In diesen außergewöhnlichen Zeiten öffnet der steirische herbst sein umfangreiches Archiv und gewährt Zugang zu exklusivem Material aus der Festivalgeschichte, um etwaige Entzugserscheinungen nach kritischer zeitgenössischer Kunst in Zeiten des Social Distancing zu lindern.
Die kommenden Wochen hindurch sind Dokumentationsaufzeichnungen performativer Projekte sowie Künstler*innenvideos vergangener Editionen erstmals in voller Länge zu sehen. Jede Arbeit ist kostenlos für 48 Stunden auf der Website des steirischen herbst abrufbar. Das erste Video zeigt no apocalypse not now von Ariel Efraim Ashbel and friends, eine nun auf verdächtige Weise prophetische Reflexion über die Apokalypse als Moment der Offenbarung und des Neubeginns, die für den steirischen herbst ’19 geschaffen wurde. Außerdem im Programm sind Aufzeichnungen von Gernot Wielands Past, Present, Present, Past (2019), Giorgi Gago Gagoshidzes The Invisible Hand of My Father (2018), Michael Portnoys Touching on Everything (2018) sowie Arbeiten von Bojan Djordjev / Goran Ferčec, Thomas Geiger, Roman Osminkin, Blanka Rádóczy / Vladimir Sorokin, Ivan Vyrypaev und Zorka Wollny.
Reader zur 52. Festivalausgabe erscheint im Mai
Die 52. Ausgabe des steirischen herbst befasste sich mit den zerstörerischen Widersprüchen und unheimlichen Reizen des Habsburger Europas und deren Relevanz für den Rest der Welt. In einem dreiwöchigen Parcours mit Installationen, Performances und Diskussionen konzentrierte sich das Festival 2019 auf den Gegensatz zwischen Vergnügen und Katastrophe in den kulinarischen und ästhetischen Genusszonen unserer Zeit. Die Ausgabe trug den Titel Grand Hotel Abyss – eine Metapher, die der Philosoph Georg Lukács prägte, um die europäische Szene der Intellektuellen und Kulturschaffenden zu beschreiben, als sie sich dem aufkommenden Faschismus gegenübersah. A Pleasant Apocalypse: Notes from the Grand Hotel Abyss (übersetzt etwa „Eine angenehme Apokalypse: Notizen aus dem Grand Hotel Abgrund“) heißt der begleitende Reader, der im Mai bei Hatje Cantz erscheint. Neben zahlreichen farbigen Abbildungen von künstlerischen Arbeiten, die für das Festival geschaffen wurden, versammelt die Publikation eigens in Auftrag gegebene Texte von Philosoph*innen, Historiker*innen, Schriftsteller*innen und Künstler*innen und bietet theoretische Reflexionen und künstlerische Einblicke in die Struktur des Hedonismus in zunehmend apokalyptischeren Zeiten.
Die Beiträge des Buches thematisieren die beunruhigenden Geschichten und faschistischen Grundlagen scheinbar idyllischer Umgebungen sowie die täglich konsumierten dialektischen Bilder von Leid und Zerstörung. Sie enthüllen, wie die neoliberale Wirtschaft ein Überangebot an Vergnügen fördert und den Imperativ des eigenen Glücks herausposaunt, während gleichzeitig Bilder erzeugt werden, die das Ende der Welt erproben, Bilder, denen man misstraut, die man jedoch niemals leichtnimmt. Es sind Analysen, Bekenntnisse, Polemiken und Reiseberichte – Beiträge zu einer noch ungeschriebenen kritischen Geschichte katastrophaler Freuden und normalisierter Verstöße.