt wird sich GISAlab charmant und mit Augenzwinkern dieser Problematik annehmen. Im Projekt werden nun die Rollen vertauscht: So sollen die Kunstschaffenden in Diskussionen über Wissenschaft und Technik als wissenschaftliche Außenseiter bzw. die Wissenschaftler als künstlerisch inkompetente Personen auftreten und mit den Menschen ins Gespräch kommen – alle treffen sich dann in den öffentlichen Grünflächen, den „kleinen Forschungszentren mit gemeinsamer Inkompetenz“.

Breathe Earth

7.000 Pfeffersprays für Graz

In die Kategorie „Soziales Miteinander“ fällt das Projekt der Neigungsgruppe K.O., in dem über das Jahr 2020 verteilt 7000 Pfefferspray-Skulpturen geschaffen werden. Diese nummerierten und in Beton abgegossenen Objekte sollen das Sicherheitsgefühl der Menschen in Graz anheben. Zugleich werden von freiwilligen Helferinnen und Helfern kostenlose Beipacktexte an die Passantinnen und Passanten ausgegeben, die das Bewusstsein der Menschen diesbezüglich weiter schärfen sollen. Dieser „ironische Akt mit sozialem Hintergrund“, wie Neigungsgruppe K.O. ihr Projekt selbst definiert, soll durch Kunst die subjektive Sicherheit erhöhen und sich gleichzeitig gegen populistische Tendenzen richten.

Wer schafft die Arbeit?!

Das Designerinnen-Duo, bestehend aus Alexandra Fruhstorfer und Lisa Hofer, setzt ihr soziales Projekt in Kooperation mit der Caritas der Diözese Graz-Seckau und der Fachhochschule Campus 02 um. Dabei wird im Rahmen von partizipativen Workshops und interaktiven Ausstellungsformaten die Grazer Bevölkerung aufgerufen, sich gemeinsam mit dem künftigen „Arbeitsbegriff“ auseinanderzusetzen, der wesentlich durch die zunehmende Digitalisierung wie auch Automatisierung geprägt ist. Das Designerkollektiv möchte als sozialpolitisches Gestaltungsmittel wirken und mit Kreativität den Grazerinnen und Grazern aufzeigen, wie sie Handlungsmacht in unterschiedlichen Gestaltungsprozessen erlangen können. Die zahlreichen Workshops und Ausstellungen sollen sowohl von formellen wie auch informellen Gesprächen, Talks und Diskussionen begleitet werden, zu denen jeder herzlich eingeladen ist. Die Ergebnisse werden schließlich gesammelt und in einem interaktiven Ausstellungsformat präsentiert, mit dem Ziel, ein spekulatives Arbeitsamt der Zukunft entstehen zu lassen.

Space Object in between von studio ASYNCHROM

Happiness – Seriousness / a counterpoint

Das Grazer Kulturjahr lockt auch Gäste aus Wien in die steirische Landeshauptstadt: Das Wiener Ensemble-Klangforum reflektiert in seinem zeitgenössischen Musikprojekt „Happiness – Seriousness / a counterpoint“ die Rahmenbedingungen für die Produktion neuer Kunst und will „die Wirkungsräume eines urbanen Gefüges hinterfragen, die Dynamik des Erlebnisraumes des traditionellen Konzertsaales aufbrechen, den Wohnzimmerraum neu entdecken und mittels Socialmedia einen neuen intimen Raum der Konfrontation zwischen Interpreten und Rezipienten schaffen“, so die Projektleiter. All dies wird im Jahr 2020 als Veranstaltungsreihe in Graz umgesetzt. In diesen Veranstaltungsblöcken sollen jeweils ein interdisziplinäres Konzert, zehn Kammermusikkonzerte und 50 Tête-à-Têtes über Skype stattfinden. Dabei wird der Versuch unternommen, das Ensemble vor dem Hintergrund seiner musikalischen Virtuosität mit den relevanten gesellschaftskritischen Fragen zu konfrontieren und einen Diskurs zu starten.           

www.kulturjahr2020.at