Eine Kulturhauptstadt wird als Designstadt Teil eines internationalen Netzwerks. Da stellt sich natürlich die Frage: Was sind die Unterschiede zwischen Design und Kunst? Und wenn es sie gibt, was bedeuten sie? Wir begeben uns auf eine kreativ-terminologische Spurensuche.
Kunst kommt in der Regel aus dem Inneren des Kunstschaffenden, das Werk ist daher gleichsam Ausdruck seiner Gefühle. Am Beginn eines Designprozesses steht hingegen zumeist ein Briefing, das heißt, es ist schon etwas da, das gestaltet und kommuniziert werden soll. Und da sind wir schon bei der ersten Gemeinsamkeit: In beiden Sparten geht es um Gestaltung. Man gibt einer Idee, einem Produkt, der Umwelt eine bestimmte Form. Damit ist auch leicht verständlich, dass beide kreativen Disziplinen – Kunst und Design – gleichsam zu den archetypischen menschlichen Ausdrucksformen gehören. Wir alle wollen unsere Umwelt und nicht zuletzt auch uns selbst gestalten, unserem Wesen Ausdruck verleihen. Schon die Menschen der Frühzeit haben ihre Höhlen mit Malereien ausgestaltet und ihre Bekleidung mit Design nicht nur verschönert, sondern wohl auch unverwechselbar gemacht. Kreative Prozesse sind also ganz ursprüngliche Lebensäußerungen. Ohne Kreativität gibt es kein Leben.
Dabei geht es aber nicht nur um Funktionalität, sondern auch um Ästhetik. Und da wären wir wieder bei einem Unterscheidungsmerkmal zwischen Kunst und Design: Ein Kunstobjekt kann völlig zweckfrei sein, ein Designobjekt hat in aller Regel eine klar definierte Funktion. Davon abgeleitet könnte man auch sagen, Designer sind Künstler, die Sachen gestalten, die einen Zweck haben müssen, Künstler sind frei von diesem Zwang. Natürlich gibt es da gar nicht so wenige Grenzgänger, einige davon sogar weltberühmt. Als Beispiel sei hier Friedensreich Hundertwasser genannt, der sich auch als Erbauer eindrucksvoller Häuser (freilich durch Architekten fachlich unterstützt) einen Namen gemacht hat. Auch in Graz gibt es ein solches Beispiel: Die Murinsel wurde vom New Yorker Aktionskünstler Vito Acconci entworfen und von heimischen Technikern umgesetzt. Beide sind daher mit diesen Bauprojekten aus ihrer angestammten Kunstsphäre in die Design-Welt eingetreten. Eine interessante Definition von Design lieferte vor etlichen Jahren der Sozialwissenschafter Herbert Simon, der sagte, dass all jene designen, die in die Geschicke der Abläufe eingreifen, um Bestehendes zum Besseren zu verändern. Nach seiner Interpretation ist Design ein wesentlicher Bestandteil eines Entscheidungsfindungsprozesses. Daraus ergibt sich, Design muss verstanden werden können, damit es einen Nutzen haben kann. Kunst darf im Gegensatz undefiniert sein und muss nicht nachvollziehbar sein.
Aus den Überlegungen von Simon ergibt sich weiters, dass auch der oder die Betrachterin eine wesentliche Deutungsrolle hat: Sieht der Nutzer einen Zweck hinter einer Gestaltung, dann ist es Design für ihn, sieht er keinen, könnte es Kunst sein. Es ist also auch in der Frage zwischen Kunst und Design vieles relativ. Und letztlich ist es in den meisten Fällen auch egal. Als augenfälliges Beispiel, wie sinnlos manche Zuordnungsversuche sind, sei folgendes Beispiel aus der Designliteratur genannt: Hat ein Ast, den man im Wald findet und der die Form eines Spazierstocks hat – und den man auch als solchen verwendet –, Design oder nicht? Entsteht Design erst durch die Bearbeitung durch den Menschen? Alles unklar?
Wenden wir uns nun noch kurz der Vielzahl an Design-Disziplinen zu. Man spricht von Corporate Design, Interaction Design, Mind Design oder Food Design, um nur einige der zahllosen Begriffe zu nennen, die in den vergangenen Jahren geradezu eine explosionsartige Vermehrung erfahren haben. Einige Autoren sehen im Entworfensein den gemeinsamen Kern allen Designs, dagegen spricht, dass nicht jedes Entwerfen notwendigerweise einen Designgegenstand zur Folge hat: So planen beispielsweise auch die meisten SchülerInnen den Ablauf ihrer Ferien, ohne dass man deshalb (außer man ist im Freizeit-Marketing tätig) von Holiday Design spricht. Es gibt also auch bei diesen Zuordnungen offensichtlich intellektuelle Modetrends. Eine interessante Definition von Designgegenständen liefert Jakob Steinbrenner in seinem Aufsatz „Design zwischen Funktion und Kunst“. Er bezeichnet Designobjekte als Gegenstände, die zwischen den Polen der reinen Gebrauchsgegenstände (etwa hochwertige Kugeln in einem Kugellager) auf der einen Seite und Kunstwerken (etwa eine Giacometti-Figur) auf der anderen Seite anzusiedeln sind.
Dass Kunst und Design aufeinander einwirken, zeigt sich beispielsweise darin, dass Design auch immer wieder bestimmte künstlerische Strömungen aufnimmt und auch weiterführt, so geschehen etwa mit den Mondrian-Kleidern von Yves Saint Laurent aus dem Jahr 1995. Interessant in diesen Betrachtungen sind auch Readymades, Kunstobjekte, die von üblichen Gebrauchsobjekten ununterscheidbar sind; sie erhalten durch das Herausgehobenwerden durch einen Künstler aus dem Alltag eine völlige Umdeutung innerhalb des ästhetischen Zeichensystems. Machen wir abschließend noch einen kleinen Exkurs in architektonische Gefilde. Hier ergibt sich eine zumindest räumliche Verschmelzung von Design und Kunst. Die Präsentationsräume für Kunst sind heute in der Regel spektakuläre Design-Bauten, die mit ihrer möglichst auffallenden Einzigartigkeit um das verwöhnte Publikum werben. Auch hier müssen die ästhetischen Signale immer stärker werden, um in unserer (nicht nur) visuell überreizten Zeit wahrgenommen zu werden. Design scheint also zumindest in der Kunstvermittlung ein zentrales, ja unverzichtbares Mittel zu sein. Um zu guter Letzt noch eine weitere Betrachtungsfront aufzumachen: Es ist ja auch bezeichnend, dass bei ikonischen Bauwerken, die ein Ergebnis aus Ingenieursleistung und architektonischem Design sind, sehr gerne von Baukunst gesprochen wird. Alles klar?